Am letzten Mittwoch hat der Bundesrat entschieden, die Zertifikatspflicht auszuweiten auf Orte wie Restaurants, Kinos oder Fitnesscenter, zudem hat er die Test- und Quarantänepflicht für Einreisende verschärft. Die Massnahmen seien «alternativlos», um das Gesundheitssystem zu schützen. Sie sind aber auch eine Ablenkung davon, dass es nicht gelungen ist, das Gesundheitssystem in 18 Monaten nur schon auf kleinere Anstiege bei der Belegung der Intensivpflegeplätze vorzubereiten und dass in der alleinigen und anhaltenden Fokussierung auf die Impfung mögliche medikamentöse Behandlungen und die Rolle des eigenen Immunsystems sträflich vernachlässigt wurden.
Kommentar von Helmuth Fuchs
In den ersten beiden Wellen wurden alle Hebel in Gang gesetzt, um möglichst viele Betten auf Intensiv-Pflegestationen (IPS) über die aktuell 866 von der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) «zertifizierten» Betten» hinaus zu Verfügung zu stellen. War in der ersten Welle noch von 1’500 möglichen Behandlungsplätzen die Rede (bei zu erwartender schlechterer Betreuungsqualität unter Einbezug des Militärs, Reaktivierung pensionierter Pflegefachleuten etc.), wurden diese in der zweiten Welle auf wohl realistischere 1’100 Plätze reduziert.
Bettenschwund bei den IPS-Betten seit Beginn der Krise
In der ersten Welle besetzten Corona-PatientInnen 480 IPS-Betten und 2’362 Normalbetten, in der zweiten Welle 557 IPS- und 4’140 Normalbetten, in der dritten Welle 266 IPS- und 1’186 Normalbetten. Aktuell sind es 302 IPS-Betten (stabil) und 911 Normalbetten (sinkend). Die aktuelle vierte Welle ist hauptsächlich zurückzuführen auf FerienrückkehrerInnen aus Kosova, Albanien und Nordmazedonien. Obschon dies zu erwarten gewesen war, hat der Bund keinerlei Massnahmen ergriffen, um die Rückkehrenden zu testen und in Quarantäne zu setzen.
Deshalb muss man sich wundern, dass diese, bereits wieder abflauende, vierte Welle, die gerade mal einen Viertel der Normalbettenbelegung und die Hälfte der IPS-Bettenbelegung der zweiten Welle ausmacht, zu der einschneidenden und die Bevölkerung spaltenden Zertifikatspflicht führte.
Für Irritation sorgt zudem, dass in der Krise die Anzahl der zertifizierten Betten und der verfügbaren Reservebetten reduziert wurde. Waren es Ende Juni 2021 noch 873 zertifizierte Betten, sind es aktuell 866 und Hans Pargger, Präsident der Zertifizierungskommission der SGI, glaubt, dass mit dem verfügbaren Personal höchstens 750 bis 800 Betten betrieben werden können. Das heisst, dass gegenüber der zweiten Welle mit nochmals etwa 250 Betten weniger gerechnet werden muss. Das zeigt, dass die Krise im Gesundheitswesen nur in Teilen auf Corona zurückzuführen ist.
Die Begründung des Bundesrats-Entscheides liegt also nicht bei den fehlenden Betten, sondern beim mittlerweile fehlenden Personal. Die Daten-Grundlage für Massnahmen wird erneut verschoben, von den verfügbaren IPS-Betten zu den verfügbaren zertifizierten IPS-Betten zum verfügbaren Personal. Während die Anzahl von Betten noch einigermassen gut erhoben werden kann und auch verfügbar gemacht wird, gibt es beim Personal keine verfügbare Übersicht, welche SpezialistInnen in welcher Zahl an welchen Spitälern verfügbar sind.
Die berechtigten Forderungen des Pflegepersonals und die unberechtigte Aversion gegen Ungeimpfte
Demotiviertes, auch im OECD-Vergleich weit unterdurchschnittliche bezahltes und überlastetes Pflegepersonal war schon vor Corona eine Tatsache und sogar nach der Erfahrung der zweiten Welle konnte man sich nicht durchringen, zumindest die Bezahlung flächendeckend den Anforderungen und der Verantwortung des Pflegepersonals anzupassen. Mit ein wenig Applaus und netten Worten ist es nicht getan.
