Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Perez-Freije, Gurit hat für das Geschäftsjahr 2024 einen Nettoumsatz von 431,7 Millionen CHF gemeldet, was einem Rückgang von 6,1% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Welche Faktoren haben hauptsächlich zu diesem Rückgang beigetragen und wie beurteilen Sie die Umsatzentwicklung im Vergleich zum Gesamtmarkt?
Javier Perez-Freije: Wir haben in den Bereichen Wind Materials und Manufacturing Solutions schlechter abgeschlossen als 2023. In beiden Bereichen hatten wir eine tiefere Nachfrage im ersten Quartal 2024, wobei sich die Märkte anschliessend erholt haben.
«Ich bin ausserordentlich froh, dass wir im 2. Halbjahr 2024 trotz der eingeleiteten strukturellen Anpassungen die operative Leistung gegenüber dem 1. Halbjahr deutlich steigern konnten, wo wir eine bereinigte Betriebsmarge von 5.4% erreichten.» Javier Perez-Freije, Group CEO a.i. und CFO Gurit
Die Business Unit Wind Materials liefert Komponenten für die Rotorblätter eines Windrades. Preisnachlässe haben hier ebenfalls einen Effekt gehabt. Die Geschäftseinheit Manufacturing Solutions liefert heute insbesondere Werkzeugformen und Automationslösungen für den Windmarkt. Dieser Bereich hatte im 2024 aufgrund geringerer Nachfrage von Windenergie-Kunden, langsamerer Markteinführungen in westlichen Märkten und selektiverer Zusammenarbeit in China ein herausforderndes Jahr, nichts desto trotz war der Auftragseingang im Abschlussquartal erfreulich hoch, begünstigt durch die erhöhte Nachfrage nach grossformigen Plattformen für Anwendungen auch ausserhalb der Windturbinenblätter.
Die bereinigte Betriebsgewinnmarge für 2024 wird mit 6,0% bis 7,0% erwartet. Welche konkreten Massnahmen planen Sie, um die Profitabilität in den kommenden Jahren zu steigern und das mittelfristige Ziel einer zweistelligen Marge zu erreichen?
Ich bin ausserordentlich froh, dass wir im 2. Halbjahr 2024 trotz der eingeleiteten strukturellen Anpassungen die operative Leistung gegenüber dem 1. Halbjahr deutlich steigern konnten, wo wir eine bereinigte Betriebsmarge von 5.4% erreichten. Unsere Abhängigkeit vom Windmarkt wird sich ab 2025 deutlich reduzieren: Zum einen sehen wir ein gutes Wachtstumspotential in den Bereichen Marine & Industrial, während wir im 2025 gleichzeitig die tiefmargige Produktion von Kohlefaserprofilen für den Windmarkt einstellen. Kunden aus den Bereichen Bootsbau und Industrieanwendungen schätzen uns als Anbieter einer Gesamtlösung, von der Entwicklung bis hin zur stetigen Optimierung während der Produktionszeit. Hier sind höhere Margen möglich.
Gurit hat eine strategische Neuausrichtung angekündigt, die unter anderem die Schliessung des PET-Produktionswerks in Italien und den Verkauf des PET-Aufbereitungswerks in Carmignano di Brenta umfasst. Welche quantitativen Auswirkungen erwarten Sie von diesen Massnahmen auf Umsatz und Gewinn in den nächsten zwei Jahren?
Die Schliessung des PET-Produktionswerks in Italien wird zu einer besseren Auslastung der übrigen PET-Standorte in China, Indien und Mexiko führen und gleichzeitig die Kostenbasis senken. Erfreulicherweise konnten wir für unseren Standort in Carmignano di Brenta einen Käufer finden. Die dort zentralisierte PET-Aufbereitung wurde in 2024 erfolgreich an unseren PET-Standorten integriert. Der Umsatz wird von diesen Massnahmen nicht tangiert, wir erwarten aber einen Beitrag zur Verbesserung der operativen Marge. Durch den Produktionsstop der Kohlefaserprofile wird unser Umsatz im 2025 dennoch deutlich tiefer ausfallen. Die neue strategische Neuausrichtung zielt zudem darauf ab, ein starkes zweites Standbein neben dem Windgeschäft aufzubauen.
«Die Schliessung des PET-Produktionswerks in Italien wird zu einer besseren Auslastung der übrigen PET-Standorte in China, Indien und Mexiko führen und gleichzeitig die Kostenbasis senken.»
Sie haben sich zum Ziel gesetzt, verstärkt recycelte PET-Flaschen in der Büromöbel- und Freizeitfahrzeugindustrie einzusetzen. In welchen weiteren Bereichen setzen Sie auf Recycling und Kreislaufwirtschaft?
Wir nutzen heute sehr erfolgreich recycliertes PET-Material in unserer Produktion. Der grösste Abnehmer ist derzeit die Windindustrie. Wir sehen jedoch ein sehr grosses Interesse verschiedener Industrien an unseren PET-Schäumen, die gegenüber bestehenden Lösungen insbesondere Gewichtsvorteile bieten, aber auch andere Eigenschaften wie höhere Dämmung oder Feuchtigkeitsbeständigkeit besitzen und einen besseren ökologischen Fussabdruck bieten. Neue Geschäftsmodelle im Hinblick auf eine komplettierte Kreislaufwirtschaft werden diskutiert. Neben der Möbelindustrie zeigen auch die Bau- und Transportindustrie sehr grosses Interesse an unserem recycelten PET.
