Das Wichtigste zur Reform der beruflichen Vorsorge

Das Wichtigste zur Reform der beruflichen Vorsorge
(Foto: Adobe Stock)

Bern – Die Stimmbevölkerung entscheidet am 22. September erneut über eine sozialpolitische Vorlage, nämlich über die Reform der beruflichen Vorsorge. Sie soll die zweite Säule finanziell stabilisieren und Menschen mit tiefen Einkommen zu mehr Rente verhelfen. Nachfolgend das Wichtigste zur Vorlage:

Die Ausgangslage
Die Schweizer Vorsorge beruht auf dem Drei-Säulen-Prinzip: die erste Säule mit der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die zweite Säule mit der beruflichen Vorsorge sowie die dritte Säule mit der freiwilligen privaten Vorsorge. Für viele Menschen ist die berufliche Vorsorge eine wichtige Ergänzung zur AHV, um die Lebenskosten nach der Pensionierung decken zu können.

Während des Berufslebens sparen Arbeitnehmer mit ihren Lohnbeiträgen und den Beiträgen ihrer Arbeitgeber in der Pensionskasse ein Altersguthaben an. Damit wird später die Pensionskassenrente bezahlt.

Weil die Lebenserwartung und der Anteil der Pensionierten in der Bevölkerung steigt und gleichzeitig das von den Pensionskassen angelegte Kapital wegen tiefer Zinsen an den Finanzmärkten weniger Rendite erzielt, sind die Renten im sogenannten obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge nicht mehr ausreichend finanziert. Hinzu kommt, dass Wenigverdiener später keine oder eine sehr kleine Pensionskassenrente haben. Betroffen sind überdurchschnittlich viele Frauen, weil sie häufig Teilzeit arbeiten oder in Branchen mit tiefen Löhnen tätig sind.

Die Vorlage
Die berufliche Vorsorge wurde 1985 eingeführt, mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG). Bis zu einem bestimmten Einkommen legt das Gesetz fest, wie viel Rente pro gesparten Franken ausbezahlt werden muss. Der Mindestumwandlungssatz beträgt aktuell 6,8 Prozent. Das heisst: Pro 100’000 Franken Alterskapital werden heute 6800 Franken Rente ausbezahlt.

Nach einer ersten BVG-Reform in den Nullerjahren sind mehrere Reformversuche gescheitert, darunter die Senkung des Umwandlungssatzes. 2020 startete das Parlament einen neuen Anlauf. Die neue Reform sieht vor, den Mindestumwandlungssatz auf 6,0 Prozent zu senken. Pro 100’000 Franken Alterskapital würden damit noch 6000 Franken ausbezahlt.

Gleichzeitig sollen Geringverdiener gemäss der BVG-Reform später eine höhere Rente erhalten: Sie und ihre Arbeitgeber sollen dafür jeden Monat höhere Sparbeiträge bezahlen als heute. Der sogenannte fixe Koordinationsabzug, der heute das zu versichernde Einkommen bestimmt, fällt weg. Stattdessen sollen künftig 80 Prozent des AHV-pflichtigen Einkommens versichert werden.

Zudem sollen neu Personen eine zweite Säule erhalten, deren Einkommen dafür heute zu tief ist. Die Eintrittsschwelle in die Pensionskasse wird von 22’050 Franken Jahreslohn auf 19’845 Franken gesenkt. Rund 70’000 Personen, darunter viele Frauen mit kleinen Pensen, sollen ihre Löhne neu in der beruflichen Vorsorge versichern.

Wer in den ersten 15 Jahren nach dem Inkrafttreten der Vorlage in Rente geht und nicht mehr viel Zeit für zusätzliches Sparen hat, kann einen lebenslangen Rentenzuschlag von bis zu 200 Franken im Monat erhalten. Entscheidend sind der Jahrgang und die Höhe des Alterskapitals. Rund die Hälfte aller Versicherten dürfte den Zuschlag erhalten. Kommt die Reform 2027, sind es die Jahrgänge 1962 bis 1976. Die Zuschläge kosten über 15 Jahre insgesamt rund 11,3 Milliarden Franken. Finanziert werden sie von den Pensionskassen und mit Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Die Betroffenen
Die Pensionskassenreform trifft nach Angaben des Bundes vor allem Erwerbstätige, die nach BVG-Minimum oder nur wenig mehr versichert sind. Das dürfte höchstens ein Drittel aller Versicherten sein.

Modellrechnungen gehen davon aus, dass Menschen mit unter 60’000 Franken Jahreslohn sowie Mehrfachbeschäftigte von höheren Altersguthaben profitieren. Gewisse Personen werden mit der Reform zwar weniger zahlen müssen, aber auch weniger Rente erhalten. Und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass jemand mehr einzahlen und dabei weniger Rente haben wird. Für wen die Reform wie aussehen wird, hängt von der persönlichen Situation ab – etwa der beruflichen Laufbahn und dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung.

Über das Obligatorium hinaus Versicherte sind nicht direkt betroffen. Alle Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber finanzieren aber einen Teil des Rentenzuschlags für die Übergangsgeneration. Für bereits Pensionierte ändert sich nichts.

Die Befürworter
Für Bundesrat und Parlament ist die Reform nötig, damit die künftigen Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge wieder ausreichend und langfristig finanziert sind. Ohne Senkung des Umwandlungssatzes würden Pensionskassen, die nur Minimalleistungen anbieten, weiterhin Erträge aus dem Altersguthaben von Erwerbstätigen für Renten von Pensionierten einsetzen. Menschen, die wenig verdienen, würden im Alter besser abgesichert. Davon profitierten vor allem Frauen.

Im Ja-Komitee sitzen Sozialpolitiker von SVP, FDP, Mitte-Partei, GLP und EVP. Durch die Reform erhielten insgesamt deutlich mehr Personen eine höhere als eine tiefere Rente, lautet das Hauptargument der Befürworter. Das Risiko für Altersarmut werde dadurch gesenkt.

Das Parlament habe seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen, sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister bei der Lancierung der Ja-Kampagne. Einerseits sei auf eine Vermischung der verschiedenen Säulen der Altersvorsorge verzichtet worden. Andererseits sei die Reform keine reine Sanierungsvorlage.

Die Gegner
Die Linke bekämpft die Reform mit dem Referendum. Mit der Vorlage müsse mehr in die zweite Säule einbezahlt werden, die Rente sei für viele aber trotzdem tiefer, moniert sie. Das gelte besonders für Branchen mit tiefen Löhnen, aber auch für über 50-Jährige. Für Frauen sei die Vorlage «eine Mogelpackung», denn ihre Nachteile durch Erwerbsunterbrüche und die ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit würden nicht beseitigt.

Zudem hätten die Pensionskassen in den vergangenen zehn Jahren hohe Renditen erzielt und würden «in Geld schwimmen», hält das linke Nein-Komitee fest. Bei der heutigen sehr guten Lage der Pensionskassen sei es an der Zeit, einen Teuerungsausgleich auf den laufenden Renten zu gewähren.

Anfang August lancierten acht Wirtschaftsverbände eine eigene Nein-Kampagne. Die Vorlage führe zu Fehlanreizen beim Sparen und zu mehr Bürokratie und sei deshalb abzulehnen, argumentiert diese Seite. Zudem seien die Rentenzuschläge falsch kalibriert und unfair verteilt. Die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse und Arbeitgeberverband bezeichnen die BVG-Reform dagegen als überfällig und setzen sich für ein Ja ein. (awp/mc/ps)

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