Bundesrat warnt vor Ausweitung der Haftungsregeln für Unternehmen
Bern – Für den Bundesrat schafft die Konzernverantwortungsinitiative ein Bürokratiemonster für alle Schweizer Unternehmen. Zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt reiche der indirekte Gegenvorschlag. Dieser trage dem Kernanliegen des Volksbegehrens Rechnung.
Mit dem Titel der Konzernverantwortungsinitiative – «Für mehr verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» – habe der Bundesrat keine Probleme, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter am Dienstag vor den Bundeshausmedien. Die Instrumente des Volksbegehrens gingen aber zu weit und seien schädlich für den Wirtschaftsplatz Schweiz.
Stein des Anstosses ist die Ausweitung der Haftungsregeln. Gemäss Initiativtext sollen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz für allfällige Schäden haften, die ihre Tochterfirmen oder faktisch kontrollierten Zulieferer im Ausland verursacht haben. Diese neue Haftungsnorm für rund 80’000 Unternehmen ist laut Keller-Sutter international nicht abgestimmt und gefährdet Arbeitsplätze. «Es ist ein klassisches Eigentor.»
«Überforderung des Rechtssystems»
Schon heute haften Unternehmen für Schäden, die sie selber verursachen. In Streitfällen suche eine Kontaktstelle des Bundes einvernehmliche Lösungen. Das sei richtig und selbstverständlich, sagte Keller-Sutter. «Die überwiegende Mehrheit verhält sich gesetzeskonform.» Für die Schäden anderer aufzukommen, sei aber übertrieben.
Als «anmassend» bezeichnet der Bundesrat die Umkehr der Beweislast. Gemäss Initiativtext müsste ein Unternehmen im Fall einer Klage beweisen, dass es die Sorgfaltspflichten eingehalten hat. Heute ist es so, dass der Kläger oder die Klägerin die Nichteinhaltung der Vorschriften eines Unternehmens beweisen muss.
Keller-Sutter warnte vor «langwierigen und teuren Gerichtsprozessen» und einer «Überforderung des Rechtssystems». Es sei nicht sinnvoll, wenn ein Schweizer Regionalgericht Schweizer Recht im Ausland durchzusetzen versuche.
Bussen bis zu 100’000 Franken
Keller-Sutter warb stattdessen für den Gegenvorschlag, der «sehr schnell Rechtssicherheit schaffen könnte». Ein Nein zur Initiative bedeute ein Ja zu neuen Berichterstattungs- und Sorgfaltsprüfungspflichten sowie zu einer neuen Bussenregelung für fehlbare Unternehmen. In der Vorlage sind Bussen bis zu 100’000 Franken vorgesehen.
Der vom Parlament verabschiedete Gesetzestext, der bei einem Nein zur Initiative in Kraft treten würde, sei sehr umfangreich und decke bei den Sorgfaltsprüfungs- und Berichterstattungspflichten sogar mehr Bereiche ab als der Initiativtext, sagte Keller-Sutter. «Auch der Gegenvorschlag bringt mehr Bürokratie, ist aber besser umsetzbar als die Initiative.»
Der Bundesrat fordert «gleich lange Spiesse für alle», wie Keller-Sutter festhielt. Wenn die Gesetzgebung im Ausland heute viel weiter wäre als in der Schweiz, würde sie sich nicht über neue Regeln stören. Das sei aber nicht der Fall.
Breite Ja-Allianz
Volk und Stände entscheiden am 29. November über die Konzernverantwortungsinitiative. Hinter dieser steht eine Koalition aus über hundert Hilfswerken, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, kirchlichen, genossenschaftlichen und gewerkschaftlichen Vereinigungen sowie Aktionärsverbänden. SP und Grüne unterstützen die Initiative.
Parlament und Bundesrat empfehlen die Konzernverantwortungsinitiative zur Ablehnung und setzen auf den Gegenvorschlag. Verschiedene Parteien von der Mitte bis Rechts sind jedoch gespalten. (awp/mc/ps)