Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. (Foto: admin.ch)
Bern – Für die Energiewende will der Bundesrat Lenkungsabgaben einführen. Er hat am Freitag die Vernehmlassung zu einem neuen Verfassungsartikel eröffnet. Dieser würde es dem Bund ermöglichen, Klimaabgaben auf Brenn- und Treibstoffen sowie eine Stromabgabe zu erheben.
Über den Verfassungsartikel kann das Volk abstimmen. Dabei wird es um ein Ja oder Nein zur Energiewende gehen, also zum Ausstieg aus der Atomenergie. Das Volk habe bisher noch keine Gelegenheit gehabt, sich dazu zu äussern, sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf vor den Medien in Bern. Nun erhalte es diese.
Welche Energieträger wie stark belastet werden, würde das Parlament nach einem Ja zum Verfassungsartikel entscheiden. Varianten legt der Bundesrat jedoch bereits jetzt vor. Und er hat schon entschieden, dass er zumindest in einer ersten Phase die Treibstoffe – also Benzin und Diesel – der Lenkungsabgabe nicht unterstellen möchte. Der Bundesrat begründet dies damit, dass das Benzin schon durch andere Projekte belastet wird. So sei im Rahmen des Strassenfonds eine Erhöhung des Mineralölsteuerzuschlags um 6 Rappen pro Liter vorgesehen. Der Entscheid werde aber beim Parlament liegen, betonte Widmer-Schlumpf.
Zweiter Teil der Energiestrategie
Das geplante Klima- und Energielenkungssystem ist Teil der Energiestrategie 2050. Das erste Massnahmenpaket, das sich in der parlamentarischen Beratung befindet, beinhaltet Massnahmen zur Förderung der erneuerbaren Energien. Ab 2021 soll das Fördersystem schrittweise durch ein Lenkungssystem abgelöst werden. Dies hatte der Bundesrat im Grundsatz schon früher beschlossen.
Die Erträge der Lenkungsabgaben sollen an die Bevölkerung und an die Wirtschaft zurückerstattet werden, so dass die Belastung der Haushalte und Unternehmen nicht steigt. Die Höhe der Lenkungsabgaben müsste gemäss dem Entwurf des Verfassungsartikels so bemessen werden, dass sie einen «wesentlichen Beitrag» zur Erreichung der Klima- und Energieziele des Bundes leisten.
Erträge vorübergehend für Förderzwecke
In einer befristeten Übergangszeit soll ein Teil der Erträge aus den Abgaben für die bisherigen Förderzwecke verwendet werden. Die mit der Teilzweckbindung der aktuellen CO2-Abgabe finanzierten Förderungen sollen bis Ende 2025 abgebaut werden.
Ebenfalls abgebaut würde die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), mit welcher heute erneuerbare Energien gefördert werden. Förderzusagen dürften maximal bis Ende 2030 gesprochen werden und wären auf eine Laufzeit bis Ende 2045 beschränkt.
Je weniger Förderung desto mehr Lenkung
Dass in einer Übergangszeit das Förder- und das Lenkungssystem parallel laufen, liegt für Widmer-Schlumpf in der Natur der Sache. Daraus soll aber nicht eine stärkere Belastung resultieren. «Wir lenken so weit, wie wir mit dem Fördern zurückfahren», erklärte die Finanzministerin. Zu Beginn werde die Lenkungswirkung noch gering sein.
Auf Unternehmen, die durch die Erhebung der Abgaben unzumutbar belastet würden, will der Bundesrat Rücksicht nehmen. Auch das soll im Verfassungsartikel verankert werden. Der Spielraum reiche von einer Reduktion der Abgabesätze bis hin zur Befreiung, schreibt er dazu.
Vier Szenarien zur Umsetzung
Zur möglichen Umsetzung des Verfassungsartikels legt der Bundesrat vier Szenarien vor. In Szenario 1 und 2 werden nur auf Brennstoffen und Strom Abgaben erhoben, und zwar eher niedrige. Bei diesen beiden Szenarien bräuchte es zusätzliche Massnahmen, um die Reduktionsziele zu erreichen, heisst es im Bericht. Insbesondere im Verkehr müssten «andere Massnahmen» ergriffen werden.
In Szenario 3 und 4 werden alle Energieträger belastet. Die Klimaabgabe auf Treibstoffen fällt jedoch niedriger aus als jene auf Brennstoffen. Begründet wird dies mit der bestehenden Steuerbelastung beim Benzin und dem drohenden Tanktourismus.
Lenkung nur mit Szenario 4
Einzig mit dem Szenario 4 werde mittelfristig ein eigentlicher Übergang zu einem Lenkungssystem vollzogen, heisst es im Bericht. Die Kilowattstunde Strom würde damit im Jahr 2021 mit 2,3 Rappen pro Kilowattstunde belastet, im Jahr 2030 mit 4,5 Rappen. Der Heizölzuschlag betrüge 32 Rappen (2021) respektive 89 Rappen (2030) pro Liter, der Benzinzuschlag 2,6 Rappen (2021) respektive 26 Rappen (2030).
Die Berechnungen stützen sich auf viele Annahmen, etwa zur Bevölkerungsentwicklung und der Verhaltensanpassung. Entsprechend seien die Schätzungen mit Unsicherheit behaftet, heisst es im Bericht. Dennoch dienten sie als Grundlage. Auf Fragen zu Szenarien bis 2050 warnte Widmer-Schlumpf indes vor einer «Scheingenauigkeit». Für diesen Zeitraum seien die Entwicklungen – auch die technologischen – zu unsicher, um Berechnungen anzustellen.
Die Vernehmlassung zum Verfassungsartikel dauert bis zum 12. Juni. Die Finanzministerin betonte vor den Medien, der Bundesrat verfolge damit einen anderen Weg als die Initiative «Energie- statt Mehrwertsteuer», welche das Stimmvolk am vergangenen Wochenende wuchtig verworfen hatte. (awp/mc/pg)