Bern – Die jahrelangen Reformarbeiten bei der zweiten Säule sind gescheitert. Die Stimmbevölkerung hat die Pensionskassen-Vorlage am Sonntag mit 67 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Damit bleibt alles beim Alten. Den Reformstau aufzulösen, dürfte schwierig bleiben.
Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen sagten 1’655’300 Stimmende Nein zur BVG-Reform, 810’800 befürworteten sie. Die Stimmbeteiligung lag bei rund 45 Prozent.
Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigt eine seltene Eintracht: Alle Kantone lehnten die Vorlage ab. Der Nein-Stimmen-Anteil reicht von 57 Prozent in Zug bis zu 77 Prozent im Jura und in Neuenburg. In rund fünfzig Gemeinden gab es ein Nein von über 81 Prozent. Nur 26 von 2126 Gemeinden befürworteten die Pensionskassenreform.
Politologe spricht von «Ohrfeige»
Laut Politologe Urs Bieri vom Forschungsinstitut gfs.bern hat es Misstrauen gegeben, ob die Probleme bei der Finanzierung der zweiten Säule wirklich real sind. «Ein gemeinsames Problembewusstsein war nicht vorhanden.» Lukas Golder, ebenfalls Politologe von gfs.bern, sprach im Schweizer Fernsehen SRF von einer «Ohrfeige» und einer «Klatsche».
Die Vorlage zur Reform der zweiten Säule war im Abstimmungskampf hoch umstritten. Die Befürworter-Seite sprach von einem «guten Kompromiss», die Gegnerinnen und Gegner bezeichneten die Reform als «miserabel und grottenschlecht». Im Fokus stand unter anderem die Komplexität der Vorlage. Auch die vom Bund falsch publizierten Zahlen zur AHV waren offenbar Wasser auf die Mühlen der Gegnerschaft.
Mit dem Nein bleibt der Reformstau in der Altersvorsorge bestehen. Seit der Einführung der zweiten Säule im Jahr 1985 wurde das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) erst einmal umfassend reformiert, nämlich in den Nuller-Jahren. Seither sind mehrere Reformversuche gescheitert. Nun beginnen die Arbeiten erneut auf Feld eins.
Status quo beim Mindestumwandlungssatz
Die gescheiterte BVG-Reform sollte die zweite Säule der Altersvorsorge finanziell stabilisieren, vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl von Rentnerinnen und Rentnern, der steigenden Lebenserwartung und von sinkenden Renditen. Der Mindestumwandlungssatz für die Berechnung der Renten im obligatorischen Teil der Versicherung wäre von 6,8 auf 6 Prozent gesunken.
Dazu kommt es nun nicht. Auch die weiteren Punkte der Reform werden nicht umgesetzt: Menschen mit tiefen Einkommen im Alter hätten besser abgesichert werden sollen, sie und ihre Arbeitgeber aber auch mehr in die zweite Säule einzahlen müssen.
Die Pensionskassenreform hätte nach Angaben des Bundes vor allem Erwerbstätige betroffen, die nach BVG-Minimum oder nur wenig mehr versichert sind. Für wen die Reform wie ausgesehen hätte, wäre von der persönlichen Situation abhängig gewesen – etwa der beruflichen Laufbahn und dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung.
Grosser Erfolg für die Linke
Ein Erfolg ist das Nein für die Linke. Erneut hat sie bei einem sozialpolitischen Anliegen die Mehrheit der Bevölkerung überzeugen können. Die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) angeführte Kampagne fokussierte auf den Slogan, wonach mehr Menschen unter der Reform gelitten als profitiert hätten.
Zudem hätten die Pensionskassen in den vergangenen zehn Jahren hohe Renditen erzielt und würden «in Geld schwimmen», monierten die Gegnerinnen und Gegner. Unterstützt wurde die Linke im Abstimmungskampf von acht Wirtschaftsverbänden. Die Vorlage führe zu Fehlanreizen beim Sparen und zu mehr Bürokratie und sei deshalb abzulehnen, argumentierte diese Seite.
Kompromissfähigkeit gefragt
Die Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse und Arbeitgeberverband und Exponentinnen und Exponenten der bürgerlichen Parteien SVP, FDP und Mitte sowie der GLP bezeichneten die BVG-Reform dagegen als überfällig und setzten sich für ein Ja ein. Den Fokus legten sie auf die Verbesserungen für Personen mit tiefen Einkommen und Teilzeitbeschäftigten.
Das Parlament habe seine Lehren aus der Vergangenheit gezogen, sagte Mitte-Präsident Gerhard Pfister bei der Lancierung der Ja-Kampagne. Einerseits sei auf eine Vermischung der verschiedenen Säulen der Altersvorsorge verzichtet worden. Andererseits sei die Reform keine reine Sanierungsvorlage.
Im Mittelpunkt steht nun die Frage, wie eine im Parlament und beim Volk mehrheitsfähige Pensionskassenreform aussehen könnte. Bei der nun gescheiterten Reform standen sich am Anfang des Prozesses die Sozialpartner an einem Tisch gegenüber. Der von ihnen ausgehandelte Kompromiss war im Parlament jedoch chancenlos. (awp/mc/pg)