Zürich – Die Margen der 21 grössten Pharmakonzerne der Welt sinken, trotzdem wachsen sie dank Blockbuster-Medikamenten und neuen Wirkstoffen gegen Krebs weiter. 40 Prozent der Wirkstoffe, die momentan weltweit neu entwickelt werden, sind Krebsmedikamente. Bereits 2017 verdienten die Pharmaunternehmen damit fast jeden dritten Franken: Die Umsätze im Bereich Onkologie stiegen von CHF 151,3 Milliarden auf CHF 160,0 Milliarden. Gleichzeitig wuchsen die Umsätze mit Blockbustern deutlich stärker als die Gesamtumsätze: Während die weltweiten Top-21-Pharma-Unternehmen 2017 insgesamt CHF 520,4 Milliarden Umsatz und damit nur 0,4 Prozent mehr als im Vorjahr generierten, stieg der Blockbuster-Umsatz um drei Prozent auf CHF 312,4 Milliarden.
Das zumindest leichte Wachstum beim Umsatz findet sich jedoch im operativen Ergebnis nicht wieder: Das Ebit sank im Vergleich zum Vorjahr um 2,4 Prozent auf CHF 176,0 Milliarden. Allerdings spielten Wechselkurseffekte 2017 eine grosse Rolle: Währungsbereinigt stiegen die Umsätze deutlicher um 2,6 Prozent an und das Ebit entwickelte sich mit minus 0,4 Prozent nur leicht negativ, wobei Roche und Novartis fast konstant blieben. Auch die Marge ging zurück: Sie betrug 2017 noch 26,5 Prozent, das waren 1,8 Prozentpunkte weniger als 2016, aber 0,2 Prozentpunkte mehr als 2015.
Diese Ergebnisse entstammen einer Analyse der Finanzkennzahlen der 21 grössten Pharmaunternehmen der Welt, die die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY erstellt hat.
„Bei den Krebsmedikamenten und Blockbustern besteht eine zunehmend grössere Abhängigkeit der Pharmakonzerne“, kommentiert Paolo Prisco, der Marktsegmentleiter Life Sciences Schweiz bei EY, die Zahlen. „Die Umsatzsteigerung bewegt sich wegen der sinkenden Margen auf tiefem Niveau. Es braucht deshalb neue Wege: Die Firmen müssen Innovationen noch stärker fördern und komplett neue Ökosysteme aufbauen. Die Zukunft prägen wird ausserdem die personalisierte, datenbasierte Medizin – da wird und muss viel passieren.“
Jürg Zürcher, der Leiter Biotech in Basel, ergänzt: „Viele andere Branchen wären über die Margen in der Pharmabranche sehr zufrieden. Dennoch zeigt der Rückgang ein Problem auf: Die Konkurrenz ist in den grössten Therapiebereichen wie der Onkologie enorm – am Schluss bleiben nur kleine Stücke des Kuchens übrig. Es steht viel auf dem Spiel für die Konzerne. Die Akzeptanz neuer Therapieformen und die Zahlungsbereitschaft der Gesundheitssysteme werden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.“
Rest der Welt wächst stärker als gesättigte Märkte in Europa oder USA
Hinzu kommt, dass gerade in den grossen Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien die Nachfrage immer grösser wird. Das sorgt dafür, dass sich die Umsatzentwicklung regional sehr unterschiedlich darstellt. Während in den relativ gesättigten Märkten USA und EU die Umsätze nur leicht gewachsen sind, erwirtschafteten die Pharmakonzerne 2017 im Rest der Welt 2,6 Prozent mehr Umsatz. Auf die Nachfrage reagieren die Konzerne bei der Medikamentenentwicklung mit gesteigerten Ausgaben für Forschung und Entwicklung: Die 21 Top-Pharmakonzerne gaben dafür 2017 insgesamt CHF 98,7 Milliarden aus – das waren 3,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei den beiden Schweizerischen Pharmakonzernen wächst Roche mit den F&E-Ausgaben um 5 Prozent, während Novartis leicht um 1 Prozent schrumpft.
