Zürich – Zwei Jahre nach der Aufhebung der Untergrenze beim Euro/CHF-Wechselkurs und der Einführung von Negativzinsen dürfte die Schweizerische Nationalbank (SNB) 2017 einen – wenn auch deutlich sanfteren – Richtungswechsel vollziehen. Gemäss den Ökonomen der Credit Suisse wird sie im kommenden Jahr einen stärkeren Franken eher tolerieren bzw. weniger aktiv am Devisenmarkt intervenieren. Immer mehr Exportbranchen haben ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen und die Binnenwirtschaft wächst robust, wenn auch mit unterdurchschnittlicher Dynamik. Zudem zeigt eine vertiefte Analyse im Monitor Schweiz, dass der Franken auf lange Sicht eine fundamental starke Währung bleiben wird, ist er doch das Spiegelbild des Erfolges äusserst produktiver Exportbranchen. An den Negativzinsen dürfte die SNB hingegen, bis mindestens Ende 2017 festhalten. Insgesamt wird die Schweizer Wirtschaft gemäss Prognosen der Credit Suisse 2017 um 1.5% wachsen.
Der Exportsektor ist gemäss Einschätzung der Ökonomen der Credit Suisse weitgehend über den Berg. «Zwar gibt es durchaus Branchen, in denen das Exportvolumen weiterhin schrumpft und in den meisten Branchen ist der Personalbestand nach wie vor rückläufig. Doch nimmt deren Zahl sukzessive ab», sagt Oliver Adler, Leiter Economic Research der Credit Suisse. Die Unterschiede zwischen den Branchen sind zudem bereits deutlich geringer als während der Zeit der «Verdauung» der vorangegangenen Frankenaufwertungen und massiv kleiner als in der Finanzkrise 2008/09. «Dies deutet darauf hin, dass immer mehr Branchen ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen», so Oliver Adler weiter. Am Beispiel des Maschinenbaus wird im Monitor Schweiz jedoch der Leidensweg einer besonders wechselkurssensitiven Exportbranche aufgezeigt. So hinkt das Umsatzwachstum dieser Branche in einheimischer Währung derjenigen seines deutschen Pendants seit 2010 um beinahe 40% hinterher.
Schwächere Zuwanderung mindert Konsumwachstum
Dank der Erholung der Exportwirtschaft ist auch ein Einbruch der Binnennachfrage unwahrscheinlich geworden. Entsprechend gehen die Ökonomen der Credit Suisse davon aus, dass die Binnenwirtschaft auch 2017 eine Stütze des Schweizer Wirtschaftswachstum sein wird. Die inländischen Wachstumsimpulse werden jedoch abermals nur verhalten ausfallen. Gegen eine Beschleunigung des privaten Konsums sprechen drei Faktoren: Erstens dürfte die zuwanderungsbedingte Mehrnachfrage rund einen Fünftel tiefer ausfallen als im Vorjahr, wird sich doch die Zuwanderung wohl weiter abschwächen. Zweitens ist die Zeit steigender Kaufkraft dank sinkender Teuerung vorbei – den verhaltenden Lohnerhöhungen steht ein wieder leicht steigendes Preisniveau gegenüber. Und drittens bleibt die Konsumentenstimmung wegen anhaltender Unsicherheiten am Arbeitsmarkt wahrscheinlich gedrückt.
Staat hält sich trotz Zinsvorteil zurück
Dass der Staat als Nachfragetreiber in die «Bresche» springt und der Binnenwirtschaft zu mehr Schwung verhilft, ist gemäss den Ökonomen der Credit Suisse unwahrscheinlich. Tiefere bzw. sogar negative Refinanzierungskosten würden zwar dafür sprechen. Diese bescheren dem Bund jährliche Ersparnisse von über CHF 200 Mio. und den Zinsaufwand der Kantone haben sie um rund CHF 1,6 Mrd. verringert. Doch anstatt Schulden anzuhäufen und daran zu verdienen, hält sich insbesondere der Bund bei Emissionen zurück. «Da nachhaltiges Wachstum fördernde Zusatzausgaben nicht ohne weiteres umgesetzt werden können, ist dies verständlich», erläutert Oliver Adler. Zur Milderung des Margenschwunds im Exportsektor taugen fiskalische Stimuli nicht.
