19-jährig und gefragter Unternehmensberater: Philipp Riederle.
Zürich – Die Art und Weise wie wir arbeiten, verändert sich rasant. Treiber sind die Digitalisierung, die Globalisierung und die Freiheitsgrade, die von den Mitarbeitenden gefordert werden. Wissenschaftler und Unternehmensvertreter zeigten den über 230 Teilnehmenden auf, dass Raumgestaltungen und Freiheiten bezüglich des Ortes und der Zeit der Arbeit helfen, das Potenzial der Mitarbeitenden zu entfalten. Dazu braucht es Offenheit für Veränderungen und für ihre Konsequenzen. Dies eines der Fazits der traditionellen SGO Herbsttagung im Park Hyatt in Zürich.
Offenheit bewies die Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management (SGO) bereits zu Beginn des Anlasses, liess sie doch ihre 38. Herbsttagung von einem Referenten eröffnen der mit seinen 19 Jahren gut der Sohn vieler Anwesender hätte sein können. Philipp Riederle ist Unternehmer und berichtet seit sieben Jahren im Internet über neuste Entwicklungen im IT-Markt. Mit seinen Ausführungen brachte er den Teilnehmenden die Denkweise seiner Generation näher und versuchte Vorurteile aufzulösen, wie etwa jenes, dass die Jungen nur noch in der virtuellen Welt leben. Die Wirklichkeit sei – so Riederle – dass die virtuelle Welt für die Generation Y real und bloss eine Erweiterung der übrigen Welt sei. Für sie ist es selbstverständlich innerhalb kürzester Zeit Menschen zu kontaktieren, auf Informationen zuzugreifen und zu publizieren. Dies eröffnet unzählige Möglichkeiten und verändert ihre Einstellung zur Arbeit. Wichtig sei nicht Geld, Status oder Macht, die eine Arbeit vermittle, sondern die Sinnhaftigkeit. Um die stetig geringer werdende Zahl an jungen Arbeitnehmenden ins Unternehmen zu locken, müssen Unternehmen sinnvolle Arbeit anbieten, Feedback geben, Wissensaustausch sicherstellen und den Mitarbeitenden grösstmögliche Freiheiten gewähren in der Ort- und Zeitwahl ihrer Arbeit. Ein hoher Stellenwert habe für die Generation Y eine gute Ausbildung und Erfahrung. Deshalb akzeptiere sie keine Autoritäten, die auf Funktionen basieren, sagte Philipp Riederle. Von denjenigen Menschen, die sie voranbringen können, lasse sich seine Generation hingegen gerne etwas sagen. Denn in einer Zeit, in der die Unsicherheit gross sei, gelte es vor allem eine gute Ausbildung und Erfahrung zu erwerben.
Der Einfluss der Architektur
Über viel Erfahrung verfügt der Architekt Gunter Henn. Anhand der Funktionsweise von Stammeskulturen und des menschlichen Hirns zeigte er die Bedürfnisse von Bürogemeinschaften auf. Stammesgesellschaften vernetzen sich mit anderen an Treffpunkten, wo Waren und Wissen ausgetauscht werden. Mit steigender Entwicklung werden diese Handelsplätze ins Zentrum der Gesellschaft verlegt. Dort findet nicht nur der Austausch mit Fremden statt, sondern auch unter den einzelnen Mitgliedern der eigenen Gesellschaft. An diesem Platz entstehen die Versammlungsorte, der Markt, das Theater, die Kirche. Nach diesem Prinzip entwickelte Henn, der Gastdozent am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) in den USA und Leiter des Lehrstuhls für Industriebau an der TU Dresden ist, das Forschungs- und Innovationszentrum für BMW in München. Damit die Mitarbeitenden nicht nur das Wissen teilen, sondern auch diejenigen treffen, die zum selben Problem Nichtwissen haben, musste die Architektur es ermöglichen, vorübergehende Gruppierungen zu bilden. Henn löste das Problem mit einem Gebäude, in dessen kreisförmigen Mitte sich ein weiteres Gebäude befindet. Aussen- und Innengebäude sind mit Brücken verbunden, im inneren Gebäude ist die Herstellung der Prototypen angesiedelt. Diese zeigen, auf welchem Stand das Wissen sich befindet. Wer sich also über ein Problem austauschen will, gruppiert sich beim