Bundesrat will mit Massnahmenpaket Lohnschutz gegenüber EU sichern

Bundesrat will mit Massnahmenpaket Lohnschutz gegenüber EU sichern
Wirtschaftsminister Guy Parmelin. (Screenshot)

Bern/Brüssel – Nach über achtzig Gesprächsrunden haben sich Sozialpartner und Kantone auf ein Paket zur inländischen Absicherung des Lohnschutzes verständigt. Ob dieser Kompromiss als Teil des EU-Gesamtpakets die weiteren Etappen im Parlament und an der Urne übersteht, bleibt offen.

Ziel der innenpolitischen Massnahmen zum Lohnschutz ist es einerseits, die mit der EU ausgehandelten Prinzipien «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort», die damit einhergehenden Lohnkontrollen und die Halbierung der Voranmeldefrist für Entsendebetriebe aus dem EU-Raum abzusichern. Andererseits soll der von der EU gewährte Spielraum bei der Spesenfrage genutzt werden, damit ausländische Dienstleistungsbetriebe ihren Angestellten Spesen nach Schweizer Recht entrichten und es zu keinem Lohndumping kommt.

Mehrheitsfähig sind solche Schritte – und damit auch das ganze Paket der neuen EU-Verträge – nur mit der Zustimmung der wichtigsten Akteure. Mitte Februar, über zwei Jahre nach Aufnahme der Gespräche, hatten die Sozialpartner und die Kantone angekündigt, sich geeinigt zu haben. Jedoch war damals vieles noch offengeblieben.

«Mission erfüllt»
Nach rund zwanzig weiteren Gesprächsrunden im Auftrag des Bundesrats und unter der Leitung der zuständigen Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger Artieda, scheint ein Kompromiss gefunden: Auf dem Tisch liegt ein Paket von vierzehn Massnahmen – auf dreizehn davon haben die Sozialpartner und die Kantone verständigt.

Diese Massnahmen seien in den vergangenen Wochen «erfolgreich konkretisiert» worden, sagte Wirtschaftsminister Guy Parmelin am Freitag in Bern vor den Medien. Es gebe eine Lösung, die den Lohnschutz sichere. «Wir haben die Mission erfüllt – nicht mehr und nicht weniger.»

Die Massnahmen fokussieren sich hauptsächlich auf die sensiblen Branchen des Baugewerbes und richten sich in erster Linie an Betriebe aus dem EU-Raum. Für inländische Betriebe werden laut dem Bundesrat keine wesentlichen neuen Regeln geschaffen. Der flexible Arbeitsmarkt werde nicht unverhältnismässig eingeschränkt.

Drei Kategorien
Die Massnahmen lassen sich in drei Kategorien einteilen. Zur ersten gehören Schritte dort, wo mit Brüssel keine Einigung erzielt werden konnte. Darunter fällt etwa die Spesenregelung für in die Schweiz entsandte Arbeitnehmer. «Wir haben eine gute Lösung gefunden, damit über die Spesen kein Lohndumping geschehen kann», sagte Budliger Artieda.

Zur zweiten Kategorie gehören Massnahmen für die direkte Kompensation von Zugeständnissen an die EU. Eines davon ist die von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage verkürzte Voranmeldefrist für entsandte Betriebe.

Massnahmen, die mit Befürchtungen aufräumen sollen, dass die Dienstleistungssperre als Sanktionsmöglichkeit im Entsendegesetz unter Druck kommen könnte, bilden den dritten Block. Diese Sperre ist laut dem Bundesrat eine wichtige Massnahme. 2023 wurde sie über 600 Mal verhängt.

Schutz von Personalvertretungen
Weitere Massnahmen sollen die sozialpartnerschaftlichen Strukturen beim Lohnschutz und bei allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträgen gewährleisten. Letztere sollen bestehen bleiben. Zudem soll der Rechtsschutz für inländische Betriebe verbessert werden, die einem allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag unterstellt werden.

Zusätzlich will der Bundesrat einen weiteren Punkt in die Vernehmlassungsvorlage für das Gesamtpaket mit der EU aufnehmen. Er schlägt einen verbesserten Kündigungsschutz vor für gewählte Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter, für Mitglieder eines Organs einer Personalvorsorgeeinrichtung und für Mitglieder nationaler Branchenvorstände, die im Rahmen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages tätig sind.

Der Bundesrat reagiert damit auf eine Rüge der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Konkret wird der Schweiz vorgeworfen, die Menschenrechte beim Kündigungsschutz von gewerkschaftlich aktiven Arbeitnehmenden zu verletzen.

«Ein fragiler Kompromiss»
«Für die Gewerkschaften braucht es diese vierzehnte Massnahme, damit für sie das Gesamtpaket stimmt», sagte Budliger Artieda. Wenn die Schweiz internationale Verpflichtungen eingehe, sei es schon wichtig, dass diese auch eingehalten würden.

Für die Arbeitgeberseite ist die neue Massnahme des Bundesrats eher ein Dorn im Auge. «Uns ist es gelungen, ein Paket zu schmieden, das alle etwas glücklich macht und alle etwa im gleichen Mass unglücklich macht», sagte die Staatssekretärin dazu.

Wirtschaftsminister Parmelin äusserte sich ebenfalls vorsichtig optimistisch. Ziel sei es, bis zum Ende der Vernehmlassung im Herbst alle wichtigen Player mit an Bord zu haben. «Es ist ein fragiler Kompromiss.» Die Zukunft werde zeigen, wie nachhaltig dieser sei.

