Bern – Auf den National- und den Ständerat warten in der Herbstsession zahlreiche grosse Dossiers. Die heute startende Session dauert bis zum 27. September. Nachfolgend eine Übersicht über wichtige Geschäfte in chronologischer Reihenfolge:
NAHOST: Der Nationalrat beginnt die Session mit einer Debatte zum Nahostkonflikt. Eine bürgerliche Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission verlangt mit einer Motion, den Schweizer Sockelbeitrag für 2024 an das Uno-Palästinenserhilfswerk Unrwa zugunsten der Nothilfe an die palästinensische Zivilbevölkerung umzuleiten. Direkte Überweisungen an die Unrwa solle es nicht mehr geben. Der Bundesrat lehnt das ab. Anfang Mai hat er 10 Millionen Franken für die Unrwa freigegeben, nach einem Notruf des umstrittenen Hilfswerks. Zwei weitere traktandierte Motionen verlangen die sofortige Einstellung der Beiträge an das Hilfswerk respektive eine Reform der Flüchtlingshilfe für Palästinenser, als Nachfolgelösung für die Unrwa.
UMWELT: Der Ständerat startet mit der Umweltverantwortungsinitiative in die Session. Seine zuständige Kommission beantragt ein Nein, so wie es schon Bundesrat und Nationalrat beschlossen haben. Die Initiative «für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen (Umweltverantwortungsinitiative)» will, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Schweiz nur so viele Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Eine Minderheit im Ständerat will die Initiative annehmen. Hinter dem Begehren steht die Allianz für Umweltverantwortung. Bei einem Ja müsste die Schweiz ihre durch inländischen Konsum verursachte Umweltbelastung innerhalb von zehn Jahren stark reduzieren.
FAMILIENNACHZUG: Die Benachteiligung von Schweizerinnen und Schweizern beim Familiennachzug aus Drittstaaten gegenüber EU-Bürgerinnen und -Bürgern ist Thema im Ständerat. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat dazu eine Vorlage ausgearbeitet, auf die eine knappste Mehrheit der zuständigen Kommission des Ständerates nun aber nicht eintreten will. Nach Auffassung der Mehrheit ist es nicht abschätzbar, wie viele Migranten aufgrund der geplanten Gesetzesänderung zusätzlich in die Schweiz kommen würden. Die Minderheit findet, es gebe keine Rechtfertigung dafür, Schweizerinnen und Schweizer beim Familiennachzug gegenüber EU- und Efta-Staatsangehörigen zu benachteiligen.
BILDUNG UND FORSCHUNG: Der Ständerat debattiert über die Gelder, die der Bund in den nächsten vier für Bildung, Forschung und Innovation (BFI) zur Verfügung stellen wird. Der Bundesrat beantragt insgesamt 29,2 Milliarden Franken. Die vorberatende Kommission des Ständerates ist mit Abstrichen des Bundesrates bei der Bildung und Forschung einverstanden und plädiert dafür, mehrere Aufstockungen des Nationalrates rückgängig zu machen, darunter jene für die Berufsbildung. Thema werden auch höhere Gebühren für Studierende mit ausländischer Matura an den ETH in Zürich und Lausanne sein. Der Nationalrat beschloss mindestens eine Verdreifachung gegenüber inländischen Studierenden. Die Ständeratskommission hingegen will «mindestens eine Verdoppelung». Insgesamt beantragt der Bundesrat mit der BFI-Botschaft 29,2 Milliarden Franken.
STEUERN: In der zweiten Sessionswoche nimmt sich der Nationalrat die Individualbesteuerung vor. Traktandiert ist einerseits die von den FDP-Frauen eingereichte Steuergerechtigkeits-Initiative, die eine Besteuerung unabhängig vom Zivilstand fordert und andererseits ein Gesetzesprojekt des Bundesrates. Die zuständige Kommission unterstützt die Initiative und den direkten Gegenvorschlag mit einer jeweils knappen Mehrheit. Der Bundesrat möchte die zivilstandsunabhängige Besteuerung auf allen Staatsebenen einführen. Bei der direkten Bundessteuer geht der Bundesrat – bezogen auf das Steuerjahr 2024 – von geschätzt rund einer Milliarde Franken Mindereinnahmen pro Jahr aus. Die starke Minderheit im Nationalrat will am Verständnis der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft festhalten, und sie argumentiert mit dem grossen Aufwand für die Umsetzung der Vorlage.
