Der Fall erregt gerade die Gemüter der Schweizer, wie sonst kaum etwas seit der Fichenaffäre. Der Spionagefall des Jahrhunderts, eine moralische Bankrotterklärung und ein fast nicht zu reparierender Schaden unserer Neutralität und unserer Diplomatie. So zumindest die mediale Sicht, stark geprägt von der an der Aufdeckung beteiligten SRG («Rundschau») und geteilt von Politikern des vorwiegend linken Lagers. Doch wie gerechtfertigt ist die Aufregung wirklich?
Kommentar von Helmuth Fuchs
Zuerst einmal gilt es die Arbeit des Schweizer Radio und Fernsehens SRF insofern zu würdigen, dass sie den ihr vom ZDF zugespielten Ball aufgenommen und das Thema aufgearbeitet hat im Zusammenspiel mit dem ZDF und der Washington Post.
Jahrhundertfall des letzten Jahrhunderts
Etwas relativieren muss man jedoch die Euphorie um den Spionagefall des Jahrhunderts und die Aufklärungsarbeit des SRFs. Das meiste war eigentlich schon bekannt oder wurde zumindest vermutet mit hoher Wahrheitswahrscheinlichkeit. Die Rundschau des Schweizer Fernsehens machte darüber 1992 einen Beitrag, der Spiegel berichtete im selben Jahr und auch danach zum Beispiel 2004 über die Crypto AG und die Rolle des Bundesnachrichtendienstes, Frank Garbely, ehemaliger Redaktor des Schweizer Fernsehens, schrieb darüber in der Roten Anneliese und im Infosperber 2015.
Schweizer Firma mit ausländischen Wurzeln und Besitzern
Der Schwede Boris Hagelin kam 1948 in die Schweiz, weil Schweden Chiffriermaschinen als Kriegsgerät taxierte und so deren Export untersagte. 1952 gründete er in der Schweiz die Crypto AG. Da sein Sohn die enge Zusammenarbeit mit dem CIA (Central Intelligence Agency, USA) und dem BND (Bundesnachrichtendienst, Deutschland) hinterfragte, übernahmen diese das Unternehmen gleich selbst. Seit 1970 waren die beiden Geheimdienste zu je 50 Prozent Eigentümer der Firma. Der BND scheint diese Zusammenarbeit mit der CIA aber 1993 beendet zu haben.
Der Einfluss von Schweizern im Unternehmen dürfte eher gering gewesen sein. Sie stellten zwar einen grossen Teil des Personals, die Besitzverhältnisse zeigen jedoch klar auf, wo die Entscheidungsbefugnis lag. Grosse Teile der Aktien waren gemäss Spiegel unter wechselnden Konstellationen im Besitz deutscher Eigner. Eugen Freiberger, der 1982 als Verwaltungsrat fungierte und in München residierte, verfügte damals über alle bis auf 6 der 6000 Crypto-Aktien.
Hat der Nachrichtendienst versagt?
All jene, die jetzt dem Nachrichtendienst voreilig ein Versagen unterstellen, sollten sich zumindest nochmals die Rolle des Nachrichendienstes im Inland vor Augen halten: Früherkennung und Bekämpfung von Terrorismus, gewalttätigem Extremismus, Spionage, sowie Cyberangriffen.
Damals wie heute gilt, dass die Schweiz zwar eine kleine Nummer im Geheimdienst, aber eine zentrale Drehscheibe für Informationen ist. In dieser Situation muss sie einen gangbaren Weg finden, um nicht isoliert und zu einem Angriffsziel zu werden. Der Deal mit der CIA und dem BND kann also durchaus zielführend gewesen sein, falls die Schweiz dadurch selbst nicht-manipulierte Chiffriergeräte verwenden und sich aus anderen politische Händeln raushalten konnte.
Das Mass des akzeptablen Opportunismus
Ob das so gewesen ist, oder ob die Schweiz allzu opportunistisch ihre Position missbraucht hat, um über die manipulierten Geräte selbst zur Akteurin auf dem internationalen Spionagefeld zu werden, wird entscheidend sein für das künftige Ansehen der Schweiz (wobei die Chinesen zum Beispiel die List als durchaus positiv beurteilen).
