Bern – Der Bundesrat will den Strommarkt vollständig öffnen. Auch Haushalte und kleine Gewerbebetriebe sollen künftig ihren Stromlieferanten frei wählen können. Sie haben aber ebenso das Recht, in der Grundversorgung mit regulierten Tarifen zu bleiben. Seit 2008 hat sich der Strommarkt stark verändert. Getrieben wird diese Entwicklung vom technologischen Fortschritt bei der erneuerbaren Stromproduktion und den digitalen Technologien, der Preisentwicklung der fossilen Energien und des CO2 sowie von neuen energie- und klimapolitischen Zielen der Schweiz und ihrer europäischen Nachbarn. Der Bundesrat hat vor diesem Hintergrund entschieden, für den Schweizer Strommarkt neue Rahmenbedingungen zu schaffen. Er hat an seiner Sitzung vom 17. Oktober 2018 dazu die Revision des Stromversorgungsgesetzes (StromVG) in die Vernehmlassung gegeben. Im Zentrum stehen die Versorgungssicherheit, in effizient funktionierender, offener Markt sowie neue Netzregulierungen, die den Ausbau der dezentralen, erneuerbaren Stromproduktion unterstützen sollen. Die Vernehmlassung dauert bis am 31. Januar 2019. Dies teilt das Bundesamt für Energie mit.
Der Strommarkt verändert sich stark. Das beeinflusst das komplexe Zusammenspiel zwischen Stromproduktion, Stromhandel, Stromverteilung und Stromverbrauch. Mit dem Energiegesetz, das die Stimmbevölkerung im Mai 2017 gutgeheissen hat, wurde ein erstes Massnahmenpaket beschlossen, um dem sich wandelnden Umfeld gerecht zu werden. Es enthält neben dem Verbot des Baus neuer Kernkraftwerke Massnahmen, um den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen sowie die Produktion aus erneuerbaren Energien zu stärken. Zur Modernisierung des Stromnetzes hat das Parlament ebenfalls gesetzliche Änderungen beschlossen (Strategie Stromnetze). Diese treten voraussichtlich im zweiten Quartal 2019 in Kraft. Für die Zeit nach 2025 soll zudem ein flexibles Wasserzinsmodell eingeführt werden, das der Marktentwicklung besser Rechnung trägt. Ergänzend kommt nun ein Paket von Massnahmen hinzu, um auch die Rahmenbedingungen für den Schweizer Strommarkt an die Marktentwicklungen anzupassen.
Die wichtigsten Eckpunkte sind:
Vollständige Öffnung des Strommarkts:
Sie wurde vom Parlament bereits im geltenden StromVG beschlossen, bisher aber nicht umgesetzt. Heute werden schon fünf Sechstel des gesamten Stromvolumens der Schweiz auf dem freien Markt beschafft. Über 99% der Endverbraucher, kleine Konsumenten und Betriebe, sind jedoch in der Grundversorgung gefangen. Sie sollen künftig in den freien Markt wechseln können und von dort auch wieder zurück in die regulierte Grundversorgung. So können sie durch ihre Entscheidungen – die Wahl ihres Stromlieferanten oder ihres Stromprodukts, ihre Entscheidung für Eigenproduktion oder die Nutzung ihrer Flexibilität beim Stromverbrauch – die für sich attraktivste Art der Versorgung wählen. Sie beeinflussen so auch die weitere Entwicklung der Stromversorgung. Dadurch werden sich innovative Produkte, Dienstleistungen und die Digitalisierung rascher durchsetzen können. Ein offener Strommarkt ist zudem eine wichtige Voraussetzung für die weitere Verbreitung der Sektorkopplung, das heisst der optimal koordinierten Nutzung der leitungsgebundenen Energieträger wie beispielsweise Power-to-Gas, Wärmekraftkopplung oder Elektromobilität.
Erneuerbarer Schweizer Strom für die Grundversorgung: Endkunden, die in der geschützten Grundversorgung bleiben möchten, sollen künftig standardmässig ausschliesslich Strom aus der Schweiz erhalten, welcher zudem zu einem Mindestanteil aus erneuerbaren Energien produziert werden muss. Damit wird insbesondere die Schweizer Wasserkraft gestärkt: Sie erhält einen festen Platz im Schweizer Markt.
