Die Seco-Bilanz nach zehn Jahren Personenfreizügigkeit

Die Seco-Bilanz nach zehn Jahren Personenfreizügigkeit
Serge Gaillard, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung (Copyright: PHOTOPRESS/Gaetan Bally)

Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco.

Bern – Das Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Schweiz und der EU ist seit zehn Jahren in Kraft. Die Unternehmen haben stark davon profitiert, Fachkräfte aus dem EU/EFTA-Raum rekrutieren zu können. Dies schreibt das Seco im neusten Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen. Im Bericht zieht es Bilanz über die Erfahrungen aus den ersten zehn Jahren Personenfreizügigkeit.

Demnach trug die Öffnung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren massgeblich zum Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum in der Schweiz bei. Negative Auswirkungen auf die ansässigen Arbeitnehmenden blieben eng begrenzt. Die Öffnung könnte die Lohnentwicklung leicht gebremst haben, eine Erosion tiefer Löhne hat aber nicht stattgefunden.

Zuwanderung in direktem Zusammenhang zur Nachfrage der Unternehmen
Im Jahr 2011 wanderten netto 78‘500 Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz ein (Wanderungssaldo). 53‘200 oder zwei Drittel davon waren Bürgerinnen und Bürger der EU27/EFTA-Staaten. Die Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum hat mit der Personenfreizügigkeit an Bedeutung gewonnen, sie stand aber auch stets in direktem Zusammenhang zur Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften. Am höchsten fiel der Wanderungssaldo mit 90‘200 im Jahr 2008 aus, nachdem die Schweizer Wirtschaft über mehrere Jahre stark gewachsen war. Mit der Rezession 2009 verringerte sich die Netto-Zuwanderung deutlich. Die rasche wirtschaftliche Erholung 2010 stoppte allerdings den rückläufigen Trend und der Wanderungssaldo stieg 2011 bereits wieder an. Während die Zuwanderung aus den EU-Staaten stark auf die wirtschaftliche Entwicklung reagierte, blieb die Zuwanderung aus Drittstaaten nach Einführung der Personenfreizügigkeit etwa auf konstanter Höhe.

Auswirkungen auf das Bevölkerungswachstum
In den zehn Jahren vor Inkrafttreten der bilateralen Abkommen trugen die Zuwanderung aus Drittstaaten und das natürliche Bevölkerungswachstum pro Jahr je rund 0,3 Prozentpunkte zum Wachstum der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz bei. In den letzten zehn Jahren halbierte sich der Beitrag des natürlichen Bevölkerungswachstums auf 0,14 Prozentpunkte, während sich jener der Zuwanderung auf knapp 0,8 Prozentpunkte mehr als verdoppelte. Rund 0,5 Prozentpunkte davon waren auf die Zuwanderung aus dem EU/EFTA-Raum zurückzuführen.

Arbeitskräftepotenzial der Unternehmen spürbar erweitert
Das Arbeitskräftepotenzial der Schweizer Unternehmen wurde mit dem FZA spürbar erweitert. Ausländische Dauer- und Kurzaufenthalter/-innen und Grenzgänger/-innen konnten ihr Beschäftigungsniveau in den letzten Jahren überproportional steigern. Aber auch Schweizer/-innen und niedergelassene Ausländer haben ihre Erwerbstätigkeit in den letzten zehn Jahren ausgedehnt. Im Zeitraum 2003-2011 vermochten sowohl EU27/EFTA-Staatsangehörige (+4,4%) wie auch Schweizerinnen und Schweizer (+2,1%) ihre Erwerbstätigenquote zu erhöhen. Keine Fortschritte bei der Arbeitsmarktintegration sind demgegenüber bei den Drittstaatsangehörigen zu verzeichnen (-0.8%).

Arbeitslosenquote deutlich verringert
Die Arbeitslosenquoten von Ausländerinnen und Ausländern haben sich in den letzten Jahren gegenüber den 90er-Jahren verringert und der tiefen Quote der einheimischen Erwerbsbevölkerung angenähert. Dabei sticht heraus, dass die Arbeitslosenquote der Bevölkerung aus dem EU27/EFTA-Raum tiefer ist als jene von Personen aus Drittstaaten, welche vor allem auf Grund ihres unterdurchschnittlichen Qualifikationsniveaus mehr Schwierigkeiten mit der Arbeitsmarktintegration bekunden.

«Mehrheitlich gute Ergänzung zum ansässigen Arbeitskräftepotenzial»
Die zugewanderten Arbeitskräfte aus der EU stellen mehrheitlich eine gute Ergänzung zum ansässigen Arbeitskräftepotenzial dar. Die Zuwanderung war in jenen Berufsgruppen besonders ausgeprägt, welche eine stark wachsende Arbeitskräftenachfrage und unterdurchschnittliche Erwerbslosenquoten aufwiesen. 83% der erwerbstätigen Ausländer/innen welche nach Inkrafttreten des FZA eingewandert waren, verfügten mindestens über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II und 51% sogar über einen tertiären Bildungsabschluss. Damit übersteigt das durchschnittliche Qualifikationsniveau der Zuwanderer jenes der ansässigen Erwerbsbevölkerung.

Studie soll Verdrängung vom Arbeitsmarkt untersuchen
Insgesamt deuten die verfügbaren Indikatoren auf eine sehr hohe Aufnahmefähigkeit des Schweizer Arbeitsmarktes hin. Ob gewisse Gruppen dennoch durch Zuwanderer vom Arbeitsmarkt verdrängt wurden, soll in einer speziellen Studie noch vertieft untersucht werden (geplanter Veröffentlichungstermin Frühling 2013).

Lohnstruktur stabil
Die Lohnstruktur in der Schweiz blieb in den Jahren seit Inkrafttreten des FZA erstaunlich stabil. Die Entwicklung der Lohnverteilung zwischen 2002 und 2010 legt nahe, dass in den Jahren seit Inkrafttreten des FZA kein besonders starker Druck auf tiefe Löhne ausgeübt werden konnte. Gesamtarbeitsverträge und die flankierenden Massnahmen haben zu diesem Ergebnis mit beigetragen. n gewissen Branchen gibt es Anzeichen, wonach die Einstiegslöhne in den Jahren nach Inkrafttreten des FZA unter Druck gekommen sein könnten. Diesen Vermutungen soll in einer Studie vertieft nachgegangen werden (geplanter Veröffentlichungstermin Ende August 2012).

Entlastung der Sozialversicherungen
Die Zuwanderung verlangsamt die Alterung der Bevölkerung und entlastet damit die umlagefinanzierten Sozialversicherungen der ersten Säule (AHV/IV/EO/EL). Arbeitnehmende aus EU/EFTA Staaten leisten heute deutlich mehr Beiträge an diese Sozialversicherungen, als sie daraus beziehen. Die anfängliche Befürchtung, die Personenfreizügigkeit führe zu einer massiven Zunahme der Anzahl ausländischer IV-Leistungsbezüger, hat sich nicht bewahrheitet. (Seco/mc/pg)

8. Bericht des Observatoriums zum Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU

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