Bern – Nach einem veritablen Coup des Urner FDP-Ständerats Josef Dittli geht die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) in eine Zusatzschlaufe. Der Ständerat hat einen Rückweisungsantrag angenommen und das Paket erneut in die Kommission zurückgeschickt. Diese soll einen Kompromissvorschlag Dittlis zur Kompensation der Übergangsgeneration prüfen.
Isabelle Chassot (Mitte/FR) hatte den Rückweisungsantrag am Mittwoch eingereicht und reagierte damit auf den von Dittli überraschend und kurzfristig eingereichten Kompromissvorschlag. Der Rat sprach sich dann nach über dreistündiger Debatte mit 28 zu 15 Stimmen bei 2 Enthaltungen für die Rückweisung aus. Dagegen stimmten die Vertreter der SVP sowie einige Mandatsträger von Mitte und FDP.
Dittli will beim Anrechnungsprinzip für die Übergangsgeneration eine Schwelle einführen: Wer ein Vorsorgekapital von bis zu 215’100 Franken angespart hat bis zur Pensionierung, würde auf jeden Fall einen Kompensationsbeitrag erhalten. Wer über diesem Betrag liegt, für den würde das normale Anrechnungsprinzip gelten, wie es der Nationalrat beschlossen hat. Der Bezügerkreis würde sonst zu gross, so Dittli.
Chancenlos und zu teuer
Sein Kompromissvorschlag würde im Gegensatz zur Lösung der Mehrheit der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-S) nur knapp 12 Milliarden statt rund 25 Milliarden Franken kosten, rechnete Dittli vor. Die vom Nationalrat gutgeheissene Version würde mit rund 9 Milliarden Franken zu Buche schlagen.
Die Kommissionsversion habe keine Chance im Ständerat, weil sie zu teuer sei und zu weit gehe, begründete Dittli seinen Einzelantrag. Er hatte bisher den Mehrheitsvorschlag der ständerätlichen Kommission vertreten, meinte nun aber: «Wir brauchen eine bessere und gezieltere Lösung für die Übergangsgeneration.»
Kritik an Schnellschuss
Die Torpedierung des Mehrheitsvorschlags der Kommission durch den Vertreter eben dieser Kommissionsmehrheit kam im Rat nicht überall gut an. «Wir sind in der Kommissionsarbeit vom Weg abgekommen», kritisierte Hannes Germann (SVP/SH). So etwas habe er bisher noch nie erlebt.
Der Vorschlag der knappen Kommissionsmehrheit verflüchtige sich wie ein Stück Zucker in warmem Tee, brachte auch Pirmin Bischof (Mitte/SO) seine Verwunderung über das ungewöhnliche Vorgehen Dittlis zum Ausdruck. Eine Rückweisung sei aber angezeigt, um keine Kompromisslösung übers Knie zu brechen. Leider habe Dittli wohl kalte Füsse bekommen, bedauerte Paul Rechsteiner (SP/SG).
Alex Kuprecht (SVP/SZ) bat den Rat, nun zu entscheiden. Auch wenn man die Sache nochmals in die Kommission schicke, würden keine neuen Zahlen zu den Kosten herauskommen.
Dringend notwendige Reform
Das Reformpaket müsse am Schluss eine überzeugende Stabilität aufweisen, damit es an der Urne eine Chance habe. Deshalb sprach sich auch Gesundheitsminister Alain Berset für den erneuten Gang des Geschäfts in die Kommission aus. Die Konsequenzen aus Dittlis Vorschlag müsse man genau kennen.
Zuvor hatte der Ständerat eine ausführliche Eintretensdebatte geführt. Dabei bezeichneten fast ausnahmslos alle Rednerinnen und Redner die Reform als dringend notwendig. Das BVG habe ein Demografie-, ein Umverteilungs- und ein Modernisierungsproblem, sagte Kommissionspräsident Erich Ettlin (Mitte/OW). Die derzeit geltende Regelung beruhe auf dem Arbeitsmarkt der Siebzigerjahre.
«Heute ist ein wichtiger Tag für die soziale Zukunft unseres Landes», führte Damian Müller (FDP/LU) aus. Die Zeit der Sonntagspredigten sei vorbei. Es liege kein Franken Renteneinbusse drin. Die Kaufkraft der tiefen Renten müsse gewährleistet sein. Der Ständerat dürfe nun keine soziale Kälte zeigen.
Der Gleichstellung näherkommen
Für Maya Graf (Grüne/BL) kommt die Schweiz mit der Reform der Gleichstellung in der beruflichen Vorsorge näher. Für viele Frauen seien die Renten heute oft unwürdig tief.
Kuprecht führte aus, die Reform müsse zielgerichtet sein und nur denjenigen zukommen, die effektiv von der Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent betroffen seien. Und betroffen seien gerade einmal 15 Prozent der BVG-Versicherten, ergänzte Bischof.
«Das heutige System ist besser als die Revision», wandte sich Ruedi Noser (FDP/ZH) klar gegen die Kommissionsvorlage. Sie werde die Administration explodieren lassen. Und man schaffe damit auf dreissig Jahre hinaus eine Umverteilung der Kosten von der AHV in die Pensionskassen.
Umstrittene Dauer des Zuschlags
Zur Kompensation der unbestrittenen Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,0 Prozent wollte die Ständeratskommission die ersten zwanzig Jahrgänge der Übergangsgeneration lebenslang mit einem Zuschlag ausstatten. Dies hatten die Grünliberalen im Nationalrat noch erfolglos beantragt. Der Nationalrat möchte den Zuschlag nur an 15 Jahrgänge auszahlen.
Geringverdiener sollen laut Vorschlag der SGK-S grundsätzlich eine höhere Pensionskassenrente erhalten. Allerdings will sie die Eintrittsschwelle weniger tief ansetzen als der Nationalrat.
Mit dem grosszügigeren Paket als der Nationalrat wollte die SGK-S die Chancen der Reform an der Urne erhöhen. Nicht nur Links-Grün war nach der Diskussion in der grossen Kammer im vergangenen Dezember überzeugt, dass deren Beschlüsse an der Urne nicht mehrheitsfähig seien.
Nun hat der Ständerat mit der Rückweisung des Geschäfts ein neues Kapitel eröffnet. (awp/mc/pg)