Die Crypto AG produzierte zwei Varianten von Verschlüsselungsgeräten: Eine mit einer Hintertür zur Abhörung durch die CIA (USA) und den BND (Deutschland), eine abhörsichere für Staaten wie die Schweiz. Für das Ausmass eines möglichen politischen Reputationsschadens dürfte wesentlich sein, ob die Schweiz von CIA und BND Zugriff auf die Informationen aus der Abhörung anderer Staaten eingefordert und bekommen hat, oder ob sie die Manipulation einzig zuliess, um selbst geschützt zu sein und abhörsicher kommunizieren zu können. Das wäre dann zwar immer noch unschön, aber im schmutzigen Spionagegeschäft eine Randnotiz.
Die in diesem Zusammenhang beschworene Neutralität bedeutet im Wesentlichen, möglichst wenig Dreck am Stecken und Blut an den Händen zu haben, um genügend glaubwürdig als Vermittlerin in Krisensituationen agieren und die eigenen Interessen möglichst ohne Gewalt durchsetzen zu können. Das Ideal einer völlig transparenten Politik ohne Ränke zum Wohle aller ist leider genau das, ein in der internationalen Machtkonstellation unerreichbares Ideal.
Das politische Versagen würde im Nichtwissen liegen, nicht im Wissen
Die jetzt vehement geforderte lückenlose Aufdeckung davon, wer von den führenden Politikern wann was wusste und wie damit umgegangen ist, mag im Nachhinein die mediale Neugierde befriedigen, für die Schweiz wird der Erkenntnisgewinn klein sein, bei gleichzeitig nicht unbeträchtlichem politischen Flurschaden für einzelne Parteien (FDP und CVP), begleitet von einem kurzfristigem internationalem Vertrauensverlust.
Man muss eigentlich hoffen, dass die führenden Politiker vom Nachrichtendienst jeweils informiert wurden und zum Schutz der Schweiz entschieden, dieses Arrangement aufrecht zu erhalten. Das würde zumindest zeigen, dass die Politik ihre Kontrollfunktion wahr genommen hat. Die Alternative, wenn sie nichts gewusst hätten, wäre insofern schlimmer, da sich dann der Nachrichtendienst als unkontrollierte Einheit, als Staat im Staat, nur an den eigenen Interessen hätte orientieren müssen. Das wäre dann der echte Jahrhundert-Skandal
Cui bono, nach all der Zeit
Nebst dem, dass es sich um eine schon lange bekannte (wenn auch nicht hinlänglich bewiesene) Geschichte handelt, bei dem ein für die Schweiz entstandener Schaden erst noch festgestellt werden muss (damit ist nicht der jetzt möglicherweise entstehende Reputationsschaden durch die Wiederaufnahme der Geschichte gemeint), sollten sich alle Beteiligten auch für das Motiv interessieren. Weshalb wurden das CIA-Dokument dem ZDF nach so langer Zeit, nach Aufsplittung der Crypto AG im Jahre 2018 zugestellt? Wem nützt der Skandal, der offensichtlich nur in der Schweiz zu heftigen Reaktionen führt, in Deutschland zwar beachtet wird, aber kaum Schlagzeilen macht und in den USA alle kalt lässt? Klar ist, wem die Geschichte schadet, unklar und noch nicht hinterfragt, wem sie nützt.
Die Gefahr des «nützlichen Idioten»
«To stir shit up» ist eine durchaus bekannte Methode, jemanden, auch einen Staat, zu destabilisieren, zu schwächen, die Oberhand in einer Situation zu gewinnen. Eine Aufgabe der Medien sollte es auch sein, bei aller Versuchung eines medialen Coups, sich über die Beweggründe eines (anonymen) Informationslieferanten im Klaren zu sein, um nicht in die Rolle des «nützlichen Idioten» gedrängt zu werden.