In den Sozialen Medien meldeten sich einzelne Pflegende, dass sie kein Mitleid mehr aufbringen könnten für Ungeimpfte, die jetzt auf den Intensivstationen landeten, obschon sie sich hätten impfen lassen können. Dazu muss man anmerken, dass es Berufsgruppen gibt, die froh wären, wenn sie arbeiten könnten und es nicht am Pflegepersonal liegt, über die Gründe zu urteilen, weshalb jemand einen Intensivpflegeplatz benötigt. Dies war bis anhin in Grippewellen oder bei Erkrankungen von Rauchern, Alkoholikern, Übergewichtigen und allen, die selbst verschuldet auf die IPS kommen, kein Thema und darf es auch nie sein. Auch bei einer im Notfall nötigen Triage entscheiden nicht moralische, sondern rein medizinische Aspekte über die Ressourcenzuteilung.
Kommt dazu, dass sich zum Beispiel bei Grippewellen jeweils bis zu 300 Menschen im Spital beim ungeimpften Pflegepersonal anstecken und danach sterben. Eine Aversion gegen Ungeimpfte ist also weder medizinisch noch moralisch zu rechtfertigen.
Nicht die Gesundheit ist das Ziel, sondern die Impfung
Entgegen seines eigenen Planes und unabhängig von der stabilen und sich wieder bessernden Datenlage und steigenden Impfzahlen, hat sich der Bundesrat entschieden, die Massnahmen für alle Ungeimpften nochmals entscheidend zu verschärfen, da er glaubt, bei 53% vollständig Geimpfter, auch eine Mehrheit für sein Vorgehen zu haben.
«Normalisierungsphase: Aufhebung der Massnahmen: Sind alle impfwilligen erwachsenen Personen vollständig geimpft, beginnt die Normalisierungsphase. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass dann keine starken gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen mehr zu rechtfertigen sind. Die verbleibenden Massnahmen (Zugangs- und Kapazitätsbeschränkungen) sollen schrittweise aufgehoben werden. An dieser Strategie soll auch dann festgehalten werden, wenn die Impfbereitschaft der Bevölkerung entgegen der Erwartungen tief bleibt.» Drei-Phasen-Modell des Bundesrates vom 21.04.2021
Gleichzeitig werden ab dem 1. Oktober die Tests nicht mehr kostenlos durchgeführt, sondern müssen neu bezahlt werden. Auch dies eine Massnahme, welche die Ungeimpften massiv einschränkt im beruflichen und sozialen Leben. Wäre die Gesundheit der Bevölkerung das Ziel, müssten die kostenlosen Tests eher ausgeweitet werden, vor allem zu Ferienzeiten und auch für Geimpfte, weil nur so ersichtlich ist, wo das Virus noch aktiv ist und es dann gezielt an der Weiterverbreitung gehindert werden könnte.
Da der Bundesrat es verpasst hat, nebst der Impfung zusätzlichen Optionen, wie zum Beispiel der medikamentösen Behandlung oder der Stärkung des eigenen Immunsystems, eine ähnliche Aufmerksamkeit zu schenken wie der Impfung, ist er jetzt auf Gedeih und Verderben dem alleinigen Erfolg der Impfung ausgeliefert. Das ist sehr kurzfristig gedacht und für die Gesundheit der Bevölkerung fatal, zumal schon lange klar ist, dass wir mit dem Virus auch in Zukunft werden leben müssen.
Medikamentöse Therapien und eine breit angelegte Studie vom Bundesrat gefordert
Wie in den USA ist, durch die zu Beginn noch verständliche einseitige Fokussierung auf die Impfung keinerlei Wissen und keine «best practice» aufgebaut worden, mit welcher zum Beispiel Hausärzte PatientInnen schon bei ersten Symptomen mit einer antiviralen medikamentösen Kombinationstherapie gezielt behandeln könnten.
