Oerlikon – economiesuisse ruft und sie kommen immer noch. Die jungen (wenige) und gestandenen (viele) Manager in der Einheitstracht (Nadelstreifen, dunkles Zwirn). Coole Location (StageOne), eine realitätsnahe tiefe prozentuale Vertretung von Frauen. Und eine erfrischende Böe Zukunft dank den jugendlichen Finalisten von „Jugend debattiert“ (YES 2019).
Von Helmuth Fuchs
Die Themen sind diejenigen, welche auf der Agenda der Schweizer Wirtschaft ganz oben stehen: Der Umgang mit China, die Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft, der Erhalt der Spitzenposition der Schweiz als Wirtschaftsstandort.
Die unterschiedlichen Welten von Startups und internationalen Grossunternehmen
In einem Video zu Beginn gaben einige Gründer Einblick in ihre dringendsten Bedürfnisse, die gleich aufzeigten, dass sie sich auch thematisch grundlegend von den etablierten Grossunternehmen unterscheiden, ausser beim Thema des Fachkräftemangels, den sich beide Gruppen teilen. Bei den Startups stehen dann eher Sorgen wie Wachstumsfinanzierung, Lieferung ihrer Produkte an internationale Destinationen am folgenden Tag oder der zeitliche Ablauf von bürokratischen Prozessen im Zentrum.
Lahmende Dynamik, auch in der Schweiz
Heinz Karrer, der Präsident von economiesuisse setzte dann in seinen Ausführungen die Akzente dort, wo sie zielgenauer auf die Stimmung der Grossunternehmen trafen. Der Wettbewerb und die gleichzeitige Kooperation mit China, der bezüglich Kaufkraftparität neuen Nummer 1 der Welt. Dem Spagat zwischen Protektionismus und dem Wunsch, einen für alle Seiten einigermassen fairen Handel zu orchestrieren. Die lahmende Dynamik und das schleppende Wachstum in der Eurozone und vor allem mit unserem wichtigsten Handelspartner Deutschland. Die leicht sinkende Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz, wo vor allem die Exportfähigkeit und die Einfachheit, Geschäfte zu tätigen (ease of doing business) zu Anlass zur Sorge gäben.
Wie sag ich‘s China? Investitionskontrollen oder wohlwollendes laissez-faire
Als Vertreter der jüngsten Genration wirtschaftlich und politisch Interessierter diskutierten eine Teilnehmerin und drei Teilnehmer der Finaldebatte „Jugend debattiert“ (YES 2019) kontrovers und gekonnt, ob die Schweiz von chinesischen Investitionen durch stärkere Kontrollen besser geschützt werden sollen.
Alle miteinander, eine für sich selbst
Petra Gössi (FDP), Beat Jans (SP), Gerhard Pfister (CVP) und Albert Rösti (SVP) machten die grosse Auslegeordnung der wichtigsten Themen, wobei schnell klar wurde, das sich trotz der vielen Unterschiede im Vorfeld der Wahlen alle Parteien thematisch irgendwie zusammen raufen könnten, mit Ausnahme der SVP. Diese lehnt das Rahmenabkommen ohne wenn und aber ab, will nichts von Belastungen zur Entlastung des Klimas wissen. Selbstverständlich nehmen alle für sich in Anspruch, die Wirtschaft zu vertreten, wenn auch mit völlig unterschiedlichen Rezepten und Perspektiven.
Mit Steuern steuern
Heinz Karrer und Ueli Maurer betonten die Steuern als zentrale Komponente des Erfolgsmodell Schweiz. Die von der OECD und den G20 skizzierte und im Eilzugstempo geplante Digitalbesteuerung von Tech-Unternehmen stellt einen fundamentalen Wechsel von der Sitz- zur Marktbesteuerung dar. Damit sind sie eine ernsthafte Bedrohungen unseres Systems, das optimiert ist für einen kleinen Heimmarkt mit einem überproportional grossen Anteil an internationalen Grossfirmen und damit grossen Steuerzahlern. Umso wichtiger sei der innerkantonale Steuerwettbewerb um möglichst tiefe Steuern.
