Gripen stürzt an der Urne ab
Gripen F Demonstrator 2012 über der Axalp. (Bild: VBS)
Bern – Die Schweiz kauft vorläufig keine neuen Kampfjets. 53,4 Prozent der Stimmberechtigten lehnten den Kauf von 22 Gripen des schwedischen Herstellers Saab für 3,1 Milliarden Franken ab. Die schwedische Verteidigungsministerin bedauert den Entscheid. Nach dem Nein ist die Diskussion über die Zukunft der Schweizer Armee neu lanciert.
Ob es sich eher um ein Nein zu Kampfflugzeugen oder ein Nein zum umstrittenen Gripen handelt, werden die Analysen zeigen. Fest steht, dass die Summe der Stimmen von Armeekritikern und Gripenskeptikern eine Nein-Mehrheit ergab. Gegen den Gripen sprachen sich rund 1’543’000 Personen aus, dafür 1’345’000.
Gross sind die Unterschiede zwischen den Sprachregionen: Sämtliche Westschweizer Kantone und das Tessin stimmten Nein, in der Deutschschweiz hingegen lag die Zustimmung teilweise bei über 60 Prozent. Nein sagten nur Zürich, Bern, Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Schaffhausen.
Bittere Niederlage für Maurer
Das Nein zum Gripen ist nicht das erste Volks-Nein zu einer Armeevorlage. Zum ersten Mal hat sich das Stimmvolk aber gegen den Kauf von Kampfflugzeugen ausgesprochen, wobei es erst zweimal darüber befinden konnte. Im Jahr 1993 sprachen sich 57 Prozent der Stimmenden für den Kauf von F/A-18-Flugzeugen aus.
Für Verteidigungsminister Ueli Maurer ist diese erste Schlappe seiner Amtszeit eine herbe Niederlage, die dereinst seine Bilanz trüben dürfte. Persönliche Konsequenzen zieht der Bundesrat aber nicht in Betracht. «Ich nehme das durchaus etwas persönlich», sagte er vor den Medien in Bern.
Linke will umfassende Armeereform
Vom Tisch ist der Kauf neuer Kampfflugzeuge wohl dennoch nicht. Laut Bundesrat Maurer entsteht nach dem Volksentscheid eine Lücke in der Luftsicherheit. Diese müsse geschlossen werden, sagte er. Klar ist für Maurer zudem, dass die Diskussion über den Ersatz für die F/A-18 «schon bald» beginnen muss.
Anders sieht dies die Linke: Das heutige Ergebnis müsste der Startschuss sein, um die längst überfällige Reform und Modernisierung der Armee einzuleiten, findet die SP. Das Nein sei auch ein deutliches Nein zu Maurers Armee.
FDP fordert neue Kampfflugzeuge
Während die Linke die «finanzpolitische Vernunft» des Stimmvolks lobt, fürchten die bürgerlichen Parteien generell einen Abbau der Sicherheit. Gerade die letzten Wochen haben laut SVP gezeigt, wie schnell Krisen und Konflikte ausbrechen.
Die deutlichsten Worte findet die FDP. Der Abstimmungskampf habe sich vor allem auf Nebenschauplätzen abgespielt, schreibt sie. Dagegen sei nicht über die Notwendigkeit einer glaubwürdigen Luftwaffe debattiert worden.
Das Nein sei deshalb ein «Misstrauensvotum gegen die Art des Beschaffungsprozesses». Die FDP fordert nun einen raschen Neustart für die Beschaffung eines neuen Kampfjets.
Seilziehen beginnt von vorne
Zündstoff birgt nach dem Volksentscheid auch die Frage, wie die 300 Millionen verwendet werden sollen, die jährlich in den Gripen-Fonds geflossen wären. Gemäss der SRG-Trendumfrage spielten die Finanzen in der Abstimmung eine grosse Rolle.
SP und Grüne fordern, das Armeebudget wieder von 5 auf 4,7 Milliarden Franken zu reduzieren. Dank der eingesparten Gelder könne in den nächsten Jahren auf Budgetkürzungen bei Bildung, Umwelt und Infrastruktur verzichtet werden, finden die Grünen.
Für die Bürgerlichen ist das Armeebudget dagegen nicht tangiert. Der Ausgabenplafond von fünf Milliarden Franken sei dringend nötig, teilte die CVP mit. Sie fordert etwa, mit dem eingeplanten Geld den 24-Stunden-Betrieb der Luftwaffe einzuführen.
Ob die Flugzeuggelder nach dem Nein zum Gripen tatsächlich für andere Zwecke als die Armee zur Verfügung stehen, ist jedoch ungewiss. Der Flugzeug-Fonds sollte aus dem Armeebudget gespiesen werden. Nach dem heutigen Entscheid dürfte das Seilziehen um das Armeebudget nun von vorne beginnen.
Bürgerliches Lager vor Zerreissprobe
Zu erwarten sind für die kommenden Tage und Wochen schliesslich Diskussionen über die Schuldfrage im Lager der Gripen-Befürworter. Exponenten der bürgerlichen Parteien hatten sich zu Beginn kritisch bis ablehnend zum Gripen geäussert, weil dieser in Tests vergleichsweise schlechte Noten erhielt. Viele hätten den Rafale oder den Eurofighter bevorzugt.
Die Gripen-Befürworter geben sich aber auch selbstkritisch. Die Abstimmungskampagne sei von Beginn weg schlecht gelaufen, sagte der Genfer FDP-Nationalrat Hugues Hiltpold auf Anfrage. Es sei nicht möglich gewesen, das negative Image des Kampfflugzeugs zu korrigieren.
Zudem hat Bundesrat Maurer gemäss Politgeograf Michael Hermann in der Kampagne nicht immer eine «glückliche Figur» gemacht. Zur Erinnerung: Maurer hatte während seiner Werbetour Hausfrauen mit Gebrauchsgegenständen verglichen.
Nichts mehr wissen wollte Maurer am Sonntag von einem Plan B, der einen Gripen-Kauf in Tranchen und über das ordentliche Armeebudget vorgesehen hätte. Einen Plan B gebe es nicht, sagte er vor den Medien.
Saab hält sich bedeckt
Mit grossem Bedauern hat der Branchenverband der Schweizer Maschinenindustrie den Entscheid zur Kenntnis genommen. Mit dem Nein würden der Wirtschaft Aufträge im Umfang von über zwei Milliarden Franken entgehen, schreibt Swissmem. «Diese Kompensationsgeschäfte hätten Arbeitsplätze in Schweizer Unternehmen gesichert.»
Nach der Niederlage an der Urne hält sich der schwedische Gripen-Hersteller Saab bedeckt. «Wir respektieren den politischen Prozess in der Schweiz und kommentieren den heutigen Volksentscheid nicht», teilte das Unternehmen mit.
In der «Tagesschau» von Schweizer Fernsehen SRF 1 nahm hingegen die schwedische Verteidigungsministerin Karin Enström kurz Stellung. Sie «bedaure» den Entscheid, zumal Schweden seit 2011 mit der Schweiz zusammengearbeitet habe. Sie respektiere den Volkswillen; Schweden werde nun die Entwicklung des Gripen weitertreiben. Das Nein der Schweiz zum Gripen war am Sonntag auf den meisten schwedischen Newsportalen eines der Topthemen. (awp/mc/upd/ps)