Deutliches Ja für «Ehe für alle»
Bern – Als eines der Schlusslichter in Westeuropa erlaubt nun auch die Schweiz die zivile Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Rund zwei Drittel der Stimmbevölkerung haben der Referendumsvorlage zugestimmt. Damit endet ein langer Kampf für etwas mehr Gleichberechtigung.
Die unter dem Namen «Ehe für alle» zusammengefassten Änderungen im Zivilgesetzbuch schafften die letzte Hürde deutlich: Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen erreichte die Vorlage am Sonntag eine Mehrheit von 64,1 Prozent. Kein Kanton lehnte die Homo-Ehe ab. In absoluten Zahlen waren 1’828’400 Stimmende dafür und 1’024’200 dagegen.
Am deutlichsten war die Zustimmung in den Kantonen Basel-Stadt (74 Prozent), Zürich (69 Prozent) und Basel-Landschaft (67 Prozent). Nur ein hauchdünnes Ja von 50,8 Prozent gab es im Kanton Appenzell Innerrhoden. Andere konservative Kantone wie das Tessin (53 Prozent) und das Wallis (56 Prozent) stimmten der Vorlage deutlicher zu. Grosse Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Sprachregionen gab es nicht.
Das Ergebnis überrascht nicht: Alle Umfragen hatten darauf hingedeutet, dass die Eheschliessung zwischen schwulen beziehungsweise lesbischen Partnerinnen und Partnern bald Realität werden würde. Die letzten Umfragewerte zur Vorlage gingen von einer Zustimmung zwischen 63 und 67 Prozent aus.
Wie Urs Bieri von gfs.bern im Schweizer Radio SRF sagte, reiht sich die Vorlage historisch gesehen im Durchschnitt der Behördenvorlagen ein. Diese würden öfter mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen. In der jüngeren Vergangenheit sei das aber einige Male nicht mehr der Fall gewesen.
«Meilenstein in der Rechtsgeschichte»
Der Kampf für die «Ehe für alle» war ein langer: Acht Jahre wurde im Parlament intensiv diskutiert und gestritten. Den Stein ins Rollen gebracht hatten die Grünliberalen. Sie forderten Ende 2013 eine Verfassungsänderung, welche die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare öffnen soll.
Das geltende Recht sei «mit einem liberalen Gesellschaftsbild und einem modernen Rechtsstaat unvereinbar», argumentierte die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy immer wieder. Sie war der Kopf hinter der Vorlage. SP, FDP, Mitte, Grüne, viele Unternehmen, die Operation Libero und die Community verhalfen der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare schliesslich zum Durchbruch.
In weiten Teilen West- und Mitteleuropas ist die «Ehe für alle» längst eine Selbstverständlichkeit, auch in allen Nachbarländern der Schweiz ausser Italien. Die Befürworter bezeichneten das Abstimmungsergebnis denn auch als «wichtigen Meilenstein in der Rechtsgeschichte der Schweiz». Es sei ein Ja für die Gleichstellung, die Familienvielfalt und den Schutz der Kinder.
Auch im Ausland wurde das Abstimmungsresultat kommentiert. Der Gleichbehandlungssprecher der österreichischen SPÖ, Mario Lindner, sprach von einem «massiven Erfolg – nicht nur für die Schweizer LGBTIQ-Community, sondern für alle Menschen, die sich in Europa für Menschenrechte und Respekt einsetzen».
Verschiedene Erleichterungen
Zwar können gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz seit 2007 ihre Partnerschaft eintragen lassen. Pro Jahr tun dies etwa 700 Paare. Diese eingetragene Partnerschaft wurde in den vergangenen Jahren in einzelnen Punkten rechtlich der Ehe angenähert. Es bestanden aber noch grosse Unterschiede.
Mit dem Gang zum Standesamt erhalten homosexuelle Paare künftig auch das Recht, gemeinsam Kinder zu adoptieren und den ausländischen Partner oder die ausländische Partnerin im vereinfachten Verfahren einzubürgern. Zudem erhalten lesbische Paare den rechtlichen Zugang zur Samendatenbank. Heute weichen lesbische Paare für Samenspenden oft ins Ausland aus.
Ausserdem verändert die «Ehe für alle» die Rechtslage der Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren, indem die Elternschaft des nicht biologischen Elternteils ab Geburt anerkannt wird. Wann genau die neuen Regeln in Kraft treten, muss der Bundesrat noch festlegen.
Die Regierung führte im Abstimmungskampf ins Feld, dass der Staat nicht eine Lebensform einer anderen vorziehen dürfe. Die «Ehe für alle» nehme niemandem etwas weg.
«Schwarzer Tag für Kindeswohl»
Konservative Kreise sahen dies anders. SVP, EDU und EVP kämpften gegen die «Ehe für alle». Zu den Kritikern gehörten auch einige Kantonalsektionen der Mitte-Partei sowie die Schweizerische Evangelische Allianz.
Sie störten sich insbesondere an der mit der Vorlage verknüpften Samenspende für lesbische Paare. Diese ebne das Terrain für ein «fatales Gesellschaftsexperiment» und führe zu gesetzlich geförderter Vaterlosigkeit. Die Gegner hatten im Abstimmungskampf mit emotionalen Bildern von weinenden Kindern Stimmung gemacht, die nach ihrer Ansicht in solchen Regenbogenfamilien leiden.
Für das Kindeswohl sei heute ein «schwarzer Tag», sagte Nationalrätin Monika Rüegger (SVP/OW) vom Komitee gegen die «Ehe für alle». Sie befürchte bereits Vorstösse, die auf eine weitere gesellschaftspolitische Öffnung abzielten.
Keine baldigen weiteren Öffnungen
Tatsächlich ist nach dem Ja zur «Ehe für alle» das dringendste Anliegen der Community erfüllt. Verboten bleiben aber weiterhin die anonyme Samenspende, die Eizellenspende und die Leihmutterschaft. Die Befürworter betonten in den vergangenen Wochen immer wieder, dass das erst einmal auch so bleiben solle.
Die Abstimmungssieger brachten am Abstimmungssonntag dafür altbekannte Forderungen aufs Tapet wie beispielsweise eine nationale Elternzeit, die Einführung der Individualbesteuerung, eine vereinfachte Elternschaft und ein modernes Sexualstrafrecht.
All diese Forderungen haben noch einen langen Weg vor sich. Sicher scheint derzeit nur: Eine weitere gesellschaftspolitische Liberalisierung dürfte erneut jahrelang zu reden geben. (awp/mc/ps)