Bern – Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) kritisieren den Bundesrat dafür, zu Beginn der Corona-Krise Anfang 2020 eine zu passive Rolle in der Krisenorganisation eingenommen zu haben. Die Regierung müsse die Lehren daraus ziehen.
«Der Bundesrat erkannte nicht früh genug, dass es sich um eine bereichsübergreifende Krise globalen Ausmasses handelt, und unterschätzte deren mögliche Dauer», heisst es im am Dienstag publizierten GPK-Bericht. Dies habe zur Folge gehabt, dass die Massnahmen zur Krisenbewältigung in den einzelnen Departementen mehrere Wochen lang unkoordiniert eingeleitet und erarbeitet worden seien.
«Wahrscheinlich hätte man den Januar und Februar 2020 nutzen sollen, um eine funktionierende Krisenorganisation zu gestalten», sagte Ständerat Daniel Fässler (Mitte/AI), der am Bericht mitgearbeitet hatte. Die GPK nehmen keine einzelnen Personen ins Visier: Das Problem seien die Strukturen gewesen, sagte Ständerat Marco Chiesa (SVP/TI).
Beispielsweise habe das Innendepartement von Gesundheitsminister Alain Berset sehr viel Macht gehabt. Die drei wichtigsten Krisenorgane des Bundes seien alle diesem Departement unterstellt gewesen, konstatiert der Bericht. Die Covid-19-Taskforce des Bundesamts für Gesundheit (BAG) habe viele Aufgaben des Bundesstabs Bevölkerungsschutz (BSTB) und des Krisenstabs des Bundesrats Corona (KSBC) übernommen, obwohl dies nicht so vorgesehen sei.
Bundesratsausschuss als mögliche Lösung
Der Bundesrat habe es versäumt, zu Beginn der Krise grundsätzliche Überlegungen über die Krisenorganisation des Bundes anzustellen, heisst es im Bericht weiter. «Die Organisation wich in mehreren Punkten stark von den vorgesehenen Strukturen ab.» Als Folge davon seien die drei Hauptkrisenorgane zeitlich versetzt und nicht koordiniert aktiviert worden.
Ausserdem schreiben die GPK im Bericht, dass in der ersten Pandemiewelle der Grossteil des Krisenmanagements in den üblichen Verwaltungsstrukturen erfolgt sei. Weiter werden auch die Krisenübungen des Bundes kritisiert. Diese seien ihrer Zielsetzung nur teilweise gerecht worden.
Die GPK halten es nach eigenen Angaben für notwendig, dass der Bundesrat grundsätzliche Überlegungen über die künftige Krisenorganisation anstellt. Die Landesregierung prüft bereits, in künftigen Krisen einen Bundesratsausschuss zu bilden. Dies erachten die GPK als sinnvoll, wie es weiter heisst.
«Fach-Krisenstab» soll es richten
Als «unbefriedigend» und «wenig systematisch» bezeichnen die GPK den Einbezug der Kantone in die Krisenorganisation des Bundes. Auch die Schnittstellen zur Wissenschaft und zur Wirtschaft sowie der Einbezug der Zivilgesellschaft bedürften einer Präzisierung.
Die GPK geben im 133 Seiten umfassenden Bericht elf Empfehlungen ab. Zudem wollen sie den Bundesrat mit einer Motion beauftragen, die Rechtsgrundlagen für einen «Fach-Krisenstab» zu erarbeiten. Schliesslich verlangen die Kommissionen einen Bericht mit einer Gesamtbilanz der Krisenorganisation des Bundes.
Trotz der Kritik halten die GPK fest, «dass die Schweiz mit dieser Krisenorganisation die erste Pandemiewelle im Grossen und Ganzen zufriedenstellend bewältigen konnte». Die Mitglieder und Mitarbeitenden dieser Organe hätten ihre Aufgaben mit grossem Einsatz bewältigt.
Weitere Berichte folgen
Der neuste GPK-Bericht deckt die Monate Januar bis Juni 2020 ab. Die Analyse dauerte von Mai 2020 bis Januar 2022. Der Bundesrat wird dazu bis am 30. September 2022 Stellung nehmen können.
Die GPK begrüssten aber bereits, dass die Regierung bereits Schritte in die richtige Richtung unternommen habe. Es seien in den vergangenen Monaten mehrere Verbesserungen an der Krisenorganisation vorgenommen worden.
Bereits früher hatten die Aufsichtskommissionen den Bund für die Beschaffungsprozesse von Schutzmasken in der ersten Pandemie-Phase kritisiert. Rund ein halbes Dutzend weitere GPK-Berichte zu verschiedenen Aspekten der Corona-Krise werden im Laufe des Jahres erwartet.(awp/mc/ps)