In der Schweiz fordert Prof. Paul Vogt, Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Universitäts-Spital Zürich vom Bundesrat dringend zusätzlich zur Impfung einen medikamentösen Behandlungsplan aufzulegen und eine breit angelegte Studie durchzuführen. An sich selbst hat er nach Feststellung von COVID-19 einen Medikamentenmix erfolgreich getestet.
Im Wesentlichen ist sein Vorschlag, analog zu denjenigen von amerikanischen Experten, zuerst ein Mittel gegen die Blutgerinnung (Blutverdünnung) zu verabreichen, dann ein Anti-Parasiten-Mittel wie Ivermectin, dessen enorme Virenverminderungswirkung in vitro nachgewiesen wurde, Hydroxychloroquin, Zink und Zithromax, um die Viren daran zu hindern, in die Zellen zu gelangen, Vitamin C und Vitamin D, um das Immunsystem zu unterstützen und zusätzlich entzündungshemmende Mittel.
Ein weiterer blinder Fleck im BAG und den Empfehlungen und Massnahmen des Bundesrates ist das menschliche Immunsystem. Vom Bundesamt für Gesundheit (nicht Krankheit) kommen keine Empfehlungen, wie Menschen das eigene Immunsystem stärken könnten, keine Kampagne für eine Lebensweise, mit der man auch künftige Ausbrüche leichter überstehen könnte. Kein gezieltes Testen auf natürlich erworbene Immunität.
Auch hier verdeckt der starre Blick auf die Impfung die Sicht darauf, dass das Coronavirus in den letzten 1.5 Jahren zwar zu 31’000 Hospitalisationen führte, in derselben Zeit jedoch 1.8 Millionen Hospitalisationen stattfanden. Im selben Zeitraum, in dem 10’500 Menschen (wovon 7’400 Personen über 80 Jahre alt waren) mit oder am Coronavirus verstarben, starben 115’000 Menschen an anderen Ursachen. Die Hoffnung, dass die Impfung für eine lang anhaltende Immunität sorgen werden, hat sich nicht erfüllt. Nebst der Tatsache, dass auch Geimpfte angesteckt werden und das Virus weitergeben können, müssen vor allem bei älteren Menschen die Impfungen wegen neuen Varianten unerwartet schnell wiederholt werden. Israel ist dabei, seine BürgerInnen innerhalb eines Jahres zum dritten Mal zu impfen.
Ungeimpfte Kinder und «trainierte Immunität»
Der Druck, auch Kinder zu impfen, nimmt zu und die Altersgrenze für die Impfstoffe wird kontinuierlich nach unten verschoben. Dies, obschon in der Schweiz seit dem 28. Juni keine einzige Person bis zum Alter von 30 Jahren an oder mit Corona verstorben ist, Kinder auch dank intaktem Immunsystem praktisch ausnahmslos keine oder nur milde Symptome aufweisen und auch die wenigen schwereren Verläufe nach einiger Zeit mit einer vollständigen Heilung enden. «Long Covid» sind bei Kindern bis anhin nur in absoluten Ausnahmefällen festgestellt worden.
«Zwei von hundert Kindern haben Symptome, die nicht gleich aufhören nach Covid. Ob das «Long Covid» ist, wissen wir nicht. Wir wissen aber in der Zwischenzeit, dass sich diese fast alle schnell erholen und es ihnen wieder gut geht.» Christoph Berger, Leiter Infektiologie des Kinderspitals Zürich und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen
Pietro Vernazza, HIV-Forscher und ehemaliger Leiter der Klinik für Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, weist im Tagesgespräch von SRF am 7. September 2021 darauf hin, dass zu denen die geimpft sind (58% mindestens ein Mal), noch ca. 20% kommen, welche die Krankheit durchgemacht haben und eine gute Immunantwort haben, nach seiner Einschätzung wahrscheinlich eine noch bessere, als wenn sie geimpft wären. Deshalb kann man davon ausgehen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung mittlerweile einen Schutz gegen das Virus hat.