INVESTITIONSKONTROLLEN: Der Nationalrat debattiert über das Investitionsprüfgesetz. Diese Bestimmungen sollen verhindern, dass Schweizer Unternehmen von ausländischen Investoren übernommen werden, wenn dies die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit gefährden oder bedrohen könnte. Übernahmen sollen genehmigt werden müssen, wenn die betroffenen Unternehmen in einem besonders kritischen Bereich tätig sind und staatlich kontrollierte ausländische Investoren sie übernehmen wollen. Der Bundesrat hält die Investitionsprüfung allerdings nicht für nötig; das Parlament hat die Vorlage angestossen. Die zuständige Nationalratskommission will zudem weiter gehen als der Bundesrat. Unter anderem will sie die Investitionsprüfung auch bei nichtstaatlichen Investoren anwenden.
ZIVILSCHUTZ: Der Bundesrat will Zivildienstpflichtige verpflichten können, ihren Dienst teilweise beim Zivilschutz zu leisten. Ziel ist, den Personalbestand des Zivilschutzes zu erhöhen. Der Bundesrat will deshalb das Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz anpassen. Im Ständerat ist die vorberatende Kommission mit den Vorschlägen einverstanden. Die Zivilschutzorganisationen könnten ihre Leistungen nicht mehr erbringen, wenn das Problem des Unterbestandes nicht angegangen werde, findet die Mehrheit. Die Minderheit hingegen findet, dass Einsätze im Zivilschutz für Zivildienstpflichtige freiwillig bleiben sollten. Der Zivildienstverband Civiva lehnt die Neuerung ab.
ASYL: Der Bundesrat will klarer regeln, wer auf welcher Grundlage in den Bundesasylzentren disziplinarische Massnahmen anwenden darf, um die Sicherheit von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie der Mitarbeitenden zu verbessern. Zu den vorgeschlagenen Änderungen im Asylgesetz ist im Nationalrat eine lebhafte Debatte zu erwarten. Die zuständige Kommission hiess den Entwurf zwar gut, doch liegen etliche Minderheitsanträge vor. Eine äusserst knappe Mehrheit fand in der Kommission der Antrag, wonach der Bereich um die Bundesasylzentren erweitert werden soll, in dem gegen Asylsuchende Disziplinarmassnahmen ergriffen werden können, wenn ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet.
ARMEE: Ungewohnt umstritten ist die Armeebotschaft. Weil die zuständige Nationalratskommission sich bisher nicht hat einigen können, wie die geforderten zusätzlichen Ausgaben für die Armee gegenfinanziert werden sollen, lehnt sie den zur Botschaft gehörenden Bundesbeschluss über den Zahlungsrahmen der Armee für 2025 bis 2028 ab. Zuvor hatte die Kommission im Grundsatz entschieden, den Zahlungsrahmen für die Armee von 25,8 auf 29,8 Milliarden Franken zu erhöhen. Damit will sie sicherstellen, dass das Armeebudget bis 2030 den Zielwert von einem Prozent des Bruttoinlandprodukts erreicht – und nicht wie früher beschlossen erst 2035. Der Ständerat hat die Aufstockung bereits gutgeheissen. Weitgehend oder ganz unbestritten sind die übrigen Teile der Armeebotschaft 2024, also die Beschaffung von neuem Armeematerial, die Erhöhung des Rüstungskredits um 660 Millionen Franken für die bodengestützte Luftabwehr sowie das Immobilienprogramm VBS.