Die wichtigsten Fragen und Antworten:

WORUM GEHT ES?

Insbesondere die Gewerkschaften befürchteten mit der allfälligen Erweiterung der bilateralen Abkommen mit der EU einen erhöhten Druck auf die Schweizer Löhne. Um dem entgegenzuwirken, führten die Sozialpartner und die Kantone unter der Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) seit Dezember 2022 Gespräche über Massnahmen zur inländischen Absicherung des Lohnschutzniveaus.

WER NAHM AN DEN GESPRÄCHEN TEIL?

Die Gespräche wurden mit den Dachverbänden der Sozialpartner geführt. Das sind arbeitgeberseitig der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) und der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) und arbeitnehmerseitig der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail Suisse. Von den Kantonen nahmen Vertretende der Konferenz der Kantonsregierungen (KDK) sowie der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektorinnen und -direktoren (VDK) teil.

WAS ERGABEN DIE GESPRÄCHE?

Die Sozialpartner und die Kantone einigten sich im Februar in einer «gemeinsamen Verständigung» auf Massnahmen zum Lohnschutz. Der Bundesrat schlug in der Folge darauf basierend 13 Massnahmen vor. Nun hat er dieses Paket beschlossen – und eine weitere Massnahme hinzugefügt.

IN WELCHEN BEREICHEN GREIFEN DIE MASSNAHMEN?

Die Massnahmen der gemeinsamen Verständigung teilte der Bundesrat in drei Kategorien auf: Massnahmen, um Zugeständnisse zu kompensieren; Massnahmen, um die Dienstleistungssperre zu sichern; und Massnahmen zum Schutz des Schweizer Spesenniveaus.

WELCHE ZUGESTÄNDNISSE MÜSSEN KOMPENSIERT WERDEN?

Bei den Verhandlungen hat die Schweiz eingewilligt, die Voranmeldefrist für grenzüberschreitende Dienstleistungserbringer von acht Kalendertagen auf vier Arbeitstage zu reduzieren. Weiter kann eine Kaution nur noch verlangt werden, wenn beim letzten Einsatz ein Verstoss festgestellt wurde. In diesem Bereich seien insgesamt acht Massnahmen vorgesehen, schreibt der Bundesrat. Sie sollen bezwecken, dass die Meldungen von Dienstleistungserbringern aus dem EU-Raum schneller an die Kontrollorgane gelangen, sie sollen die Kontrollen zur Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen erleichtern und die Prävention zur Verhinderung von Missbräuchen stärken.

WIE SOLL DIE DIENSTLEISTUNGSSPERRE GESICHERT WERDEN?

Dafür beschloss der Bundesrat zwei Massnahmen: die Beibehaltung der bisherigen Regelung zur Dienstleistungssperre im Entsendegesetz und die Teilnahme am Binnenmarktinformationssystem der EU. Allgemein hält der Bundesrat fest, dass die Sperren ein wichtiges Element im Vollzug des Entsendegesetzes seien. Im Jahr 2023 sei es über 600 Mal angewendet worden. Es bestehe die Befürchtung, dass dieses Element seitens der EU unter Druck geraten könnte.

WELCHE MASSNAHMEN WERDEN IM BEREICH DER SPESEN GETROFFEN?

Der Schweiz wurde bei der Spesenregelung von der EU in den Verhandlungen keine Ausnahme gewährt. Das bedeutet, dass das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» lediglich für den Lohn, aber nicht für die Spesen gilt. Als Massnahme dagegen sollen die Schweizer Spesen im Schweizer Recht sichergestellt werden.

WELCHE WEITERE MASSNAHMEN GIBT ES?

Der Bundesrat verfolgt mit zwei Massnahmen das Ziel, die sozialpartnerschaftlichen Strukturen beim Lohnschutz zu sichern, wie er schreibt. Dafür sollen die bereits heute als allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge gesichert und ein verbesserter Rechtsschutz für inländische Betriebe, die einem allgemeinverbindlich erklärten GAV unterstellt werden sollen, geschaffen werden.

WAS IST DIE NEUE MASSNAHME DES BUNDESRATS?

Er schlägt einen verbesserten Kündigungsschutz für gewählte Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter, für Mitglieder eines Organs einer Personalvorsorgeeinrichtung und für Mitglieder nationaler Branchenvorstände vor, die im Rahmen eines allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrages tätig sind.

WIE GEHT ES WEITER?

Die beschlossenen Massnahmen fliessen in die Vernehmlassungsvorlage zum Paket Schweiz-EU ein. Diese wird vor der Sommerpause 2025 erwartet.

AB WANN SOLLEN DIE NEUEN REGELN GÜLTIG SEIN?

Laut dem Bundesrat wurde mit der EU vereinbart, dass das Verhandlungsergebnis beim Lohnschutz und die Übernahme des EU-Entsenderechts drei Jahre nach Inkrafttreten des angepassten Freizügigkeitsabkommens umgesetzt werden. Die Aktualisierung des Abkommens bedingt die Zustimmung des Bundesrats, der eidgenössischen Räte und allenfalls des Schweizer Stimmvolks. Auch auf EU-Seite müssen die Gesetzesgeber dem Vertrag zustimmen.

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