Vernazza bezweifelt, dass im jetzigen Stadium die Massnahmen zur Distanzierung und Isolation der Menschen, welche zu Beginn richtig und erfolgreich waren, um die Ausbreitung des Viruses zu unterbinden, immer noch angebracht sind. Er verweist darauf, dass vor allem in den letzten Jahren klar geworden sei, dass das natürliche Immunsystem, um erfolgreich arbeiten zu können, immer wieder trainiert werden müsse. Gegen RNA Viren produziert das Immunsystem Interferon. Diese Interferon-Produktion werde gesteigert durch häufigere Kontakte mit anderen RNA-Viren. Dazu gehören auch Influenza oder RSV-Viren. Paradoxerweise könne es sein, dass wir mit den Massnahmen der Isolation eine Verschlechterung der eigenen Immunabwehr bewirkt hätten.
Fazit
Der Bundesrat hat zu Beginn, in der ersten Welle, Vieles richtig gemacht. Von der zweiten Welle liess er sich überraschen und hat es verpasst, vor allem die ältesten und vulnerabelsten Menschen mit einfachen Mitteln (zum Beispiel kontinuierliches Testen der Kontaktpersonen) zu schützen. Bei den Impfstoffen hat er die wirksamsten ausgewählt und auch rechtzeitig und in genügender Menge für die Menschen in der Schweiz eingekauft. Wie in anderen Fragen («Terrassenschliessung») verrennt er sich aber auch jetzt wieder in Massnahmen, welche mehr sozialen und wirtschaftlichen Schaden anrichten, als sie gesundheitlichen Nutzen haben.
Schon zu Beginn war klar, dass sich ein signifikanter Teil der Schweizer Bevölkerung nicht wird impfen lassen, zumal das Coronavirus nur für einen kleinen Teil der Menschen eine tödliche Bedrohung darstellt und sich das Risiko einer Ansteckung mit relativ einfachen Mitteln vermindern lässt. Inzwischen scheint eine minimal höhere Impfrate bei maximalem Druck auf Ungeimpfte bis hin zu einem faktischen Impfzwang das einzige Mittel des Bundesrates zu sein, die Intensivabteilungen der Spitäler für den Normalbetrieb zu schonen.
Dabei wird ignoriert, dass die Spitäler verständlicherweise andere wirtschaftliche Interessen haben, als den Betrieb für pflegeintensive und teure CoronapatienteInnen zu optimieren. Nur so lässt sich erklären, dass seit Beginn der Krise die Anzahl der IPS-Betten abgebaut und nur wenig unternommen wurde, Pflegepersonal zu rekrutieren und zu halten. Die schon lange vor Corona bekannte Probleme wie schlechte Bezahlung, lange Arbeitszeiten oder dauernder Zeitdruck wurden bis jetzt nicht angegangen.
Der Bundesrat und das BAG haben, trotz genügend Hinweisen von Ärzten aus dem In- und Ausland, keine Strategie erarbeitet, wie die Erkrankten schon früh von Hausärzten medikamentös behandelt werden können, damit die Hospitalisationen und die schweren Verläufe signifikant gesenkt würden.
Der Bevölkerung wird vermittelt, dass das eigene Immunsystem praktisch machtlos ist gegen das Virus und das einzig wirksame Mittel die Impfung sei. Das ist wissenschaftlich falsch und liesse sich auch leicht belegen, wenn in der Bevölkerung gezielt und strukturiert getestet würde auf ungeimpft Genesene. Statt dessen werden Tests neu kostenpflichtig gemacht und das Virus wird sich bei Geimpften und Ungeimpften noch unkontrollierter verbreiten.
Beim nächsten absehbaren Anstieg der Infektionszahlen wird der Bundesrat so wieder zu den jetzt schon ungeeigneten Masssnahmen greifen, eine neue Impfkampagne lancieren und den Eindruck vermitteln, als seien die Ungeimpften das Problem, nicht das für die rekordhohen Kosten wenig leistungsfähige Gesundheitssystem oder das eigene Versagen bei der Förderung der medikamentösen Behandlung und der Stärkung der Immunabwehr in der Bevölkerung.
Weiterführende Informationen:
- Auslastung der zertifizierten IPS-Betten (BAG)
- Spitalauslastung (Normalbetten und IPS-Betten) (Rob Salzer)
- Bundesamt für Gesundheit
- Tagesanzeiger (allgemein gute Grafiken)
- Drei-Phasen-Modell des Bundesrates
- SRF
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