Gauck: Direkte Demokratie kann Gefahren bergen
Deutschlands Bundespräsident Joachim Gauck. (Foto: Bundespräsidialamt)
Bern – Der deutsche Bundespräsident Gauck hat bei seinem Besuch in der Schweiz Verständnis für das Schweizer Ja zur Zuwanderungsinitiative gezeigt. Er sehe aber auch Nachteile in der direkten Demokratie, sagte er am Dienstag nach Gesprächen mit Bundespräsident Didier Burkhalter. «Die direkte Demokratie kann Gefahren bergen, wenn die Bürger über hochkomplexe Themen abstimmen», sagte Gauck an der Medienkonferenz im Landgut Lohn in Kehrsatz. Er sei ein überzeugter Unterstützer der repräsentativen Demokratie, mit der Deutschland «sehr gut fährt».
Gauck sagte weiter, er könne sich nicht vorstellen, wie ein Land, das so europäisch sei und so viele verschiedene Kulturen in sich vereine wie die Schweiz, sich von der EU distanzieren wolle. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sollten gestärkt, nicht geschwächt werden.
Burkhalter verteidigte die direkte Demokratie: «Die Schweiz ohne direkte Demokratie wäre wie ein Körper ohne Blut.» Dazu gehöre, zu akzeptieren, wenn die Bevölkerung gegen die Empfehlung der Behörden stimme. Die Stimmen sämtlicher Bürgerinnen und Bürger seien gleichwertig. Er mahnte zur Bescheidenheit: Die Entscheide der Behörden seien nicht automatisch richtig. «Ich kann nicht ganz verstehen, weshalb die EU wegen dem Volksentscheid Forschungsabkommen mit der Schweiz gestoppt hat», sagte Burkhalter, denn die Personenfreizügigkeit gelte zurzeit noch. Ein Verhandlungsstopp nütze weder der EU noch der Schweiz.
Burkhalter: EU muss Verständnis aufbringen
Burkhalter bekräftigte, die Schweiz wolle mit der EU weiter diskutieren – die EU müsse aber Verständnis aufbringen für den Schweizer Volksentscheid. Burkhalter sowie Gauck zeigten sich überzeugt, dass die Schweiz mit der EU eine Lösung finden werde.
Besuch vorgezogen
Gauck hat nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar seinen zweitägigen Schweiz-Besuch vorgezogen. Er wolle damit die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland bekräftigen, erklärte er, auch wenn es wegen dem Ja zur Zuwanderungsinitiative Differenzen gebe. Auch Burkhalter bestätigte die guten Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz. Er habe zurzeit wegen der Krise in der Ukraine fast täglich Kontakt zur deutschen Regierung, sagte Burkhalter. Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut.
Gauck dankte der Schweiz für ihren Einsatz in der Ukraine im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), deren Vorsitz die Schweiz derzeit innehat. Er habe mit Burkhalter auch darüber gesprochen, wie die OSZE zu einer Deeskalation der Situation in der Ukraine beitragen könne, so Gauck.
Duales Bildungssystem exportieren
Die beiden Politiker verwiesen zudem auf die enge Kooperation in Bildung und Forschung: In über 3300 Forschungsprojekten arbeiten Schweizer und deutsche Wissenschaftler zusammen. «Die Schweiz und Deutschland haben mit dem dualen Ausbildungssystem ähnliche Erfahrungen gemacht», sagte Gauck. Auch hier könnten die beiden Länder enger zusammenarbeiten. Er könne sich vorstellen, die duale Ausbildung in südeuropäischen Ländern einzuführen, in welchen die Jugendarbeitslosigkeit wegen der Wirtschaftskrise stark gestiegen ist.
Über Steuerfragen haben Gauck und Burkhalter nicht gesprochen. Burkhalter sagte an der Medienkonferenz, die Spannungen zwischen den beiden Ländern wegen Steuerhinterziehungen gehörten der Vergangenheit an.
Bundespräsident Gauck weilt zwei Tage in der Schweiz. Am Mittwoch will er das europäische Kernforschungszentrum CERN in Genf besuchen. (awp/mc/pg)