Zürich – Die Ökonomen der Credit Suisse gehen in der aktuellen Ausgabe des «Monitor Schweiz» der Frage nach, warum die Prognosen nach politischen Ereignissen oft zu pessimistisch sind. Es zeigt sich, dass die diffuse politische Unsicherheit, wie sie anhand von Medienberichten gemessen werden kann, kein gutes Prognoseinstrument ist. Unternehmen wägen nämlich die Umsetzungswahrscheinlichkeit politischer Entscheide ziemlich genau ab. In der jüngeren Vergangenheit reagierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) zudem gemäss einer Analyse der Ökonomen der Credit Suisse jeweils mit vermehrten Devisenmarktinterventionen auf politische Unsicherheit und mildert entsprechend deren Einfluss auf die Realwirtschaft. Ihre vierteljährliche Wachstumsprognose für die Schweizer Wirtschaft belassen die Ökonomen der Credit Suisse für 2017 bei 1,5%. Für 2018 gehen sie von einer leichten Beschleunigung des Wachstums auf 1,7% aus. Die Teuerung dürfte in beiden Jahren bei 0,5% liegen.
Politische oder geldpolitische Entscheide wie die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI), die Aufhebung des EUR/CHF-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank (SNB) oder sogar geografisch weiter entfernte Ereignisse wie der Brexit-Beschluss in Grossbritannien oder die Wahl von Donald Trump in den USA haben in den Medien hohe Wellen geworfen. Die Reaktionen der Schweizer Unternehmen waren aber jeweils äusserst besonnen. So sind in der jüngeren Vergangenheit keine signifikanten Zusammenhänge zwischen der Entwicklung des Investitionswachstums und dem von den Ökonomen der Credit Suisse errechneten «politischen Unsicherheitsindex», der die Anzahl Meldungen im entsprechenden Kontext in der Schweizer Medienlandschaft zählt, mehr ersichtlich.
Rasche Reaktion auf die als persistent angesehene Frankenstärke
Gleichzeitig wäre es falsch zu behaupten, dass politische Entscheidungen für das Verhalten von Unternehmen irrelevant sind. «Zentral ist, ob die politischen Entscheide das fundamentale Umfeld für Unternehmen tatsächlich ändern oder nicht», sagt Oliver Adler, Chefökonom Schweiz der Credit Suisse. Obwohl politische Ereignisse unmittelbar auf die Stimmung der Unternehmen durchschlagen, warten diese mit dem Umsetzen konkreter Massnahmen nämlich zu, solange die Konsequenzen noch nicht abschätzbar sind – dies lässt sich eindrücklich aus Unternehmensbefragungen herauslesen. «Ist ein politischer Entscheid schwer fass- und umsetzbar sowie mit einem unklaren Zeithorizont versehen – was insbesondere bei populistischen Forderungen häufig der Fall ist – dürfte dessen Wirkung auf die Realwirtschaft entsprechend gering sein, obwohl er in den Medien dominiert», so Oliver Adler weiter. Die deutlichsten Reaktionen der Unternehmen waren denn auch nach der Aufhebung der Untergrenze zu beobachten, die von den Unternehmen gemäss Umfragen als unumstösslich aufgefasst worden ist. Der «Frankenschock» von 2015 traf dabei die kleinen Unternehmen härter als die grossen, wie in einer detaillierten Analyse gezeigt wird.
SNB: Warten auf eine weniger expansive Europäische Zentralbank
Die Ökonomen der Credit Suisse kommen weiter zum Schluss, dass die SNB in Zeiten gestiegener politischer Risiken jeweils besonders aktiv im Devisenmarkt interveniert hat, um den Franken zu schwächen. Seit Februar 2015 dürfte sie rund CHF 143 Mrd. für Interventionen aufgewendet haben, den Grossteil davon in Zusammenhang mit politischen Ereignissen. Zwar hat mit dem Sieg Emmanuel Macrons in Frankreich die politische Unsicherheit in Europa – zumindest vorübergehend – nachgelassen, und entsprechend verringerte sich auch das Interventionsvolumen. Die SNB wird laut den Ökonomen der Credit Suisse ihre Fremdwährungskäufe in den kommenden Monaten aber kaum gänzlich einstellen, hat sie doch auch früher in Phasen ohne hohe Unsicherheit jeweils Fremdwährungen im Umfang von CHF 1-2 Mrd. pro Woche erworben. «Vor Beginn der Normalisierung der Geldpolitik in Europa, die im September angekündigt werden sollte, wird die SNB wohl keine Änderung ihrer bisherigen Interventionspolitik vornehmen», so Oliver Adler. «Vor diesem Hintergrund dürften die Negativzinsen bis mindestens Ende 2018 in Kraft bleiben». Die Ökonomen der Credit Suisse gehen davon aus, dass die SNB ihre Käufe wieder aufstockt, falls politische Ereignisse wie der Brexit-Prozess die politische Unsicherheit und somit auch die Nachfrage nach Schweizer Franken erhöhen würden. Indessen dürfte sie sich tendenziell zurückhalten, wenn der Franken als Folge besserer schweizerischer Wachstumserwartungen aufwerten sollte.
Langsame Beschleunigung des Wirtschaftswachstums
Die Voraussetzungen für eine weitere Erholung der Exportwirtschaft sind laut den Ökonomen der Credit Suisse gegeben. Insbesondere die positiven wirtschaftlichen Entwicklungen in den europäischen Abnehmerländern sollten Rückenwind geben. Gleichzeitig bleibt die Binnenwirtschaft im Urteil der Ökonomen der Credit Suisse solide, auch wenn sie nur langsam an zusätzlicher Zugkraft gewinnt. Die Konsumentenstimmung hellt sich angesichts der schleppenden Verbesserung der Arbeitsmarktlage – einer der wichtigsten Einflussfaktoren – nur zögerlich auf. Zudem sind die Zeiten steigender Kaufkraft dank sinkender Preise vorbei. Die Zuwanderung dürfte zwar weiterhin das Konsumwachstum stützen, der Wachstumsbeitrag wird aber kleiner.
Wenig Beschleunigung ist laut den Ökonomen der Credit Suisse auch bei den Unternehmensinvestitionen zu erwarten: Die günstigen Finanzierungskonditionen und der stetige Zwang zur Rationalisierung sprechen zwar für eine stärkere Zunahme, die nach wie vor schwierige Erlössituation begrenzt aber das Potenzial. Der Nettobetriebsüberschuss – eine Approximation der Gewinne – liegt immer noch auf dem tiefen Niveau von 2009. Insgesamt ist die Verfassung der Schweizer Wirtschaft gemäss den Ökonomen der Credit Suisse aber besser, als sie angesichts der auf den ersten Blick enttäuschend schwachen Zunahme der Wirtschaftsleistung im 1. Quartal 2017 (+0,3% gegenüber dem Vorquartal gemäss Staatssekretariat für Wirtschaft Seco) zu sein scheint. Im Jahresdurchschnitt dürfte die Wirtschaft 2017 um 1,5% wachsen, im kommenden Jahr um 1,7%. Die Teuerung dürfte in beiden Jahren jeweils ca. 0,5% betragen.
Die Publikation «Monitor Schweiz» wird quartalsweise publiziert und ist im Internet in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch verfügbar unter: https://www.credit-suisse.com/research (Schweizer Wirtschaft). Die nächste Ausgabe erscheint am 19. September 2017. (Credit Suisse/mc/ps)