Pipeline neuer Wirkstoffe ist prall gefüllt
Die Pharmaunternehmen investieren stark in neue Produkte – 2017 stieg die Zahl der Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung um fast ein Fünftel (19,4 Prozent), nach einem Wachstum von knapp 12 Prozent im Vorjahr. Insbesondere in den letzten beiden Phasen kurz vor dem Markteintritt stieg die Zahl signifikant von 200 im Vorjahr auf 315. Über einen Zweijahreszeitraum betrug das Wachstum in diesen Phasen sogar 85 Prozent.
„Die hohe Zahl der Medikamente, die in den letzten Monaten zur Zulassung freigegeben wurden, zeigt, dass die Pipelines der Pharmakonzerne gut gefüllt sind“, sagt Zürcher. „Dies ist gut für die Patienten, weil ihnen durch die Investitionen in Forschung und Entwicklung neue Behandlungsmöglichkeiten rasch zur Verfügung stehen. Durchbrüche in einzelnen Bereichen stimulieren die gesamten Branche und erzeugen ein positives Investitionsumfeld.“ Als Beispiel nennt Zürcher Proteine, die auf Zellebene das Immunsystem gegen Krebs unterstützen
Der Aufbau von Ökosystemen eröffnet komplett neue Geschäftsmodelle
Eine neue EY-Studie beleuchtet die Trends der Branche für die Zukunft. Demnach besteht noch erhebliches Potenzial für die Pharmabranche – obwohl die Märkte stark gesättigt sind. Grund dafür sind die neuen technologischen Möglichkeiten und eine damit einhergehende Umwälzung der ganzen Gesundheitsbranche – die Zukunft liegt in komplett neu definierten Ökosystemen und Geschäftsmodellen. Mit dem Ziel, den Gesundheitskunden umfassend begleiten zu können, investieren grosse Konzerne in junge Technologiefirmen, die beispielsweise Plattformlösungen oder digitale Distributionskanäle anbieten. Ein Beispiel ist Roche, der ein ausgeklügeltes Ökosystem aufgebaut hat und damit den Diabetesmarkt stark kontrolliert.
Zwar werden auch in Zukunft die klassischen Pharmaverkäufe den grössten Teil des Marktes ausmachen. Allerdings wird der Anteil von Gesundheits-IT-Lösungen am Gesamtmarkt massiv zunehmen: Für die Schweiz prognostiziert die Studie knapp eine Verdreifachung von CHF 1,9 Milliarden auf CHF 4,8 Milliarden – Gesundheits-IT-Lösungen werden also ein ähnliches Niveau wie klassische Pharmaverkäufe erreichen.
Paolo Prisco betont: „Die Pharmabranche befindet sich in einer Transformation von Pharma 1.0 zu Pharma 4.0 und damit hin zum ‚Outcome based’-Ansatz – also einem Modell, das alle Beteiligten wie Patienten, Ärzte, Versicherungen und den Staat kollaborativ miteinbindet.“
Life-Science-Start-ups werden Konzernen Marktanteile abjagen
Dabei werde sich allerdings ein Wettbewerb mit neuen Markteintritten entwickeln, die den etablierten Pharmaunternehmen Marktanteile abjagen. Bis 2030 werden laut EY-Prognose Life-Science-Start-ups zwischen 30 und 45 Prozent des Marktes übernehmen. Am meisten Anteile müssten die Pharmakonzerne demnach abgeben, wenn sie sich rein auf Effizienzmassnahmen konzentrieren und Innovationen von ausserhalb der Branche übernehmen, statt sie selbst zu entwickeln. Das für sie beste Szenario ergibt sich, wenn sie darauf abzielen, das gesamte Ökosystem selbst zu kontrollieren und zu gestalten.
Zukünftiger Wert durch datengetriebene Plattformen erreicht
„Datengetriebene Businessmodelle werden die Pharmaindustrie nachhaltig verändern“, sagt Zürcher abschliessend. Start-ups sind agiler bei der Entwicklung von neuen Lösungen, was ihnen einen Vorteil gegenüber Grosskonzernen verschafft. Die entscheidende Rolle wird dabei sein, Daten in Informationen zu übersetzen, um dem Patienten die bestmöglichen Behandlungsmethoden anzubieten. Die Zusammenarbeit über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg wird von zentraler Bedeutung sein, damit Ökosysteme funktionieren und sowohl den Patienten als auch den Unternehmen Mehrwert liefern können.“ (EY/mc)
Über die globale EY-Organisation
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