Konjunkturerwartungen Schweiz nochmals niedriger
Zürich – Die Erwartungshaltung von Ökonomen und Analysten für den weiteren Verlauf der Schweizer Konjunktur in den kommenden sechs Monaten hat sich im Juni erneut verschlechtert. Der von der Credit Suisse (CS) und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) berechnete Indikator erreichte im Berichtsmonat einen Wert von -24,3 Punkten nach -11,5 im Vormonat, wie die Grossbank mitteilte.
Damit erreicht der Indikator den tiefsten Stand seit November 2010. Gegenwärtig geht immer noch eine Mehrheit von 59,5% der Befragten davon aus, dass die gegenwärtig gute Konjunkturdynamik auch in den kommenden sechs Monaten anhalten wird. Von einer weiteren Verbesserung gehen allerdings lediglich noch 8,1% (-3,3 Prozentpunkte) aus. Umgekehrt erwarten inzwischen 32,4% der Befragten (+9,5 Prozentpunkte), dass sich die Konjunkturlage abschwächen wird. Der Credit Suisse ZEW Indikator ergibt sich aus dem Saldo der Antworten «Verbessern» und «Verschlechtern» (8,1 minus 32,4 ergibt -24,3).
Optimismus gegenüber aktueller Lage
Die verhaltenen Erwartungen werden allerdings durch die nach wie vor äusserst positive Einschätzung der gegenwärtigen Konjunkturlage relativiert. Im Juni ist der entsprechende Saldo um 1,7 Punkte angestiegen und eine grosse Mehrheit von 70,3% der Befragten hält die aktuelle Konjunkturlage für «gut». Ein Anteil von 29,7% hält die Situation für «normal» und weiterhin hält keiner der Befragten die aktuelle Wirtschaftslage für «schlecht». Wie bereits im Vormonat sind die Inflationserwartungen im Juni merklich gesunken. Der Anteil der Befragten, der auf 6-Monats-Sicht einen Inflationsanstieg erwartet, fällt um 10,9 Prozentpunkte auf 40,5%. Demgegenüber gehen 46,0% der Umfrageteilnehmer (+6 Prozentpunkte) davon aus, dass die Inflation im kommenden Halbjahr auf den aktuell niedrigen Niveaus verharren wird. Immerhin 13,5% (+4,9 Prozentpunkte) halten eine sinkende Inflationsrate für wahrscheinlich.
69 Analysten befragt
Auch die Erwartungen für die kurzfristigen Zinsen sind im Juni zum zweiten Mal in Folge gesunken. Der Anteil der Befragten, der in den kommenden sechs Monaten einen Zinsanstieg erwartet, fällt um 8,6 Prozentpunkte auf 51,4%. 45,9% (+8,8 Prozentpunkte) der Experten glauben, dass das kurzfristige Zinsumfeld über diesen Zeithorizont unverändert bleiben wird. Die Umfrage wurde zwischen dem 9. und 20. Juni 2011 durchgeführt, 69 Analysten beteiligten sich daran.
Julius Bär rechnet mit verlangsamtem Wachstum im 2. Halbjahr 2011
Die Schweizer Wirtschaft wird nach Einschätzung der Ökonomen von Julius Bär im zweiten Halbjahr 2011 zwar weiter, jedoch verlangsamt wachsen. Sie führen als Grund für die konjunkturelle Abschwächung den starken Schweizer Franken auf. Weiter sehen die Ökonomen die europäische Fiskalkonsolidierung und die Zinsnormalisierung als grösstes Risiko für die Konjunktur. Aufgrund der Risikokonstellation erwartet die Bank trotz der grosszügigen Liquidität, dass Aktien- und Rohstoffpreise über den Sommer in einem Seitwärtskanal gefangen bleiben.
