Bern – Bis Dienstagabend haben laut dem Bund 34’000 Schweizer Firmen für insgesamt 484’000 Mitarbeitende ein Gesuch für Kurzarbeit gestellt. Damit seien bereits 9,5 Prozent aller Arbeitnehmer hierzulande von Kurzarbeit betroffen, kommentierte Wirtschaftsminister Guy Parmelin an der Informationsveranstaltung des Bundes am Mittwochnachmittag diese Zahlen. Ein Blick hinter die Kulissen der Arbeitsämter zeigt, dass sogar noch mehr Gesuche eingegangen sein dürften.
Bei den Zahlen verlässt sich der Bund auf die Angaben, die als Voranmeldungen im zentralen System des Bundes erfasst sind. Unternehmen, die Kurzarbeit einführen wollen, müssen sich beim zuständigen Arbeitsamt in ihrem Kanton melden. Bewilligt der Kanton die Kurzarbeit, wird das Unternehmen mit dem Status «vorangemeldet» in diesem System eingetragen. Die Abrechnung findet erst später statt, wenn feststeht, wie viele Arbeitsstunden tatsächlich ausgefallen sind.
«Bei den Zahlen ist nicht berücksichtigt, ob die Gesuche bewilligt wurden und es dürfte darunter auch präventive Anmeldungen geben», sagte Boris Zürcher, der Leiter der Direktion für Arbeit des SECO, am Dienstag und deutete damit an, wie schwierig genaue Angaben derzeit zu machen sind.
Weil sich Unternehmen nicht nachträglich für Kurzarbeit anmelden können, kann es vorkommen, dass sich einige vorsorglich anmelden, die Auszahlung aber am Ende nicht oder nur teilweise beanspruchen. Zudem gebe es erhebliche Verzögerungen bei der Erfassung der Voranmeldungen im System, sagte Zürcher. Das heisst: Im System sind noch lange nicht alle Anträge erfasst, die bei den kantonalen Amtsstellen eingegangen sind.
Ämter platzen aus allen Nähten
Denn auch die Kantone können die genaue Anzahl der eingegangenen Kurzarbeitsanträge häufig nicht beziffern. Sie kommen mit der Erfassung kaum nach und es kommen täglich hunderte neue Gesuche dazu. «Momentan ist es uns nicht mehr möglich, die Anzahl Kurzarbeitsgesuche und die Anzahl betroffene Mitarbeitende zu erheben», schrieb der Kanton Bern auf Anfrage. Ähnlich klingt es auch in Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt oder St. Gallen.
Andere schätzen die Zahlen nur, «da sich die Lage rasch verändert», wie es etwa beim zuständigen Amt im Kanton Wallis heisst. Wieder andere machen sehr genaue Angaben, wie beispielsweise der Kanton Schaffhausen. Doch auch da stimmt die Statistik nicht, denn es seien noch zahlreiche Gesuche hängig, die erst nach und nach erfasst werden.
Der Kanton Zürich wies die Zahl der eingereichten Voranmeldungen bis Montagabend täglich auf seiner Webseite aus. Derzeit werden die Angaben laut einer Meldung auf der Seite jedoch nicht mehr aktualisiert.
Die Ämter aller Kantone haben eine noch nie in diesem Masse dagewesene Monsteraufgabe zu bewältigen: «Pro Tag treffen ca. 400 Gesuche im zuständigen Amt für Wirtschaft und Arbeit ein, per Post und per Mail», schrieb der Kanton Basel-Stadt. In Zug seien in den letzten zehn Tagen rund 2000 Gesuche hereingekommen. «Das ganze 2019 hatten wir geschätzt ein Dutzend», liess das zuständige Amt verlauten.
Zusätzliches Personal soll helfen
Sämtliche Kantone haben beim Personal massiv aufgestockt. Allein in Basel-Landschaft arbeiten derzeit rund 40 zusätzliche Personen beim Arbeitsamt. In Solothurn wurde das ursprüngliche Viererteam auf 30 Leute aufgestockt. In Luzern arbeiten aktuell 14 Leute, wo sonst ein 20-Prozent-Pensum ausreicht. Im Kanton Jura wurde das Pensum versechsfacht.
In Obwalden beispielsweise hat das Amt für Arbeit laut Peter Wyler, dem kantonalen Volkswirtschaftsvorsteher, in anderen Jahren weniger als fünf Gesuche bearbeitet. Bis Montagabend seien es hingegen 340 gewesen. Jetzt setzt das Amt zum Beispiel auch Gymnasiallehrer zur Bearbeitung der Gesuche ein, sagte Wyler. Denn diese seien ohnehin vom Kanton angestellt und dürften derzeit nicht unterrichten.
Der Kanton Graubünden wiederum hat innerhalb einer Woche etwa 3800 neue Gesuche erhalten. Weil die Schulungszentren und Werkstätten der Weiterbildungs- und Beschäftigungskurse für Arbeitslose derzeit geschlossen sind, helfen bereits etwa 20 Mitarbeitende dieser Einrichtungen beim Arbeitsamt aus. In Kürze sollen weitere 20 Aushilfen dazukommen.
Sie betreuen unter anderem die Hotline und geben die eingegangenen Gesuche im System des Bundes ein. Der Aufwand für die Einarbeitung der temporären Mitarbeitenden ist gemäss Paul Schwendener, Leiter des Graubündner Arbeitsamts, nicht zu unterschätzen: «Das kann man nicht in einer Stunde lernen.» Zudem brauche es zahlenaffines Personal, um die Glaubwürdigkeit der Gesuche zu überprüfen: «Diese Leute müssen relativ rasch feststellen können, ob ein gewisser Lohnbetrag bei einer bestimmten Anzahl Angestellter plausibel ist.»
Die meisten Kantone können sich derzeit noch mit internem Personal aus anderen Abteilungen aushelfen. «Reicht das nicht mehr, suchen wir auch beim RAV nach Personal mit kaufmännischer Ausbildung», so Schwendener. (awp/mc/pg)