Bern – Nur ein «Zückerchen für die Bevölkerung» oder eine «Nebelpetarde»: Die Gastro- und Gewerbebranche sowie die SVP reagierten erzürnt auf die «zögerliche» Strategie des Bundesrates. Die anderen Parteien die GDK und die Gewerkschaften hingegen stellen sich angesichts der unsicheren epidemiologischen Lage hinter den Plan der Regierung.
Der Bundesrat foutiere sich um die Empfehlungen der direkt betroffenen Branche, sagte Casimir Platzer, Präsident von Gastrosuisse, am Freitag vor den Medien. Das zögerliche Vorgehen der Regierung sei für den Verband für Hotellerie und Restauration unverständlich.
Eine mögliche Öffnung von Terrassen sei nur für wenige Betriebe eine Lösung und quasi ein «Zückerchen für die Bevölkerung». Platzer appellierte deshalb an die Kantone, in der Vernehmlassung zugunsten des Gastgewerbes zu intervenieren. Die Branche brauche eine Perspektive, und die Bevölkerung wolle ihr Leben zurück.
Ins gleiche Horn stösst der Schweizerische Gewerbeverband (sgv): Mit der Teststrategie und weiteren Massnahmen wie den Schutzkonzepten, dem Contact Tracing und der Ausweitung des Impfprogramms wäre eine vollständige Öffnung der Wirtschaft möglich.
Es sei deshalb unverständlich, warum der Bundesrat eine solch zögerliche und perspektivlose Öffnungsstrategie fahre. Er ignoriere damit den Willen von Parlament, Wirtschaft und Kantonen, die eine Beendigung des Lockdowns verlangten.
Der Arbeitgeberverband (SAV) und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ihrerseits kritisieren vor allem, dass der Bundesrat die Homeoffice-Pflicht beibehalten will. Die in Aussicht gestellten Öffnungsschritte hingegen werden begrüsst.
«Alibi-Vernehmlassung»
Auch für die FDP gehen die Vorschläge des Bundesrates als «Schritte in die richtige Richtung». Doch bezüglich der längerfristigen Schritte zurück zur Normalität bleibe der Bundesrat leider sehr vage, was die Planbarkeit für die Menschen, Unternehmen und Kulturbetriebe weiterhin verunmögliche. Eine langfristige Vision scheine noch immer nicht zur Tagesordnung zu gehören.
Die SVP wirft dem Bundesrat vor, den Kantonen eine «Alibi-Vernehmlassung» ohne konkrete Öffnungstermine und ohne verbindliche Datenbasis vorzulegen. Die möglichen Lockerungen bezeichnete die Partei als «willkürlich und unverständlich». Damit verliere die Regierung weiter an Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung.
Kantone und Mitte-Links halten zu Bundesrat
Bei der Gesundheitsdirektorinnen- und -direktorenkonferenz (GDK) hingegen hiess es auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, die Kantone hätten sich in der letzten Anhörung grundsätzlich hinter das vorsichtige und schrittweise Vorgehen des Bundesrates gestellt. Eine weitgehende oder vollständige Aufhebung der Massnahmen sei momentan mit grossen Risiken verbunden.
Unterstützung erhält die Regierung auch von Mitte-Links und den Gewerkschaften: Die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung und ein intaktes Gesundheitssystem hätten absolute Priorität, teilte die SP auf Anfrage von Keystone-SDA mit. Deshalb müsse die epidemiologische Entwicklung die Grundlage für die Entscheide des Bundesrates bilden.
Aufgrund der aktuellen Lage sei nach wie vor Vorsicht geboten, hiesst es auch bei der Mitte. Die vorgesehenen Öffnungen gingen grundsätzlich in die richtige Richtung. Erfreut zeigt sich die Partei insbesondere darüber, dass die für Familien nicht praktikable 5-Personen-Regel in Innenräumen aufgehoben werden soll.
Auch die Grüne Partei befürwortet die Verknüpfung weiterer Öffnungsschritte mit der epidemiologischen Entwicklung. Nur wenn sich die Schweiz an ein von vielen gefordertes Ampelsystem halte, sei die schrittweise Öffnungsstrategie auch sicher, wird Grünen-Präsident Balthasar Glättli in einer Mitteilung zitiert.
Hoffnung auf baldige Öffnung
Als richtig erachten auch die Grünliberalen das Vorgehen des Bundesrates. Die Situation sei fragil, die weitere Entwicklung unklar, schrieb GLP-Präsident Jürg Grossen auf Twitter. Gleichzeitig biete die Regierung Perspektiven. «Ich hoffe sehr, dass bald Öffnungsschritte machbar sind – das würde uns allen gut tun», schrieb Grossen.
Für die Gewerkschaft Travail.Suisse schliesslich ist es «klar», dass die Schweiz auf dem vorsichtigen Weg schneller aus der Krise komme. Die geplanten Lockerungen seien angesichts der epidemiologischen Lage deshalb als Maximalvorschläge zu betrachten. Denn es gelte, einen Jo-Jo-Effekt zu verhindern, der bei einer zu schnellen Öffnung eintreten könnte. (awp/mc/pg)