Bern – Der Verband der Pflegenden hält nichts davon, ungeimpftem Personal den Lohn zu kürzen, wenn sie wegen Corona in Quarantäne müssen. Die Massnahme, die etwa die Juraspitäler ab September vorsehen, sei kontraproduktiv, um das Gesundheitspersonal für eine Impfung gegen das Coronavirus zu motivieren.
Die Massnahme sei viel eher ein schwieriges Signal der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, wenn jemand aufgrund einer Exposition am Arbeitsort in Quarantäne müsse, teilte der Verband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Jegliche Form von Druck sei kontraproduktiv.
Arbeitsrechtlich sei die Massnahme zwar wohl zulässig, wenn eine Quarantäne als Krankheit interpretiert werden könne. Aber es gebe andere Massnahmen, um eine Person zu einer Impfung zu bewegen, wie informieren, beraten, Ängste ernst nehmen und das Gespräch suchen.
Die Pflegefachpersonen sollen sich ernsthaft und professionell mit den Informationen auseinanderzusetzen und die Gefahren der Krankheit – wie ein möglicher Tod, Long-Covid oder Mutationen – gegen die Gefahren der Impfung abwägen, appelliert der Verband.
Auch der Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter plädierte am Freitag für positive Anreize statt für einen «Impfzwangs», wie er einem Interview mit den Zeitungen der CH Media sagte. Sich impfen zu lassen, sei aus der freien Verantwortung für andere und für sich selbst eine solidarische Pflicht. Gerade daher würde er von Zwangsmassnahmen abraten, sagte der an der Universität Basel lehrende Schweizer Molekularbiologe und Philosoph.
Ethiker hält Impfpflicht für angezeigt
Aus ethischer Sicht halte er jedoch eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal für angezeigt. Dies wiederum lehnt der Verband der Pflegekräfte ab. Auf der anderen Seite befürwortet der Verband, dass ungeimpftes Gesundheitspersonal regelmässig getestet werden muss. Diesen Vorschlag machte Bundesrat Alain Berset am Mittwoch gegenüber den Kantonen.
Am Freitag teilte der Kanton Bern mit, dass er diese Idee stützen will: Weil die Impfquote beim Gesundheitspersonal nach wie vor tief ist, erwartet die kantonale Gesundheitsdirektion von den Spitälern, Kliniken und Heimen, dass symptomlose, nicht immune Mitarbeitende alle fünf bis sieben Tage auf das Coronavirus getestet, wie die bernische Gesundheitsdirektion am Freitag mitteilte.
Impfkadenz sank um 28 Prozent
Der Verband SBK schätzt, dass die Impfquote in den Spitälern zwischen 50 und 90 Prozent liegt. Schweizweit sind mittlerweile 47,9 Prozent respektive fast 4,14 Millionen Menschen vollständig geimpft. Die Impfquote steigt dabei nur langsam, am Montag lag der Wert bei 46,8 Prozent. Fast 700’000 Personen haben bislang die Erstimpfung vorgenommen. Im Vergleich zur Woche davor sank die Impfkadenz um 28 Prozent, wie aus den Angaben des Bundesamt für Gesundheit (BAG) hervorgeht.
Während einige Kantone ihr Impf-Angebot umbauen, bauen es andere ab. Im Kanton Zug zum Beispiel können Betriebe und Vereine neu Impfbahnen reservieren und sich in Gruppen impfen lassen – und im Kanton Bern wird nach den Sommerferien ein Impftruck unterwegs sein. Im Kanton Waadt wiederum werden Ende Juli drei, während des Augusts weitere vier Stationen geschlossen. Acht Impfzentren bleiben offen.
Stagnation bei den Neuansteckungen
Die Zahlen der neuen Ansteckungen bewegen sich seit ungefähr Mitte Juli zwischen 700 und 870 Fällen. Am Freitag wurden innerhalb von 24 Stunden 800 neue Coronavirus-Ansteckungen, zwei neue Todesfälle und 20 Spitaleinweisungen gemeldet. Am Freitag vor einer Woche waren 791 neue Ansteckungen, zwei neue Todesfälle und 13 Spitaleinweisungen gemeldet worden.
Die Belegung der Betten mit Covid-19-Patienten in den Intensivstationen betrug am Freitag 4 Prozent der verfügbaren Betten. Das BAG hatte am Donnerstag gemeldet, dass sich die Belegung innert Wochenfrist um 33 Prozent erhöht hat.
Insgesamt gab es 717’665 laborbestätigte Fälle von Ansteckungen mit dem Coronavirus. 29’497 Personen mussten bisher wegen einer Covid-19-Erkrankung im Spital behandelt werden. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung belief sich auf 10’417. (awp/mc/pg)