Bern – Nach dem Rücktritt von Mitte-Bundesrätin Viola Amherd kursieren erste Namen für deren Nachfolge. Wer hat die besten Karten? Welche Faktoren sind bei einer Bundesratswahl entscheidend? Und was hat Ignazio Cassis damit zu tun? Ein Erklärungsversuch.
Noch am Tag von Amherds Rücktritt kam das Kandidierendenkarussell in Bewegung. In den Medien als Favorit gehandelt wird der Zuger Nationalrat Gerhard Pfister, der abtretende Parteipräsident der Mitte. Ebenfalls eine gute Position werden dem Bündner Nationalrat Martin Candinas und dem St. Galler Ständerat Benedikt Würth zugeschrieben. Kandidatinnen hielten sich zunächst bedeckt.
Sarah Bütikofer, Politologin und Herausgeberin der Online-Plattform Defacto, ordnete am Donnerstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA die ersten Entwicklungen nach dem Rücktritt von Verteidigungsministerin Amherd ein. Wie immer bei Bundesratswahlen spielten verschiedene Faktoren eine Rolle.
Das Alter
Die Altersfrage hat laut Bütikofer in der jüngeren Vergangenheit an Gewicht gewonnen – auch, weil das Durchschnittsalter der Mitglieder der Landesregierung mittlerweile bei um die sechzig Jahre liege. Sowohl Amherd als auch Pfister hätten bei ihren Rücktrittsankündigungen durchblicken lassen, dass man im Bundesrat respektive an der Parteispitze «frischen» respektive «jüngeren» Kräften Platz machen wolle.
Dass das Alter von Pfister, der 62 Jahre alt ist, zu einem Problem werden könnte, glaubt Bütikofer jedoch nicht. Das Alter spreche nicht per se gegen ihn. «Die Fraktion wird ihn kaum nicht nominieren, weil er zu alt ist.» Pfister befinde sich noch nicht im Pensionsalter. «Wenn er zwei, drei Jahre jünger wäre, würde wohl sowieso gar niemand über sein Alter reden.»
Zudem gibt es laut Bütikofer keine Verpflichtung, zehn Jahre im Bundesrat zu bleiben. Eine im Vergleich kurze Amtsdauer würde die Chancen für im Moment noch weniger erfahrene Kräfte aus der Partei erhöhen, nach Pfisters Rücktritt in einigen Jahren «in die Kränze zu kommen».
Die Herkunft
Die geografische Herkunft ist laut Bütikofer deutlich wichtiger als das Alter der Kandidierenden. Dass die Landesgegenden und Sprachregionen im Bundesrat angemessen vertreten sind, ist ein Verfassungsauftrag. Die Feinjustierung obliege dem Parlament.
Bei diesem Faktor spreche einiges für eine Kandidatur von Pfister, sagte Bütikofer. Die Zentralschweiz und der Kanton Zug seien schon lange nicht mehr in der Landesregierung vertreten gewesen. «Das ist ein Vorteil für ihn.»
Auch bei Würth sieht die Politologin keine unüberwindbaren Hürden diesbezüglich. Dass mit Karin Keller-Sutter bereits eine St. Gallerin im Bundesrat sitze, sei für Würth nicht das entscheidende Handicap. «St. Gallen ist ein grosser Kanton und war in den vergangenen Jahrzehnten gemessen daran in der Landesregierung nicht überrepräsentiert.» Für Candinas spreche, dass er die romanischsprachige Minderheit vertreten könnte, die seit über hundert Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten war.
Das Geschlecht
Laut Bütikofer ist ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis im Bundesrat über die Zeit viel wichtiger geworden. Wenn nun anstelle von Amherd ein Mann in die Landesregierung gewählt würde, wären die Frauen im Verhältnis 2:5 noch stärker untervertreten.
Bütikofer plädiert dafür, Spitzenämter möglichst ausgeglichen zu verteilen. Jedoch hält sie im Fall der Amherd-Nachfolge fest: «Es wäre legitim, wenn die Mitte-Partei nach zwei Bundesrätinnen in Folge und mehreren Frauen-Tickets jetzt auf ein reines Männer-Ticket setzen würde.»
Die Mitte habe nur einen Sitz im Bundesrat, das sei eine andere Ausgangslage als bei den Parteien mit Doppelvertretung. Das Parteipräsidium werde zudem ebenfalls bald neu besetzt. «Die Mitte könnte als Ausgleich zum neuen Bundesrat dafür auf eine Präsidentin setzen.»
Bei einer nächsten Vakanz im Bundesrat wären laut Bütikofer dann aber die anderen Parteien in der Pflicht, Frauen zu nominieren – insbesondere die SVP, welche noch nie eine Bundesrätin gestellt hat. «Die SVP und auch die anderen Parteien sollten sich schon jetzt darauf vorbereiten, valable Kandidatinnen zu präsentieren.»
Die FDP
Für den Politologen Michael Hermann ist nach der Rücktrittsankündigung von Amherd nun auch ein Rücktritt von Aussenminister Ignazio Cassis eine «realistische Option». Bisher habe es relativ viel Druck aus der FDP auf ihn gegeben, bis zur nächsten Wahl zu bleiben, sagte der Leiter der Forschungsstelle Sotomo am Donnerstag im Schweizer Radio SRF. Der Plan dahinter: Die Einen klaren Vorsprung auf die Mitte herauszuholen und damit die beiden Bundesratssitze zu verteidigen.
Die Situation habe sich mit dem Rücktritt von Amherd nun geändert, so Hermann. Damit könne etwas in Bewegung geraten, bei Cassis und auch bei der FDP. Letztlich sei der Entscheid eines Bundesratsmitglieds, zu gehen, aber ein persönlicher.
Auch in den Augen Bütikofers hätte die FDP bei einer Doppelvakanz im Bundesrat bessere Chancen, ihren in letzter Zeit von einigen Seiten infrage gestellten Anspruch auf einen zweiten Sitz zu behalten. «Es gibt viele Argumente, innerhalb einer laufenden Legislatur nichts an der parteipolitischen Zusammensetzung im Bundesrat zu ändern.» Zumal das Parlament die Machtverhältnisse im Bundesrat erst vor gut einem Jahr bestätigt habe. (awp/mc/ps)