Luzern – Die Digitalisierung fordert die Schweiz und unsere Wirtschaft heraus. Es gilt, sich als Unternehmen rechtzeitig und geschickt in Position zu bringen. Marcel Stalder, CEO und Verwaltungsrat von EY Switzerland, bezieht Stellung. Er stellt u.a. fest, dass der immer schnellere Wandel nicht nur die Wirtschaft, sondern auch unsere Gesellschaft durchdringe. Neue digitale Realitäten bräuchten auch eine dazugehörige Kultur. Unternehmensmodelle müssten neu gedacht werden, und wir dürften nicht träge werden. Am Europa Forum Luzern leitet Marcel Stalder, auch Member des Executive Committee von digitalSwitzerland, die Executive Session zur Digitalen Transformation. Anhand der Firmenbeispiele Adidas – mit CTO Gerd Manz – und Metallzug mit CEO Jürg Werner wird ein hochaktueller Blick in die Praxis disruptiver Herausforderungen gegeben.
Europa Forum Luzern: Was macht heute und in Zukunft die Digitalisierung aus?
Marcel Stalder: Die Digitalisierung durchdringt alles. Sie verändert Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle genauso wie die Gesellschaft und den Alltag von uns allen. Wir befinden uns auf dem Weg in eine neue Realität. EY stellt sich als Gründungsmitglied von digitalSwitzerland den zahlreichen Herausforderungen und treibt die Digitalisierung in der eigenen Branche und bei den Kunden aktiv voran. Im Markt beobachten wir verschiedene Veränderungen: Einerseits werden bestehende Abläufe durch die Digitalisierung schneller, effizienter und kostengünstiger. Gleichzeitig entstehen dadurch aber auch neue Anforderungen an die Unternehmen, die sich von der Strategie über die Datenstruktur bis hin zur Kultur verändern müssen. Neue und schlanke Player mit innovativen Business-Modellen fällt das oft einfacher als den grossen Konzernen. Das heisst also: Der Veränderungsprozess wird immer schneller, stellt gewohnte Strukturen auch innerhalb der Wirtschaft auf den Kopf und hört nie auf. Die Digitalisierung bietet aus meiner Sicht gerade für die Schweiz grosse Chancen – sie fordert uns aber auch. Und zwar die Unternehmen genauso wie unsere Gesellschaft beispielsweise indem sie alte Berufe überflüssig macht und neue schafft.
Wo steht die Schweizer Wirtschaft in Sachen digitalem Fortschritt im Vergleich zum Ausland?
Wir sind eigentlich gut aufgestellt, wir haben in der Schweiz hervorragende Hochschulen und innovative Unternehmen. „Eigentlich“ sage ich deswegen, weil dies alleine noch nicht genügt. Man kann sich auf den Lorbeeren zu stark ausruhen, vor allem, wenn wie die Schweiz ein Land viele Rankings weltweit anführt. Wichtig ist deshalb, dass wir nichts verschlafen. Wir müssen wach und offen für Neues sein, mutig, risikofreudig und agil! Dazu gehört, dass man zwischendurch mit einem Projekt auch mal scheitern kann. Dann steht man auf und macht mit einem neuen Versuch weiter. Die neue, digitale Realität braucht eine dazugehörige Kultur an der wir alle gemeinsam arbeiten müssen. Wichtig aus politischer Sicht ist, dass wir uns auf keinen Fall mit unnötigen Regulierungen oder Verzögerungen selber bremsen.
«Unsere Gesellschaften werden in Zukunft nur weiterhin so gut funktionieren, wenn es mehr Gewinner als Verlierer der Digitalisierung gibt.»
EY-Schweiz-CEO Marcel Stalder
Wie hat sich der Digitalisierungsdruck in den Jahren verändert, und was kommt noch auf die Wirtschaft zu, mit welchen möglichen Folgen?
