Bern – Der Bundesrat ist dagegen, den Zuwanderungsartikel wieder aus der Verfassung zu streichen. Er lehnt die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (RASA) daher ab. Wenn nötig will er aber einen direkten Gegenvorschlag ausarbeiten. Dazu hat der Bundesrat am Mittwoch erst einen Grundsatzentscheid gefällt. Über den Inhalt eines Gegenentwurfs will er entscheiden, wenn das Parlament seine Beschlüsse zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels gefällt hat, wie es in einer Mitteilung heisst.
Der vom Nationalrat beschlossene «Inländervorrang light» ist nach Ansicht des Bundesrats zwar mit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU vereinbar. Den Zuwanderungsartikel in der Verfassung setzt er aber nicht vollständig um. Als nächstes ist der Ständerat am Zug, einen definitiven Entscheid erwartet der Bundesrat im Dezember.
Mehrere Varianten
Ein Gegenvorschlag hätte also zum Ziel, Kohärenz zwischen Verfassung, Gesetz und völkerrechtlichen Verpflichtungen herzustellen. Gemäss Quellen in der Verwaltung stehen mehrere Varianten zur Diskussion. Eine davon ist ein genereller Vorrang des Völkerrechts, also auch des Freizügigkeitsabkommens. Gemäss Bundesgericht gilt das schon heute. Allerdings hat diese rechtliche Vorrangregelung den politischen Konflikt zwischen Masseneinwanderungsinitiative und Personenfreizügigkeit bisher nicht aufzulösen vermocht.
Ausserdem würde damit auch noch die Selbstbestimmungsinitiative der SVP in die Umsetzungs-Diskussion einbezogen. Diese will genau das Gegenteil, nämlich einen verfassungsmässig garantierten Vorrang des Landesrechts vor Völkerrecht.
Die zweite Variante eines Gegenvorschlags ist ein Europa-Artikel, der das bilaterale Verhältnis in der Verfassung absichern würde. Der Normenkonflikt würde dadurch allerdings nicht aufgelöst, da die neue Bestimmung auf der gleichen Stufe wie der Zuwanderungsartikel stehen würde. Zudem würde die Diskussion über die Zuwanderung zu einer allgemeinen Debatte über das Verhältnis Schweiz-Europa ausgeweitet.
Steuerung ohne Kontingente
Schliesslich steht die Anpassung des Zuwanderungsartikels zur Diskussion. Gestrichen würde die Vorschrift, die Zuwanderung mit Höchstzahlen und Kontingenten zu steuern. Das grundsätzliche Ziel könnte aber beibehalten werden. Diesen Auftrag anerkennt der Bundesrat ausdrücklich: Trotz rückläufiger Zuwanderung sei er der Ansicht, dass die Zuwanderung weiterhin mit geeigneten Massnahmen gesteuert werden solle, heisst es in der Mitteilung.
Auch die Streichung der Umsetzungsfrist bis zum 9. Februar 2017 wird als möglicher Gegenvorschlag herumgereicht. Bis ein solcher zur Abstimmung käme, wäre die Frist aber längst abgelaufen. Der Bundesrat müsste sich wohl vorwerfen lassen, eine Hinhaltetaktik zu verfolgen.
Mit dem Grundsatzentscheid für einen direkten Gegenvorschlag verlängert sich die Behandlungsfrist der RASA-Initiative um ein halbes Jahr. Spätestens am 27. April 2017, 18 Monate nach Einreichung der Initiative, muss der Bundesrat dem Parlament eine Vorlage präsentieren.
Demokratiepolitische Bedenken
Die RASA-Initiative verlangt, den Zuwanderungsartikel ersatzlos zu streichen. Seit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 bestimmt die Verfassung, dass die Schweiz die Zuwanderung mit Höchstzahlen und Kontingenten sowie einem Inländervorrang steuert. Solche Einschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt sind nicht vereinbar mit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU.
Obwohl das das Verhältnis zur EU schwer belastet, lehnt der Bundesrat die Streichung des Zuwanderungsartikels ab. Er sei wie die Initianten der Meinung, dass die bilateralen Verträge erhalten bleiben müssten, schreibt er in der Mitteilung. Der Bundesrat ist aber aus demokratiepolitischen Gründen dagegen, ein Abstimmungsergebnis nach so kurzer Zeit wieder rückgängig zu machen. (awp/mc/pg)