Bern – In ein paar Wochen beginnen Arbeitgeber und Gewerkschaften mit den Lohnverhandlungen. Die grösste Arbeitnehmerorganisation der Schweiz fordert generelle Erhöhungen von bis zu 1,5%. Der Zeitpunkt für die öffentliche Verlautbarung hätte nicht besser gewählt sein können.
«Wir haben den optimalen Zeitpunkt erwischt», sagte Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) am Mittwoch vor Journalisten in Bern.
Optimal, weil einen Tag zuvor die neuesten Wachstumszahlen der Schweizer Wirtschaft bekannt wurden. Sie sind erstaunlich gut. Die Schweizer Wirtschaft scheint den Frankenschock verdaut zu haben.
Die Gewerkschaftsvertreter werden in den kommenden Wochen darum mit gestärktem Rücken an die Arbeitgeber herantreten. Lohnverhandlungen sind quasi ihr Kerngeschäft, die mediale Inszenierung Teil davon.
Die Binnenwirtschaft habe sich besser entwickelt als erwartet, sagte Rechsteiner vor den Journalisten. Auch Teile der Exportwirtschaft hielten sich gut. «Das muss sich spiegeln in den Lohnabschlüssen» verlangte er.
Zwar hat sich der Privatkonsum, eine wichtige Stütze der Schweizer Wirtschaft, verhalten entwickelt. Doch auch dieser Fakt dient den Gewerkschaften als Argument, um ihre Forderungen zu untermauern. «Lohnerhöhungen würden helfen», sagte Daniel Lampart, Chefökonom des SGB.
Höhere Prämien
Weitere Begründungen für generelle Lohnerhöhungen findet der SGB in den höheren Lebenshaltungskosten. Die Teuerung werde in den Verhandlungsmonaten Ende Jahr wieder leicht positiv sein, sagte Lampart mit Blick auf die Prognosen, welche für das kommende Gesamtjahr meist ein rückläufiges Preisniveau voraussagen. Sinken die Preise, steht den Haushalten eigentlich mehr Geld zur Verfügung. Ökonomen sprechen in einem solchen Fall von Reallohnsteigerungen.
Davon kann gemäss SGB nächstes Jahr keine Rede sein. Ein halbes Prozent der geforderten 1,5% soll für den Teuerungsausgleich aufkommen. Alleine die Krankenkassenprämien werden um bis zu 5% ansteigen. Dazu kommen die nicht über die Krankenversicherung abgedeckten Gesundheitskosten.
Zudem müssten generelle Lohnerhöhungen gewährt werden, um der Lohnschere entgegenzuwirken. Die Gewerkschaft Unia, welche zu den 16 im SGB zusammengeschlossenenEinzelgewerkschaften zählt, stellt die Lohnforderungen prozentual oder in absoluten Frankenbeträgen.
Im Detailhandel soll es beispielsweise ein Plus sein von einem Prozent. In der Chemie- und der Pharmabranche verlangt die Gewerkschaft mindestens 100 CHF für alle, im Bau beispielsweise sind es 80 CHF generell.
Zurückhaltung
Verhandlungspartner in der Baubranche wird der Schweizer Baumeisterverband (SBV) sein. Dieser will sich noch nicht öffentlich zu den Forderungen äussern, wie der Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur sda sagte.
Auch der Arbeitgeberverband gibt sich zurückhaltend. Die Verhandlung sei Sache der einzelnen Unternehmen und Brachen. Generelle Lohnerhöhungen sollten grundsätzlich nur dort erfolgen, wo Leistungen für das Unternehmen gemeinschaftlich im Zusammenspiel der Mitarbeitenden erbracht wurden.
Individuelle Leistungsbereitschaft sollte hingegen auch individuell abgegolten werden. Wo Erhöhungen drin liegen, sollte es durchaus zu Lohnerhöhungen kommen, schreibt der Arbeitgeberverband in der Stellungnahme.
Hingegen seien Kompensationen für die höheren Krankenkassenprämien nicht Sache der Arbeitgeber. Unternehmen orientierten sich bei der Lohnhöhe an ihrem Geschäftsgang, nicht an den anderweitigen Kosten.
Mit der Forderungen des SGB liegen die Karten der beiden Schweizer Gewerkschaftsdachverbände auf dem Tisch. Der Arbeitnehmer-Dachverband Travail.Suisse, zu dem 11 Verbände gehören, hält gemäss Angaben von Anfang August Erhöhungen von rund einem Prozent für angezeigt. (awp/mc/upd/ps)