Als Bürger muss ich mich damit abfinden, dass ein Geheimdienst eben im Geheimen, nicht in der Öffentlichkeit und mit geringer Transparenz agiert. Ich muss mich darauf verlassen können, dass die ausgewählten für die Kontrolle des Nachrichtendienstes zuständigen Politiker ihrer Aufsichtsaufgabe gewachsen sind. Und dass die unabhängige Presse als vierte Gewalt Missstände aufzudecken in der Lage ist.
Skandalisierung nach innen, Kooperation nach aussen
Aktuell entsteht der Eindruck, als sei die Presse hier mit eher wenig inhaltlicher Munition gezielt auf den Weg der grösstmöglichen Skandalisierung geschickt worden mit einer zwar unschönen, aber im Gesamtzusammenhang des Nachrichtendienstes eher unbedeutenden Episode. Beim grossen sich-auf-die-Schultern-Klopfen ob des beachtlichen medialen Getöses und der Empörung einiger politischer Lager werden grundsätzliche Fragen fast völlig ausgeblendet: Wer hat mit welcher Intention die Informationen gerade jetzt dem ZDF zugespielt? Wem nützt eine Schweiz, die sich in den nächsten Monaten ausgiebig mit einem aus internationaler Sicht eher nebensächlichem Thema befasst?
Wenn solche Fragen unbeantwortet bleiben, ist eine wie auch immer geartete Aufklärungskommission (GPDel, PUK…) ohne wirklichen Mehrwert für den Staat, da wir einen von Politikern beaufsichtigten Nachrichtendienst leider auch in Zukunft benötigen. Die Schweiz wird sich zu Zeiten von Cyberspionage, Hackerangriffen und Starwars-Szenarien sogar noch vermehrt den Schutz und die Kooperation mit Mächten wie den USA mit Gegenleistungen erkaufen müssen, da sie kaum in der Lage ist, mit den bestehenden militärischen und nachrichtendienstlichen Mitteln, den Schutz des Landes alleine zu gewährleisten. Eine, wenn auch unschöne, Realität.
«In der Branche weiss doch jeder, wie das läuft. Natürlich schützen solche Geräte davor, dass unbefugte Dritte mithören, wie es im Prospekt steht. Die interessante Frage ist aber doch: Wer ist der befugte Vierte?»
Ernst Polzer, ehemaliger Angestellter der Crypto AG (Spiegel, Ausgabe vom 02.09.1996)
Zusammen mit der 1988 gegründeten Schwestergesellschaft Info Guard AG war die Crypto AG bis im Januar 2018 unter dem Dach der «The Crypto Group AG» mit Sitz in Steinhausen organisiert. Heute ist TCL (The Crypto Group) Legacy Ag in Liquidation.
Seit Februar 2018 befindet sich das internationale Geschäft der Crypto International Group im Besitz des schwedischen Unternehmers Andreas Linde. Das Schweizer Geschäft wurde im Rahmen eines Management-Buyouts in die «Crypto Schweiz AG» überführt. Diese wurde am 17. September 2018 umbenannt in «CyOne Security AG»
Spiegel vom 02.09.1996: «„Wer ist der befugte Vierte?“» https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9088423.html
Spiegel vom 11.02.2004: «Krypto-Handys: Feind hört mit» https://www.spiegel.de/netzwelt/web/krypto-handys-feind-hoert-mit-a-285618.html
Artikel in den USA 2007: CovertAction Quartely, Crypto AG, the NSA’s Trojan Whore?
«https://web.archive.org/web/20070927224351/http://mediafilter.org/caq/cryptogate/
Frank Garbely: «Der Spionage-Skandal rund um die Zuger Crypto AG»
https://www.infosperber.ch/FreiheitRecht/NSA-BND
Rundschau des Schweizer Fernsehens SRF vom 13.02.2020:
Weltweite Spionage-Operation mit Schweizer Firma aufgedeckt«
Arena des Schweizer Fernsehens SRF vom 15.02.2020 zu Cryptoleak:
https://www.srf.ch/play/tv/arena/video/arena