Speicherreserve als Energieversicherung:
Die Schweiz verfügt über ausreichende Kraftwerkskapazitäten: Installiert sind heute rund 20 Gigawatt (20 Milliarden Watt) an Leistung. Auch in der Zeit nach Ausserbetriebnahme der Schweizer Kernkraftwerke reicht die installierte Leistung aus (ca. 16.5 Gigawatt), um den inländischen Bedarf abzudecken. Dieser liegt heute bei maximal 11 Gigawatt. Die Versorgungssicherheit der Schweiz ist auch künftig, mindestens bis 2025, gesichert. Das zeigen Systemanalysen des Bundesamts für Energie und der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom). Dies auch wegen der sehr guten physischen Einbindung der Schweiz im europäischen Stromnetz, die durch das geplante Stromabkommen mit der EU auch markttechnisch abgesichert werden soll. Aufgrund dieser Ausgangslage soll im Schweizer Strommarkt wie bisher auch künftig nur die erzeugte Energie gehandelt und vergütet werden („Energy Only Markt“) und keine zusätzliche staatliche Förderung für Investitionen in Kraftwerksleistung/-kapazitäten erfolgen. Im Sinne einer «Energieversicherung» soll aber eine Speicherreserve eingerichtet werden, um die Schweiz auch in unvorhersehbaren Extremsituationen sicher zu versorgen. Sie soll jährlich durch die nationale Netzgesellschaft Swissgrid ausgeschrieben und über die Netznutzungstarife finanziert werden. Alle Betreiber von Energiespeichern am Schweizer Stromnetz können an der Ausschreibung für die Speicherreserve teilnehmen (Speicherwasserkraftwerke, Kehrichtverbrennungsanlagen, Batterien, etc.), sofern sie technisch dafür geeignet sind.
Anreize für optimale Netznutzung:
Der Umbau zu einer vermehrt regionalen Stromversorgung wird in den nächsten Jahrzehnten den Um- und Ausbau der Verteilnetze erfordern. Der Ausbau hängt wesentlich von der Höchstlast ab, die das Netz bewältigen muss. Um Anreize für eine möglichst schonende Netznutzung zu setzen und so teure Ausbauten zu vermeiden, werden die Netznutzungstarife im Sinne einer höheren Verursachergerechtigkeit angepasst. Neu erhält die vom Endverbraucher bezogene Leistung (Kilowatt) gegenüber der bezogenen Energie (Kilowattstunden) mehr Gewicht.
Flexibilität:
Mit Flexibilität, das heisst mit der gezielten zeitlichen Beeinflussung von Verbrauch und Erzeugung, kann der Betrieb der Verteilnetze optimiert werden. Das trägt zur Versorgungssicherheit bei und kann ebenfalls teure Netzausbauten vermeiden. Neu wird gesetzlich festgeschrieben, dass alle Endkunden, Produzenten und Speicherbetreiber Inhaber ihrer Flexibilität sind. Sie können somit grundsätzlich frei entscheiden, wie sie ihre Flexibilität nutzen wollen. Das unterstützt neue Geschäftsmodelle und die Digitalisierung. Will der Verteilnetzvertreiber die Flexibilität nutzen, muss er die Inhaber entsprechend entschädigen. Kleine Flexibilitätsanbieter, zum Beispiel Haushalte, können ihre Flexibilität auch über Aggregatoren oder andere Dritte vermarkten.
Sunshine-Regulierung:
Die ElCom analysiert heute schon jährlich die unternehmerischen Leistungen der Schweizer Verteilnetzbetreiber. Neu wird die sogenannte Sunshine-Regulierung („Sunshine“: Licht, Transparenz) gesetzlich abgesichert und die Resultate werden durch die ElCom veröffentlicht. Die Endkunden können die Unternehmen so direkt vergleichen. Dadurch werden die Unternehmen motiviert, ihre Leistungen und Kosteneffizienz laufend zu verbessern. Falls die angestrebten Verbesserungen bei der Kosteneffizienz ungenügend sind, soll eine strengere Anreizregulierung eingeführt werden.
Wahlfreiheiten im Messwesen:
Die Preise der von den Netzbetreibern erbrachten Messdienstleistungen sind heute teils massiv überhöht und es gibt Qualitätsprobleme bei der Datenbereitstellung. Grössere Endverbraucher (Jahresverbrauch von mindestens 100’000 Kilowattstunden) sowie grössere Elektrizitätserzeuger und Speicherbetreiber (Anschlussleistung von mindestens 30 kVA) sollen ihren Messdienstleister künftig frei wählen dürfen, um damit Wettbewerb und Kosteneffizienz im Messdienstleistungsmarkt zu fördern. Für kleinere Endverbraucher, Produzenten und Speicherbetreiber bleibt ausschliesslich der lokale Verteilnetzbetreiber zuständig, dessen Messtarife werden aber von der ElCom überprüft. (BFE/mc/cs)