Wieso ohne Wachstum alles nichts ist
Prof. Dr. David Dorn, ein Schweizer Shooting Star im Feld der Ökonomen mit internationaler Beachtung, ging der grundsätzlichen Frage nach, weshalb es überhaupt Wachstum brauche. Entgegen der immer wieder kolportierten Meinung sei Wachstum kein Nullsummenspiel (es kann nur jemand gewinnen, wenn jemand anderer verliert), sondern entstehe durch Innovation, neue Produkte und Mehrwert. In einer Welt, in der immer einige Länder Wachstum aufweisen, sei Stillstand eben keine Option, da dieser unweigerlich zu einem Rückschritt führe. Die Schweiz sei unter anderem deshalb so erfolgreich, weil das Wachstum allen zugute komme und nicht nur einem kleinen Teil der Bevölkerung.
In Pyjama und Pantoffeln auf das Matterhorn
Bundespräsident Ueli Maurer konstatierte, dass die Politiker in der politischen Arbeit unsorgfältiger geworden seien. Sie entschieden sich, bildlich gesprochen, morgens das Matterhorn zu stürmen, und rennen dann euphorisch im Pyjama und Pantoffeln los. Das Matterhorn zu besteigen sei an sich ein löbliches Ziel, aber eben nur mit der richtigen Ausrüstung.
Genau so brauche es in der Diskussion mit der EU realistischere Vorstellungen und Zeithorizonte
DIE Wirtschaft gibt es nicht
Was aus all den Ausführungen deutlich wurde: Es gibt nicht DIE Schweiz, nicht DIE Wirtschaft, nicht DIE Politik, und zwar immer weniger, da die Interessen im Gegensatz zu früher viel fragmentierter sind. Dies bestätigte in einem kurzen Gespräch auch mein Sitznachbar Rudolf Ramsauer, Direktor economiesuisse 1998-2007. Früher seien die Strukturen einfacher, die Wege direkter gewesen.
Heute formieren sich auch dank der Schwäche der Parteien oder deren Unfähigkeit, politisch blockierte Situationen zeitnah zu lösen, Interessensgruppen ohne dauernde Strukturen, die ein Thema bearbeiten und sich danach neu formieren oder auflösen. Das macht es schwieriger, verlässlich langwierige Themen zu traktandieren und verfolgen. Auch geht damit die Deutungshoheit von Parteien zu allen möglichen Themen und die damit einhergehende Wählerbindung verloren. Die Wähler glauben heute kaum mehr, das EINE Partei zu allen Themen kompetent und ihr Programm zu allen Themen bindend sei.
Ein neues Netz
Im ähnlichen Spannungsfeld agiert die economiesuisse. Ihre Position muss differenzierter werden, kann sich nicht mehr blind an einer Partei oder einer Handvoll Grossunternehmen orientieren. Wenn sie die Schweizer Wirtschaft weiterhin glaubwürdig und breit repräsentieren will, muss ihr Einsatz für die Wirtschaft über die guten Rahmenbedingungen für exportorientierte Branchengrössen hinaus vermehrt Startups, junge Unternehmen, Innovationen zu drängenden Themen wie dem Umweltschutz und die Mitarbeitenden in der Schweiz erfassen. Vor allem müssen sie ihre Relevanz bei Jungen und Frauen beträchtlich steigern. Auf der Bühne sah man dazu schon einige Ansätze, im Publikum gibt es da noch viel Luft nach oben. Wenn das Old-Boys-Network machtpolitisch nicht mehr trägt, muss mit neuen Teilnehmenden eine neue Struktur gewoben werden. Noch hätte die economiesuisse dazu die Fäden in der Hand.