Gewerkschaftsbund will mit Initiative höhere AHV-Renten durchsetzen
Bern – Die Altersvorsorge ist reformbedürftig. Mit der Initiative «AHVplus: für eine starke AHV», die am 25. September an die Urne kommt, will der Gewerkschaftsbund (SGB) einen Pflock einschlagen: Die AHV-Renten sollen pauschal um 10 Prozent stiegen.
Wird die Initiative angenommen, muss sie 2018 umgesetzt werden. Zu dem Zeitpunkt würde der Zuschlag gut 4 Milliarden Franken pro Jahr kosten. Über die Finanzierung sagt die Initiative nichts aus. Der SGB schlägt aber vor, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer je 0,4 Lohnprozente mehr einzahlen. Der Bund müsste zusätzlich rund 800 Millionen Franken pro Jahr beisteuern.
Nach Berechnungen des SGB hätten Alleinstehende im Durchschnitt monatlich 200 Franken mehr im Portemonnaie, Ehepaare 350 Franken. Dieser Zuschlag soll es Rentnerinnen und Rentnern erlauben, den Existenzbedarf angemessen zu decken, so wie es die Verfassung verlangt.
Immer öfter ist das heute nicht der Fall. Zwar werden die Renten alle zwei Jahre an Teuerung und Löhne angepasst. Da die Lohnentwicklung aber nur zur Hälfte berücksichtigt ist, wird die Lücke zwischen Löhnen und Renten immer grösser. Das bestätigt der Bundesrat in seiner Botschaft ans Parlament. Nach seinen Angaben ist die so genannte Ersatzquote seit 1980 von 100 auf 91 Punkte gesunken.
Sinkende Renditen
Gleichzeitig haben die Gewerkschaften wenig Vertrauen in die Pensionskassen. Obwohl die Arbeitnehmenden immer mehr in die zweite Säule einzahlen müssten, bekämen sie immer weniger Rente, kritisieren sie. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten lösten Rentenversprechen in Luft auf.
Nach Ansicht der Initianten ist die AHV die Altersvorsorge mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. In einem Rechenbeispiel zeigen sie auf, dass ein Ehepaar bei der Pensionskasse fast doppelt so viel Beiträge einzahlen müsste wie bei der AHV, um auf eine maximale Ehepaarrente zu kommen. «Wer rechnet, stärkt die AHV», lautet daher ein Slogan der Befürworter. Zu diesen gehören neben den Gewerkschaften die SP, die Grünen sowie Rentnerorganisationen.
Drohendes Milliardenloch
Die bürgerlichen Parteien und die Wirtschaftsverbände sind vom Gegenteil überzeugt. Sie halten eine flächendeckende Rentenerhöhung für nicht finanzierbar. Der AHV drohe ohnehin ein Loch von rund 7 Milliarden Franken. Werde die Initiative angenommen, weite sich dieses ab 2030 auf 12,5 Milliarden Franken aus, warnen sie.
Die Initianten bezeichnen das als Angstmacherei. Bisher habe die AHV alle Herausforderungen schultern können. Die Beiträge stiegen mit der Zahl der Beschäftigten und der Produktivität der Wirtschaft, argumentieren sie.
Doch die Gegner haben weitere Vorbehalte. Sie befürchten, dass zusätzliche Lohnprozente Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen. Zudem drohe ein Generationenkonflikt, weil die Erwerbstätigen die Renten einer immer grösseren Zahl von Seniorinnen und Senioren berappen müssten. Die mit der Lebenserwartung steigende Bezugsdauer verschärft das Problem nach Ansicht der bürgerlichen Parteien und der Wirtschaft zusätzlich.
Nicht alle profitieren
In ihren Augen ist die Initiative auch zu wenig zielgerichtet. Bei einer Annahme hätte zwar die Mehrzahl der 2,2 Millionen AHV-Rentnerinnen und -Rentnern mehr Geld in der Tasche. Doch für rund 140’000 Personen, die auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen sind, würde sich nichts ändern, wie der Bundesrat errechnet hat. Ihre EL würde wegen der höheren Rente um den entsprechenden Betrag gekürzt.
15’000 Personen hätten unter dem Strich sogar weniger Geld, weil sie ihren Anspruch auf die steuerfreien Ergänzungsleistungen verlieren. Das sind 0,7 Prozent der AHV-Bezüger. Nach Ansicht des SGB muss dieses Problem im Umsetzungsgesetz gelöst werden.
Die Situation der EL-Bezügerinnen und -Bezüger ist einer der Gründe, weshalb der Bundesrat die Initiative ablehnt. Ein anderer ist die zusätzliche Belastung der Bundeskasse. Im Jahr 2030 müsste der Bund wohl schon 1,1 Milliarden Franken pro Jahr zusätzlich zur AHV beisteuern.
Unterschiedliche Interessen
Doch bei der Altersvorsorge geht es nie nur um die Vorsorge fürs Alter, sondern immer auch um Ideologie und ums Geschäft. Die Finanz- und Versicherungswirtschaft hat wenig Interesse, die AHV zu stärken. Da diese nach dem Umlageverfahren funktioniert, wird kaum Kapital angehäuft, das sich gewinnbringend anlegen lässt. Die Linke setzt auf die erste Säule, weil auch Spitzenverdiener auf jeden Franken Einkommen AHV-Beiträge zahlen, am Schluss aber doch nie mehr als die Maximalrente von 2350 Franken bekommen.
Der wichtigste Schauplatz dieser vielschichtigen Auseinandersetzung ist jedoch nicht die «AHVplus»-Initiative, sondern die Altersvorsorge 2020. Diese Reform, die derzeit im Nationalrat hängig ist, soll die Probleme von erster und zweiter Säule gleichzeitig lösen. Im Zentrum stehen ein höheres Frauenrentenalter, ein tieferer Umwandlungssatz und zusätzliche Mehrwertsteuer-Prozente.
Volk entscheidet
Umstritten ist, ob auch die AHV-Renten leicht erhöht werden sollen. Die Nationalratskommission entscheidet am Freitag, ob sie dem Ständerat in dem Punkt zustimmen will. Der Druck ist hoch, denn letztlich braucht es ein Paket, das vor dem Volk Bestand hat – und Rentenkürzungen respektive höhere Beiträge sind bekanntlich schwer zu verkaufen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mehrheit der Stimmberechtigten beim Thema Altersvorsorge der Linken folgt. Darauf deutet eine erste Umfrage zur Initiative des SGB hin: Vor zehn Tagen wollten 60 Prozent der Befragten der Erhöhung der AHV-Renten zustimmen. (awp/mc/ps)