Bern will den Beziehungen zur EU neues Leben einhauchen

Bern will den Beziehungen zur EU neues Leben einhauchen
(Fotolia/pavlofox)

Bern – Der Bundesrat nimmt einen neuen Anlauf, die Beziehungen zur EU auf eine neue Basis zu stellen. Dazu gehört auch die Klärung von umstrittenen institutionellen Fragen. Innenpolitisch sind die ersten Reaktionen verhalten optimistisch. Brüssel reagiert zurückhaltend.

Nach ihrer Absage an ein Rahmenabkommen im vergangenen Mai will die Landesregierung der EU «ein neues Paket für die künftigen Beziehungen» vorschlagen, wie Bundespräsident und Aussenminister Ignazio Cassis am Freitag vor den Medien in Bern bekanntgab. Dieses solle die ganze Palette der Beziehungen mit der EU abdecken.

Die Schweiz strebt etwa neben dem bereits länger gewünschten Binnenmarktabkommen beim Strom auch eine Regelung bei der Lebensmittelsicherheit an sowie Assoziierungsabkommen in den Bereichen Forschung, Gesundheit und Bildung – Stichwort Horizon Europe.

Staatssekretärin Livia Leu soll in den kommenden Wochen erste Sondierungsgespräche in Brüssel führen. Die detaillierten Vorschläge, die der Bundesrat später präsentieren will, würden aber zuerst mit den Kantonen und Sozialpartnern abgesprochen, sagte Cassis. Einen Zeitrahmen nannte er nicht. Dafür sagte er, dass es «ein schwieriger Weg» werden dürfte.

Noch keine roten Linien
Die EU ist seit dem Abbruch der Verhandlungen um ein Rahmenabkommen durch den Bundesrat konsterniert. Ohne institutionellen Rahmen will Brüssel die bilateralen Abkommen nicht einzeln aktualisieren. Sie veralten dann und sind irgendwann nicht mehr anwendbar.

So weit will es der Bundesrat nicht kommen lassen. Er will nun sektorielle Regelungen finden. Fragen wie die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung sowie Ausnahmen und Schutzklauseln sollen also in den einzelnen Binnenmarktabkommen verankert werden.

«Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten», sagte Cassis. Er erwähnte «fünf bis sechs verschiedene Modelle zur Streitbeilegung». Von Beginn weg ausgeschlossen werde nichts. Der Bundesrat verzichte in diesem Stadium bewusst auf die Festlegung roter Linien.

Brüssel wartet auf Erklärungen
Das Problem: Vonseiten der EU war bislang immer zu hören, dass ein vertikaler – oder eben sektorieller – Ansatz keine Option ist. Trotzdem möchte der Bundesrat mit Brüssel sondieren, ob künftig darüber verhandelt werden könnte.

Aus Brüssel war am Freitag noch nichts Substanzielles zu hören. Man wolle abwarten, bis man über die offiziellen Kanäle informiert werde, schriebt die EU-Kommission auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Die Kommission sei aber bereit, sich zu engagieren, «wenn immer unsere Schweizer Partner bereit sind». Alle offenen Punkte müssten angesprochen werden.

Etwas offensiver äusserte sich Andreas Schwab, Vorsitzender der Delegation des EU-Parlaments: «Es ist ausdrücklich zu begrüssen, dass der Bundesrat nach der verfahrenen Situation jetzt mit neuen Vorschlägen kommt.» Wenn die Schweiz eine Lösung zu den wichtigen Fragen über alle Abkommen finden könne, werde Brüssel dafür grosses Interesse zeigen.

«Lohnschutz ist nicht verhandelbar»
Ob es zu einem innenpolitisch mehrheitsfähigen Kompromiss kommt, ist ungewiss. Das Rahmenabkommen war insbesondere am Widerstand der Gewerkschaften und der SVP gescheitert. Weil die SVP eine Annäherung an die EU weiterhin grundsätzlich ablehnt, wird es das Ziel sein, die Kritik von linker Seite verstummen zu lassen.

Es brauche den Willen von Bundesrat und Schweizer Diplomatie, die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit zu verteidigen, war am Freitag aus Arbeitnehmerkreisen zu hören. Der Lohnschutz bleibe zentral und sei «nicht verhandelbar». Die SP bezeichnete die Vorschläge des Bundesrats als «unrealistisch».

Wenn es gelinge, verschiedene Differenzen im Vornherein zu eliminieren, sei der Ausgangslage besser, fasste Justizministerin Karin Keller-Sutter die Ausgangslage zusammen. Nach Gesprächen mit den Sozialpartnern und den Kantonen werde der Bundesrat entscheiden, welche Aspekte er berücksichtige und welche nicht. Danach sei das Parlament am Zug.

Kritik am Horizon-Ausschluss
Klar ist: Ein Vertrag, der institutionelle Fragen für alle bilateralen Abkommen integral klärt, ist für den Bundesrat keine Option. «Der Elefant, das Rahmenabkommen, ist weg», sagte Cassis. Eine Neuauflage werde es nicht geben. Der Bundesrat hoffe, dass nicht alte Diskussionen weitergeführt, sondern neue Ideen eingebracht würden.

Die Regierung stellte selber erstmals so deutlich in Aussicht, im Rahmen des Verhandlungspakets eine Verstetigung des Schweizer Kohäsions- und Migrationsbeitrags zu prüfen. Dies fordert Brüssel seit längerem.

Gleichzeitig kritisierte Wirtschaftsminister Guy Parmelin zum wiederholten Mal, dass die Verknüpfung des Forschungszugangs mit den institutionellen Fragen durch die EU sachfremd sei. «Sie schwächt den europäischen Forschungsplatz.» (awp/mc/pg)

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