Tiefzinsumfeld beflügelt Immobilieninvestition
Beschleunigen sollten sich demgegenüber die Bauinvestitionen. Ausschlaggebend dafür ist primär der Wohnungsbau, welcher weiterhin Rückenwind durch das Umfeld sehr tiefer Zinsen erhält (Stichwort: Anlagenotstand). Weil das Angebot an Wohnungen rascher steigt als die Nachfrage, dürften die Leerstände weiter zunehmen. «Knapp zwei Jahre nach Einführung der Negativzinsen lässt sich der Schluss ziehen, dass diese den Immobilienmarkt wohl zu stark stimuliert haben», sagt Oliver Adler. Sollte das Umfeld tiefer oder negativer Zinsen anhalten, werden sich die Probleme bei der Finanzierung der Altersvorsorge verschärfen. Immerhin ist das offensichtlichste Risiko der Negativzinsen, dass Anleger ihre Bankeinlagen in Bargeld umschichten, bisher nicht eingetroffen.
SNB: Unveränderte Zinsen, aber weniger Interventionen 2017
Angesicht deren Nebenwirkungen gehen die Ökonomen der Credit Suisse davon aus, dass die SNB die Negativzinsen 2017 nicht weiter senken wird. Umgekehrt ist aber auch eine Zinserhöhung vorerst kein Thema. Die Ökonomen der Credit Suisse prognostizieren jedoch, dass die SNB im Verlauf des Jahres 2017 weniger aktiv am Devisenmarkt intervenieren wird und einen stärkeren Franken tolerieren könnte. Die SNB dürfte ihre Fremdwährungskäufe allerdings nicht explizit und abrupt einstellen und sie wird wohl auch künftig auf markante Aufwertungsschübe mit verstärkten Devisenmarktinterventionen reagieren. Der Franken wird gemäss den Prognosen der Credit Suisse gegenüber dem Euro überbewertet bleiben.
Schweiz weist Symptome der «holländischen Krankheit» auf
«Die Aufwertung des Frankens ist auch das Resultat hoher Gewinne im Handel mit dem Ausland», sagt Maxime Botteron, Autor einer Analyse zur Leistungsbilanz im Monitor Schweiz. So erzielt die Schweiz trotz Frankenstärke aus dem internationalen Handel und im grenzüberschreitenden Vermögenseinkommen einen Überschuss von rund CHF 65 Mrd. pro Jahr oder 10% des Bruttoinlandprodukts (BIP). Dieser hohe Überschuss ist schwergewichtig auf einige wenige, hochproduktive Branchen zurückzuführen, namentlich die Pharmaindustrie, die Uhrenindustrie, den Rohstoffhandel (Transithandel) und die Finanzdienstleistungen. Entsprechend weist die Schweiz durchaus Symptome der «holländischen Krankheit» auf, also einer Währungsstärke, welche von einem Exportboom weniger Branchen getrieben wird. Der Befund, dass die Überschussbranchen fundamental stark sind, wird dadurch unterstrichen, dass die Frankenaufwertung bisher wenig Einfluss auf deren Exporte hatte. Die Frankenstärke ist demnach bildlich gesprochen die Kehrseite der fundamentalen Stärke einiger Exportbranchen. Solange diese erfolgreich bleiben, wird auch der Franken zu struktureller Stärke neigen. Die Überschussbranchen aktiv zu schwächen oder ihre Überschüsse speziell zu besteuern wäre gemäss den Ökonomen der Credit Suisse kontraproduktiv. Die Politik hat also kaum Mittel, die Frankenstärke zu verhindern. Und die Geldpolitik sollte sich auf die Reduktion von temporären Überbewertungen beschränken. (CS/mc)