Gurit konzentriert sich im Segment der Windenergie verstärkt auf Europa, Nordamerika, Indien und APAC (ohne China). Wie hoch ist der aktuelle Umsatzanteil dieser Regionen und welches Wachstum streben Sie dort in den nächsten 3-5 Jahren an?
Gemäss Expertenschätzungen wird sich der Windmarkt (gemessen an Installationen in GW, ohne China) bis 2030 mehr als verdoppeln. Parallel rechnen wir damit, dass chinesische Wettbewerber auch einen Marktanteil in Europa von ca. 20% erlangen werden. Dennoch bleiben wir in unserem Business Plan konservativ und streben ein jährliches Wachstum im tiefen einstelligen Bereich an. Im Jahr 2024 ist der Umsatzanteil im Windmarkt >70%. 2026 rechnen wir mit einen Anteil von <50%.
Im Windenergiemarkt sieht sich Gurit mit Überkapazitäten aus China konfrontiert. Wie positionieren Sie Ihre Produkte preislich und qualitativ gegenüber dieser Konkurrenz und welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Margen?
Unsere PET-Werke sind sehr kosteneffizient und qualitätsbewusst. Wir werden Projekte mit lokalen chinesischen Windkunden opportunistisch bewerten. Bereits heute ist unser Umsatzanteil mit chinesischen Kunden deutlich unter 10%. Ausserhalb China werden wir mit unseren strukturellen Anpassungen deutlich konkurrenzfähiger werden. Ausserdem sind wir global sehr gut positioniert, um unsere westlichen Kunden optimal zu unterstützen und unsere führende Marktposition weiter zu stärken.
Die Marine- und Industriesegmente zeigten 2024 ein Wachstum von 1,6% bei konstanten Wechselkursen. Welchen Anteil am Gesamtumsatz sollen diese Bereiche mittelfristig erreichen und welche Wachstumsraten peilen Sie hier an?
Die Business Unit Marine & Industrials agiert in Wachstumsmärkten, und wir streben bis und mit 2026 einen Umsatzanteil von ca. 50% an.
Die Zinspolitik hat einen erheblichen Einfluss auf die Bauindustrie und damit indirekt auch auf Gurit. Wie quantifizieren Sie die Auswirkungen von Zinsänderungen auf Ihr Geschäft und welche Szenarien haben Sie für verschiedene Zinsentwicklungen durchgerechnet?
Aktuell bedienen wir die Bauindustrie nur in geringem Masse. Auch wenn wir diesen Bereich als attraktiv erachten, dürfte der Einfluss der Zinspolitik auf Gurit weiterhin gering bleiben.
Welches sind die wichtigsten technologischen Entwicklungen für das Geschäft von Gurit, wo investiert Gurit in Forschung und Entwicklung für die nähere Zukunft, um seine Wettbewerbsposition zu stärken?
Wir investieren hauptsächlich in die Entwicklung von Produkten mit besseren mechanischen Eigenschaften sowie Gewichtseinsparungen. Gurit hat z.B. mit Innovationen wie OptiCore Lösungen für das Design von Kernmaterialien entwickelt, um die Produktionskosten und das Gewicht für Rotorblätter oder OptiKit um das Gewicht des Bootrumpfs zu senken. Desweiteren arbeiten wir an weiteren nachhaltigen Lösungen für unsere Kunden.
Wie plant Gurit, die Nettoverschuldung, die in der ersten Jahreshälfte 2024 auf 63,4 Millionen CHF reduziert wurde, weiter zu optimieren und welche Zielquote streben Sie für das Verhältnis von Nettoverschuldung zu EBITDA an?
Wir streben eine Verbesserung der operativen Betriebsgewinnmarge an. Dies ist die beste Basis für eine Reduktion der Nettoverschuldung. Die geplanten Restrukturierungskosten in Höhe von ca. CHF 40 Mio. enthalten ca. CHF 16 Mio. Wertminderungen, die unseren Geldfluss nicht belasten.
«Wir streben eine Verbesserung der operativen Betriebsgewinnmarge an. Dies ist die beste Basis für eine Reduktion der Nettoverschuldung.»
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Das finde ich toll! Ich wünsche mir, dass wir auch weiterhin die besten Talente in unserer Industrie für Gurit gewinnen und die bestehenden halten können. So wird es uns gelingen, besser zu werden, unseren neuen Wachstumspfad voranzutreiben, unseren Business Plan zu erreichen und unsere Kunden bestmöglich zu bedienen. Mein zweiter Wunsch ist etwas allgemeiner: Ich wünsche mir, dass Europa wieder eine führende Rolle in der Weltwirtschaft spielt. Dazu müssen die passenden Rahmenbedingungen für Innovation und Unternehmertum geschaffen und die Bürokratie muss auf ein sinnvolles Mass reduziert werden.