entsprechenden Prototypen in der Mitte und trägt die Erkenntnisse wieder zurück in die eigene Gruppe. Mit dieser architektonischen Aufteilung erreichte Henn das Ziel von BMW, nämlich Vernetzungen unter den Mitarbeitenden zu fördern. Als Analogie erläutert Henn die Hirnstrukturen, wo die Intelligenz nicht in den einzelnen Hirnregionen liegt – wie man dies früher glaubte – sondern in der Vernetzung der Regionen. Im Gegensatz zum Hirn brauche die Gesellschaft Zentren, wo das Wissen gebündelt ist. Nur in kleinen Gruppen, wo der Wissenskontext gleich sei, könne darauf verzichtet werden, führt Henn aus. Im Vordergrund steht für ihn stets der Zweck, der mit gestalterischen Massnahmen verfolgt werden soll. So ordnete er für das Max Planck-Institut in Frankfurt die gemeinschaftlich genutzten Räume in der Mitte der Arbeitsplätze an, in Anlehnung an die Klöster, die früher Wissensstätten waren, mit dem zentralen Kreuzgang als Begegnungsort und Zellen als Rückzugsmöglichkeiten. Nutzlos bezeichnet er jedoch sogenannte Wohlfühlzonen mit Sofas, von denen niemand weiss, wozu sie dienen.
Das heisse Sofa
Die beiden Sofas an der Herbsttagung hatten einen Zweck, nämlich als Sitzgelegenheit für die Diskussionsrunde. Barbara Josef von Microsoft Schweiz betrachtet die neue Arbeitswelt nicht als Revolution, sondern als Evolution. Sie hat Erfahrung damit, denn seit einigen Jahren praktiziert Microsoft ein Arbeitsmodell ohne feste Präsenzzeiten und mit flexiblen Arbeitsplätzen. Trotz kurzer Umbauphase sei die Einführung ein langer Prozess, der stets wieder angepasst werden muss. Beispielsweise sei die Integration von neuen Mitarbeitenden schwieriger, als in einem traditionellen Arbeitsmodell. Mit der Möglichkeit zu Home Office habe zwar die individuelle Produktivität zugenommen, um die Teamproduktivität hoch zu halten, sei jedoch die Arbeit im Büro und die physischen Kontakte unumgänglich, meint Josef.
Für Dr. Joël Luc Cachelin, Zukunftsforscher der Wissensfabrik St.Gallen, ist vor allem die räumliche Komponente der Arbeit wichtig: zumeist arbeitet er in seinem Büro zuhause, geht aber raus, um andere Menschen zu treffen. Diese Verflüssigung der Arbeitsorte beobachtet er auch bei grösseren Unternehmen. Sich mit der Zukunft zu beschäftigen ist für ihn die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten.
Die Beschäftigung mit der Zukunft ist relativ neu in der Menschheitsgeschichte, wirft Dr. Theo Wehner, Professor am Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften an der ETH Zürich ein. Als Auslöser dafür bezeichnet er die Ängste vor der Zukunft. Ängste sind es denn auch, mit denen sich Unternehmen beschäftigen müssen, wenn sie neue Arbeitswelten umsetzen wollen. Wandel weckt immer Widerstand und setzt Emotionen frei. Vom Moderator Charles Imbacher auf die Arbeitswelt im Jahre 2030 angesprochen, verschwimmen nach Wehners Ansicht die Unterschiede zwischen Begegnungsplätzen und Rückzugsorten immer mehr. Gleichzeitig werde es eine zunehmende Professionalisierung geben, indem jeder in seinem eigenen Gebiet sich zum Experten entwickeln kann.
Humor bei der Arbeit
Von der humoristischen Seite her beleuchtete Gerhard Tschan die neue Arbeitswelt. Flexibel wechselte er seine Rolle zwischen dem topmotivierten und dem unmotivierten Mitarbeiter und nahm manche Entwicklung augenzwinkernd auf die Schippe.
Workshops
Ernsthafter und engagiert ging’s bei den vier Workshops zu. Der Themenbereich „Leadership und HR Management in neuen Arbeitswelten: was bleibt, was kommt?“ stand unter der Leitung von Prof. Dr. Daniela Eberhardt vom Zürcher IAP und Kuno Ledergerber von der ZHAW. Die Diskussion unter den Teilnehmenden ergab, dass die Führung neu gestaltet werden muss und die Ansprüche an die Führung mit den neuen Arbeitswelten zunehmen.
