AHV-Reform sehr knapp angenommen
Bern – Knapp ist das Ja zur AHV-Reform ausgefallen. Während sie in der Deutschschweiz komfortable Mehrheiten erhalten hat, war das Nein im Tessin und in der Westschweiz teilweise wuchtig. Weit deutlicher war das Ja zur Geldspritze aus der Mehrwertsteuer für die AHV.
Das Rennen war eng. Rund 1’443’100 Stimmende legten nach der Zählung der Nachrichtenagentur Keystone-SDA ein Ja ein und 1’410’800 ein Nein. Das entspricht einem Ja-Anteil von 50,6 Prozent. Die Stimmbeteiligung lag bei 51,5 Prozent. Die Linke, die die Reform mit dem Referendum bekämpft hatte, verlor knapp.
Gespaltenes Land
Die Schweiz war gespalten. Die Deutschschweizer Kantone sagten bis auf Basel-Stadt und Schaffhausen – mit nicht einmal zwei Dutzend Stimmen Differenz – Ja zur Reform. Das lauteste Ja zur AHV-Reform kaum aus Zug, wo 65 Prozent zustimmten. In der Westschweiz und im Tessin dagegen war die Ablehnung deutlich bis wuchtig. Im Kanton Jura sagten gerade mal 29 Prozent der Stimmenden Ja zur Reform.
Damit hat nach 25 Jahren Stillstand wieder eine grössere AHV-Reform vor dem Parlament und dem Stimmvolk bestanden. Der letzte grosse Wurf war 1997 die zehnte AHV-Revision mit der Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64 Jahre. Und nun wird das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht.
Mit der AHV-Reform sollen die Einnahmen der AHV deren Ausgaben weiterhin decken; einen namhaften Beitrag dazu leisten die Frauen. Sie müssen neu ein Jahr länger arbeiten und AHV-Beiträge einzahlen.
Ausgleich für Frauen
Das Frauenrentenalter wird mit der Reform in Vierteljahresschritten von 64 auf 65 Jahre angehoben. Tritt die Reform 2024 in Kraft, werden 1964 geborene Frauen als erste mit 65 Jahren pensioniert. Die Frauen jener neun Jahrgänge, die nach dem Inkrafttreten der AHV-Reform als erste pensioniert werden, erhalten einen Ausgleich.
Die Vorlage bringt weiter eine flexible Pensionierung zwischen 63 und 70 Jahren. Das soll für über 65-Jährige ein Anreiz sein, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Sie sollen auch Gelegenheit haben, ihre Rente nach der Pensionierung aufzubessern. Frauen der neun Übergangsjahrgänge können die Rente ab 62 Jahren vorbeziehen.
Ja zu höherer Mehrwertsteuer
Weitaus deutlicher, nämlich mit rund 55 Prozent, sagten Volk und Stände Ja zur Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV. Der Normalsatz wird um 0,4 Prozentpunkte auf 8,1 Prozent angehoben werden. Je 0,1 Prozentpunkte sind es beim reduzierten Satz und beim Sondersatz für die Hotellerie. Diese Sätze steigen auf 2,6 respektive 3,8 Prozent.
Die Reformen der AHV und die Erhöhung der Mehrwertsteuer entlasten die AHV bis zum Jahr 2032 um rund 17,3 Milliarden Franken. Der Bund hat errechnet, dass dann noch eine Finanzierungslücke von rund 1,2 Milliarden Franken bleibt. Fünf Kantone in der Westschweiz lehnten die höhere Mehrwertsteuer ab.
AHV bleibt auf dem Tisch
Dieses Loch soll eine nächste AHV-Revision stopfen – den Auftrag hat das Parlament mit einer Motion erteilt. Die verlangte Vorlage soll bis Ende 2026 vorliegen und den Zeitraum 2030 bis 2040 umfassen.
Ausserdem sind zwei Volksinitiativen in der Pipeline. Das Volksbegehren der Jungfreisinnigen verlangt, das Rentenalter für Männer und Frauen auf 66 Jahre anzuheben und in einem zweiten Schritt die Renten regelmässig auf die Lebenserwartung abzustimmen.
Im Parlament hängig ist auch die vom Gewerkschaftsbund eingereichte Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Die Kosten von jährlich rund 3,5 Milliarden Franken sollen mit Gewinnen der Nationalbank gedeckt werden.
Zukunft der zweiten Säule offen
Die Frauen, die wegen tieferer Erwerbseinkommen im Mittel tiefere Renten der beruflichen Vorsorge haben als die Männer, mussten ohne Kenntnis über die Zukunft der beruflichen Vorsorge über die AHV-Revision entscheiden. Denn die Revision der zweiten Säule der Altersvorsorge ist derzeit im Parlament hängig.
Der Ständerat schickte die Vorlage im Juni in eine Zusatzrunde und strich sie kurz vor der Herbstsession von der Traktandenliste, weil die zuständige Kommission mehr Zeit brauchte für die Vorberatung. Umstritten ist, wie die mit der Reform geplante Rentensenkung für die Übergangsgeneration kompensiert werden soll.
Die Ständeratskommission bekannte sich aber zu «substanziellen Verbesserungen für Angestellte mit tiefen Löhnen und solchen mit mehreren Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern», wie sie schrieb. Dass Frauenrenten tiefer sind als Männerrenten, liegt laut einem Bericht des Bundesrates nicht an der AHV, sondern an der zweiten Säule. (awp/mc/pg)