VERTEIDIGUNG: Im Nationalrat steht zur Debatte, ob das Parlament beim Beitritt der Schweiz zur European Sky Shield Initiative mitreden soll. Die Mehrheit der Sicherheitspolitischen Kommission fordert die Mitsprache mit einer Motion. Im Vordergrund der Sky-Shield-Initiative steht eine bessere Koordination von Beschaffungsvorhaben, der Ausbildung sowie logistischer Aspekte im Bereich der bodengestützten Luftverteidigung. Der Bundesrat genehmigte die Beitrittserklärung im April; der Rüstungschef Urs Loher unterzeichnete im Juli das Aufnahmegesuch. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass gestützt auf die Verfassung der Bundesrat die Kompetenz hat, die Beitrittserklärung zu unterzeichnen. Die Parlamentskommissionen seien konsultiert worden und hätten zugestimmt.
MIGRATION: Der Ständerat hat den 2021 vom Parlament sistierten Beitritt zum Uno-Migrationspakt wieder auf der Traktandenliste. Die Mehrheit seiner zuständigen Kommission beantragt allerdings, dem Pakt nicht beizutreten, weil sie keine konkreten Vorteile durch die Ratifizierung sieht. Die Risiken durch rechtliche Auswirkungen würden allfällige Vorteile überwiegen, hält sie im Gegenteil fest. Der Uno-Migrationspakt wurde im Dezember 2018 von der Uno-Generalversammlung verabschiedet. Er hält Massnahmen fest, um die Migration erstmals grenzüberschreitend zu ordnen. Unterzeichnen wollte der Bundesrat den Pakt eigentlich schon 2018, verzichtete aber nach der Kritik, der Bundesrat könne den Pakt nicht ohne Zustimmung des Parlaments beschliessen.
UKRAINE: Im Nationalrat steht eine Erklärung zur Diskussion, wonach der von Stalin zu verantwortende millionenfache Hungertod in der Ukraine der 1930er-Jahre als Akt des Völkermordes anerkannt wird. Die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission beantragt dem Rat die Erklärung. Der Holodomor kostete 1932 und 1933 in der Ukraine mindestens drei Millionen Menschen das Leben. Den Holodomor haben bislang Parlamente in mehreren Ländern als Völkermord anerkannt, darunter in Deutschland, Frankreich, Polen, den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland und auch das EU-Parlament.
KLIMA: Das künftige Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht in beiden Räten in ausserordentlichen Sessionen zur Debatte. Hintergrund ist das Strassburger Urteil im Fall der Klimaseniorinnen vom vergangenen Frühjahr. Der Gerichtshof hielt darin fest, dass die Schweiz ihren Aufgaben beim Klimaschutz nicht nachgekommen sei. Im Nationalrat steht mit einer SVP-Motion einzig die Kündigung der EMRK zur Diskussion. Im Ständerat liegen mehrere Vorstösse vor. Während die Motion aus der SVP ebenfalls die Kündigung der EMRK verlangt, will eine Motion aus der FDP, dass sich der Gerichtshof auf seine Kernaufgabe besinnt. Die SP wiederum will mit einem Postulat Abklärungen zu den Folgen des Klimaurteils für die Schweiz. Der Bundesrat beantragt den Vorstoss der FDP zur Annahme, die übrigen Motionen lehnt er ab.
ASYL: Die SVP hat auch in der Herbstsession eine ausserordentliche Session zum Thema Asyl verlangt. Beiden Räten liegen jeweils mehrere Vorstösse der grössten Fraktion vor. Einer fordert, dass Asylsuchende, die ein sicheres Land durchquert haben, nicht mehr als Flüchtlinge gelten. Ein zweiter will den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene streichen. Mit einer weiteren Motion wird verlangt, Transitzonen in Grenzgebieten festzulegen, in denen alle Asylgesuche gestellt und bearbeitet werden sollen. Einreisen dürften nur Personen mit positivem Asylentscheid. Und noch eine fordert einen systematischen Datenaustausch zu Personen ohne geregelten Aufenthalt in der Schweiz. Der Bundesrat beantragt zu allen Motionen ein Nein. (awp/mc/pg)