Den Themenbereich „Gestaltung neuer Arbeitswelten: Raum + Design“ leiteten Prof. Urs Greutmann von greutmann bolzern design und Oliver Hauri von Lienhard Office Group. Das Fazit dieses Workshops war, dass die Arbeitsplätze die Wertschätzung für die Menschen spiegelt, die dort arbeiten.
Der Workshop „Optimale Lösungen für smarte Arbeitswelten: Prozesse – Performance – Produktivität“ von Dr. Bruno Messmer, Marco Wyrsch und Stephan Ging (alle von der Swisscom) beschäftigte sich mit den technologischen Mitteln, die Mitarbeitende unterstützen effizienter, kreativer und innovativer zu werden. Technisch ist fast alles machbar – so der Tenor des Workshops – doch jedes Unternehmen müsse für sich entscheiden, welche Mittel wie stark genutzt werden sollen.
Der Workshop „Menschliche Herausforderungen in Neuen Arbeitswelten“ unter der Leitung von Prof. Dr. Hartmut Schulze von der FHNW und Prof. Dr. Lukas Windlinger, vom Institut für Facility Management der ZHAW beleuchtete konkrete Fragen zur Ausgestaltung von Home Office und Desk-Sharing.
Perspektivenwechsel als Antrieb zur Veränderung
Der Aufruf zum Perspektivenwechsel, um Unterschiedliches und Verbindendes wahrzunehmen, den der Soziologieprofessor Dr. Ueli Mäder von der Universität Basel an die Teilnehmenden richtete, bildete den Schlusspunkt der SGO Herbsttagung. Mäder stellte in seinem Referat die These, dass wir auf dem Weg in eine reflexive Zukunft seien, weil wir als denkende Menschen die Zukunft antizipieren können, der Gegenthese, dass wir angesichts der zu vergewärtigenden Probleme uns entweder zurückziehen oder in ziellosen Aktionismus verfallen, gegenüber. Als problematisch betrachtet er das Zunehmen jener Bevölkerungsschichten, die wirtschaftlich zurückbuchstabieren müssen. Für mehr Einkommensgerechtigkeit plädiert er neben der Umverteilung und der sozialen Sicherungen dafür, unterschie-dliche Arbeitskulturen zu kultivieren und zu integrieren. Die Handlungsmuster sind der Situation anzupassen. So sei beispielsweise Home Office weder grundsätzlich gut noch schlecht. Abhängig von der Situation sei es gut und dann zuzulassen. Arbeit sei auch eine sinnliche Wahrnehmung, meint Mäder und knüpft an das Referat von Philipp Riederle an. Mit der Frage nach dem Sinn werde die Entwicklung in Frage gestellt und so eventuell das System verändert. Dies wiederum bedingt Offenheit, eines der Schlüsselwörter der diesjährigen SGO Herbsttagung. (SGO/mc/ps)
SGO
Die Schweizerische Gesellschaft für Organisation und Management (SGO) blickt auf eine über 47-jährige Tradition im Bereich des Managements und der Organisation zurück. Die im Jahr 2000 gegründete SGO-Stiftung fördert junge Talente und unterstützt die Forschung und Entwicklung in den Bereichen Organisation, Betriebswirtschaft und Führung an Universitäten und Hochschulen in Europa.
Als der führende Schweizer Anbieter von Organisations- und Management-Wissen bearbeitet die SGO organisatorische Themen und bietet eine Vielzahl von Netzwerkgefässen (Communities of Practice) an, in denen der Erfahrungsaustausch unter Fachleuten der Privatwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung gepflegt wird und thematische Inhalte weiterentwickelt werden.
Des Weiteren bietet die Organisation umfangreiche Schulungen und Weiterbildungen an, insbesondere mittels Tagungen, Seminaren, Arbeitsgesprächen und Kursen. Die SGO fördert zudem den wissenschaftlichen Diskurs, indem sie eine enge Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen, Fachverbänden und ähnlichen Vereinigungen des In- und Auslandes anstrebt.