Bär-Ökonomen erwarten für 2011 reales BIP-Wachstum von 2,2%
«Das Bild für das zweite Halbjahr 2011 ist nicht unfreundlich, aber nüchtern», so Janwillem Acket, Chefökonom der Bank, anlässlich einer Medienveranstaltung zu den globalen Finanzmarktperspektiven am Mittwoch in Zürich. Die Bär-Ökonomen erwarten für 2011 ein reales BIP-Wachstum von 2,2% und für 2012 von 1,4%. Für den Chefökonomen hat die Schweizer Konjunktur den Höhepunkt des Zyklus bereits überschritten. Ein Hauptgrund für das verlangsamte Wachstum sei der «stark überbewertete» Schweizer Franken. Der zunehmend zum Euro, aber auch zum US-Dollar überwertete Franken nage mehr und mehr an den Gewinnmargen, so Julius Bär weiter. Die Ökonomen erwarten unter anderem, dass die durchschnittlichen Exportpreise für Schweizer Industriewaren auch im Rest des laufenden Jahres 2011 und 2012 weiter sinken werden.
Europa leidet unter starkem Nord-Süd-Gefälle
Für Acket ist die Abschwächung der europäischen Konjunktur eine weitere Ursache für das erwartete verlangsamte Wachstum hierzulande. In Europa seien die Fiskalkonsolidierung und die Zinsnormalisierung die grössten Risikofaktoren für das zweite Halbjahr 2011. Konjunkturell und strukturell leide Europa unter einem starken Nord-Süd-Gefälle. Mit Ausnahme von Deutschland und den skandinavischen Ländern sehe der konjunkturelle Ausblick für die übrigen Länder Europas wenig rosig aus, räumt der Chefökonom ein. Die begonnene Zinsnormalisierung der EZB stelle zudem ein weiteres Konjunkturrisiko für die südlichen Länder der Eurozone dar. Insgesamt erwartet Julius Bär ein reales BIP-Wachstum der Eurozone von 2,1% (2011) und 1,8% (2012).
Weltwirtschaft insgesamt positiv
Acket kommentiert weiter: «Mit globalen Wachstumsraten von derzeit über 4% bleibt der Ausblick für die Weltwirtschaft jedoch insgesamt positiv». Die Schwellenländer würden die Weltwirtschaft weiterhin in Schwung halten – trotz deutlich regionalen Unterschieden, so der Chefökonom weiter. Für die Investoren erwartet Chefstratege Christian Gattiker-Ericsson aufgrund der makroökonomischen Entwicklungen eine Pattsituation. «Der Anlagenotstand, der das Spiegelbild der negativen Realzinsen darstellt, trifft auf das Risiko von Extremereignissen», kommentiert Gattiker-Ericsson. «Aktien- und Rohstoffpreise könnten trotz grosszügiger Liquidität auf Grund der Risikokonstellation den Sommer 2011 über in einem Seitwärtskanal gefangen bleiben», erwartet der Chefanalyst.
Kreditrisiken gegenüber Laufzeitrisiken höher gewichten
Für Anleihenanleger dürften insbesondere das nächste Kapitel in der globalen Schuldenkrise, die steigende Inflation und die Normalisierung der Geldpolitik die grössten Gefahren darstellen. Diese lassen sich gemäss Julius Bär teilweise mildern, indem weiterhin Kreditrisiken gegenüber Laufzeitrisiken höher gewichtet werden, wie zum Beispiel durch Anleihen in den «neuen sicheren Häfen» in Osteuropa. «Auch auf der Aktienseite sollten Investoren mittelfristig nach günstigem Schutz vor steigenden Inflationsraten suchen», kommentiert Gattiker-Ericsson weiter. Im Grossraum Europa verweist der Chefanalyst auf osteuropäische, insbesondere russische Aktien, die eine hohe Korrelation zu den Ölpreisen zeigten und damit eine attraktive Absicherung gegen weitere Überraschungen aus dem Energiesegment böten. Auf der Sektorseite betont Julius Bär die nicht-zyklischen Aktien des Gesundheits- und Telekomsektors, die im Sommer 2011 weiter an Terrain gutmachen könnten. (awp/mc/ps/upd/ss)