Die Unternehmensmodelle müssen neu gedacht werden – von der Strategie bis zur Unternehmenskultur, das ist völlig klar. Überall gilt mehr denn je: Der Kunde steht im Zentrum – und das darf nicht einfach ein Lippenbekenntnis sein! Wenn wir den Kunden nicht wirklich ernst nehmen, hat er jederzeit die Möglichkeit, mit ein paar Klicks zu einem anderen Anbieter von Gütern und Dienstleistungen zu wechseln. Deshalb werden die Daten und deren Handling weiterhin massiv an Bedeutung gewinnen. Das gilt immer, auch hier kann man sich nicht auf einmal erworbenen Lorbeeren ausruhen. Die ständige Veränderung ist die neue Konstante. Gleichzeitig gilt es für uns als Unternehmer, in unseren Organisationen die Mitarbeitenden mitzunehmen, sie fit für diese voll-digitale Welt zu machen. Unsere Gesellschaften werden in Zukunft nur weiterhin so gut funktionieren, wenn es mehr Gewinner als Verlierer der Digitalisierung gibt – und wir zu den möglichst wenigen Verlierern auch schauen, ihnen ein Auffangnetz bieten. Sonst wird die Summe der Unzufriedenen wachsen und für politische Instabilität sorgen.
Welche Herausforderungen müssen KMU, welche Grosskonzerne in naher Zukunft meistern?
Vieles ist bereits gesagt. Der Vorteil der KMU’s ist, dass sie agiler sind und rascher reagieren können. Dabei müssen sie aber die Gefahren früh genug sehen und den Moment zum Handeln nicht verpassen. Grossunternehmen können nebst dem „alten“ Geschäft intern und extern besser ins „neue“ Geschäft investieren, profitieren also von ihrer Kapitalmacht. Wichtig ist bei beiden Organisationsformen der Fokus auf die Harmonisierung der Daten, auf eine moderne IT, auf schnelle und agile Prozesse und die Förderung einer offenen Kultur. Letztlich ist die Digitalisierung auch eine Chance für unkonventionelle Menschen, die früher vielleicht in einer klassischen Hierarchie erstickt wären. Auf jeden Fall befinden wir uns in einer unglaublich spannenden Zeit.
Wo steht Ihrer Meinung nach Europa im Vergleich zu den USA und China / Asien in Sachen digitalem Fortschritt?
Asien ist sehr schnell unterwegs, keine Frage. Da stossen junge, hungrige Generationen nach, mit weniger Gepäck als wir in Europa. Deshalb dürfen wir uns nicht auf den Erfolgen der Vergangenheit ausruhen. Leider sind wir da und dort etwas träge geworden. Das muss sich ändern. Aber Initiativen wie digitalSwitzerland zeigen, das wir einerseits gemerkt haben, dass wir handeln müssen und andererseits, dass grosse und kleine Unternehmen bereit sind, dafür nicht nur Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch zusammen zu arbeiten. Das erfüllt mich mit Stolz und Zuversicht! Die Amerikaner sind Entfesselungskünstler: Sie verpassen hie und da etwas, sind aber fähig, unheimlich schnell zu reagieren und aufzuholen. Und sie haben eine unglaublich starke Spitze in Sachen Technologie.
Welche Länder und Organisationen werden künftig die globalen Treiber der Digitalisierung sein?
Sicher wie gesagt die USA mit dem Silicon Valley und China mit seinem Hunger und der Masse an gut ausgebildeten Jungen. Japan schafft es immer wieder, mit vorne dabei zu bleiben. Das können wir in Europa aber auch, gerade in der Schweiz mit den zwei technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne, die zur Weltspitze gehören, mit unserer Breite an kleinen und mittleren Unternehmen, die sich seit Jahrzehnten in einem unglaublich kompetitiven internationalen Markt behaupten müssen und können; und mit unseren Gross-Unternehmen, die an der Weltspitze mitspielen und die Kraft an Geld und Innovation haben, ganz vorne zu bleiben.
Zur Person:
Marcel Stalder ist CEO/Country Managing Partner sowie Verwaltungsrat von EY Switzerland und Managing Partner EY Markets – DACH. Er war u.a. an der Entwicklung und Einführung der «Global EY Audit Methodology» beteiligt. Er ist u.a. Vize-Präsident des Institute for Financial Services, Zug (IFZ) und Gründungsmitglied sowie Board-Member von digitalSwitzerland.
Veranstaltungsinformationen
Herbst 2017 – Die digitale Revolution
33. internationales Europa Forum Luzern
13. November 2017 | KKL Luzern
Lunch Cruise: Erstpräsentation Europa Barometer: 11.00 bis 12.30 Uhr (ausgebucht)
Symposium der Wirtschaft: 12.50 bis 17.30 Uhr (noch wenige Plätze frei)
Öffentliche Veranstaltung: 18.50 bis 20.45 Uhr (ausgebucht)
Information und Anmeldung www.europaforum.ch