sgv-Direktor Hans-Ulrich Bigler: Vorsicht mit dem Begriff «historisch»

Hans-Ulrich Bigler, Direktor sgv (Bild: FDP)

Hinter uns liegt eine Woche mit der Credit- Suisse-Sondersession im Eidgenössischen Parlament. Ein Grounding, das als «historisch» bewertet wird. Doch für einmal soll an dieser Stelle nicht von wütenden Voten, persönlichen Verunglimpfungen und populistischen Forderungen im Rat die Rede sein. Vielmehr legen wir unseren Fokus nochmals auf die Berufliche Vorsorge BVG. Eine verunglückte Reform mit weitreichenden Folgen für die Arbeitswelt. Während fast vier Jahren hat hier der Schweizerische Gewerbeverband – vorwiegend hinter den Kulissen – intensives Lobbying betrieben.

Die BVG-Reform wurde in der letzten Session verabschiedet. Von links bis rechts bestand Einigkeit, dass der Mindestumwandlungssatz gesenkt werden muss. Die Bundesverwaltung schätzt die Umverteilung von Jung zu Alt auf rund fünf Milliarden Franken pro Jahr. Das ist systemwidrig und inakzeptabel.

Und hier kommt der gescheiterte Sozialpartnerkompromiss ins Spiel. Getragen wurde er von Arbeitgeberverband, Gewerkschaftsbund und Travail Suisse. Anlässlich der im Juli 2019 eigens einberufenen Medienkonferenz vollmundig als «historisch» bezeichnet. heute nur mehr Makulatur – deshalb Vorsicht vor der unüberlegten Verwendung von Begriffen.

Der an den Verhandlungen beteiligte sgv hat dazu in seiner Vernehmlassung festgehalten: «Auf Distanz zum Sozialpartnerkompromiss sind wir erst gegangen, als die drei übrigen Sozialpartner unmissverständlich darlegten, dass für sie nur ein Lösungsvorschlag infrage komme, der einen markanten Leistungsausbau nach dem Giesskannenprinzip und eine Lohnprozent-finanzierte Umverteilung in grösserem Stil beinhaltet.» Ebenso erklärte der sgv, dass er bereit sei, «angemessene Abfederungsmassnahmen» bzw. «verkraftbare Mehrkosten» zu akzeptieren. Ein umfassender Leistungsausbau würde hingegen bekämpft. Damit bewegte sich der sgv stets auf der von seiner eigenen Strategie vorgegebenen Linie.

Kritik allein ist wenig zielführend, weshalb der sgv schon 2019 ein eigenes Lösungsmodell präsentierte, das rund eine Milliarde Franken weniger an Mehrkosten gebracht hätte als der Sozialpartnerkompromiss.

Der Bundesrat hat den Sozialpartnerkompromiss bekanntlich dankbar übernommen. Dieser Vorschlag hätte zu massiven Belastungen von neuen Lohnprozenten in den Unternehmungen geführt. Schlimmer noch, in der zweiten Säule wäre neu eine direkte Umverteilung eingebaut worden. Dass die Linke das unterstützt, erstaunt nicht; dass ein Dachverband der Wirtschaft das gut fand, schon viel mehr. Wenig erstaunlich, dass er sich in der Folge während der Debatte im Parlament öffentlich als «Zuschauer am Spielfeldrand» bezeichnete – eine eigentliche Bankrotterklärung. Von Mehrheitsfähigkeit im Parlament war jedenfalls weit und breit keine Spur, der Sozialpartnerkompromiss bzw. die Bundesratsvorlage hat nicht einmal den Erstrat überstanden.

Allerdings vermag die vom Parlament beschlossene BVG-Vorlage in der nun vorliegenden Form auch nicht zu überzeugen: Hohe jährliche Mehrkosten von über zwei Milliarden Franken mit negativen Auswirkungen. Überproportional hohe Mehrkosten bei Teilzeitbeschäftigten und Geringverdienenden. Mit hoher Sicherheit wird es Anfang März 2024 zu einer Referendumsabstimmung kommen. Es wird interessant zu beobachten sein, wer von den befürwortenden Parteien dannzumal die Abstimmungskampagne führen wird. Und ebenso interessant, wie der Begriff «historisch» verwendet wird.


Exit mobile version