Zürich – Auf der weissen Weste der Schweiz werden immer mehr Flecken sichtbar: Zum zweiten Mal in Folge ist die Wahrnehmung von unethischem Verhalten gestiegen. Fast jeder fünfte Mitarbeitende in der Schweiz hält Bestechung und Korruption hierzulande mittlerweile für weit verbreitet, wie eine aktuelle Befragung bei grösseren Firmen durch das Beratungsunternehmen EY ergeben hat. Diese Zahl liegt aber immer noch klar unter dem Durchschnitt in Westeuropa, der 33 Prozent beträgt. Im Schnitt aller 41 befragten Länder in Europa, Afrika, dem Nahen Osten und Indien gehen 51 Prozent der Managerinnen und Manager davon aus, dass in ihrem Land Korruption und Bestechung weit verbreitet sind. Auf unrühmliche Spitzenwerte kommen die Ukraine, Zypern, Griechenland und die Slowakei. Besser als die Schweiz schneiden einzig skandinavische Länder ab. In Dänemark halten nur sechs Prozent unlautere Geschäftspraktiken für verbreitet. Anlass zur Besorgnis gibt der stark angestiegene Wert von 43 Prozent für Deutschland.
Weiter hat über ein Drittel der Schweizer Befragten in ihrem eigenen Unternehmen unethisches Verhalten festgestellt, in Westeuropa waren es 45 Prozent. Am korruptesten geht es offenbar in türkischen und indischen Firmen zu und her; dort haben über drei Viertel der Befragten unethisches Verhalten beobachtet.
Geschönte Finanzergebnisse bei 20 Prozent der Unternehmen vermutet
Jede fünfte befragte Person in der Schweiz geht davon aus, dass Unternehmen hierzulande ihre Finanzergebnisse oftmals besser darstellen, als sie tatsächlich sind. In Österreich ist jede zweite Befragte dieser Ansicht, und auch Deutschland liegt mit 42 Prozent noch klar über dem Gesamtschnitt von 39 Prozent. Weniger gut schneidet die Schweiz bei Bestechung mittels Bargeld ab. In der Schweiz finden es 14 Prozent gerechtfertigt, wenn man mit Barzahlungen nachhilft, um das eigene Unternehmen über einen Abschwung hinwegzuretten. Der Wert liegt vier Prozent über demjenigen in Westeuropa.
«Obwohl Korruption und Bestechung in der Schweiz immer stärker wahrgenommen werden, ist das Land nicht generell korrupter geworden. Die Resultate lassen sich anhand von drei Faktoren erklären: Die Wahrnehmung von Korruption ist durch die vielen öffentlich gewordenen Skandale gestiegen; den Menschen fällt unethisches Verhalten einfach stärker auf. Zudem hat sich die Rechtsdurchsetzung verbessert, Wirtschaftskriminalität wird intensiver verfolgt und geahndet. Und nicht zuletzt kommt die Schweiz als Exportnation über Tochterfirmen, Lieferanten und Kunden intensiv mit Korruption in Kontakt», fasst Michael Faske, Partner und Leiter Betrugsbekämpfung bei EY Schweiz, die wichtigsten Resultate für die Schweiz zusammen.
Kommende Führungskräfte handeln unethisch
Junge Berufstätige bevorzugen kooperative Arbeit, halten sich nicht mit Details auf, achten auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance und legen offenbar auch viel öfters unethisches Verhalten an den Tag: Innerhalb der 25-34-Jährigen ist ein viel höherer Anteil als in allen anderen Altersgruppen bereit, unethisches Verhalten zu rechtfertigen, um das Unternehmen zu retten oder ihrer eigenen Karriere Aufschub zu verleihen. Ein Viertel der jungen Befragten rechtfertigt das Anbieten von Schmiergeldern, um einen neuen Auftrag zu gewinnen oder bestehende weiterzuführen. Von den über 45-Jährigen würde nur ein Zehntel so handeln.
Neben der höheren Bestechungsbereitschaft hat die junge Generation auch wenig Vertrauen in ihre Kolleginnen und Kollegen. Sie glaubt stärker als alle anderen Altersgruppen, dass sich diese für einen rascheren Karrierefortschritt oder mehr Lohn unethisch verhalten würden. Und über zwei Drittel der jungen Mitarbeitenden sind auch der Meinung, ihr Management würde unethisches Verhalten an den Tag legen, damit das Unternehmen fortbestehen kann.
Unternehmen und Ausbildner gefordert
«Die Resultate sind besorgniserregend. Diese jungen Menschen sind die Chefs von morgen. Werden keine Massnahmen ergriffen, um hohe ethische Standards zu setzen und problematische Verhaltensweisen auf allen Ebenen anzusprechen, wird unethisches Verhalten in Zukunft noch zunehmen. Unternehmen brauchen Programme, um sämtliche Angestellten zu motivieren, richtig zu handeln. Gräben zwischen den Generationen müssen erkannt und überwunden werden. Wichtig sind auch Schulungen und eine gezielte Sensibilisierung, um Mitarbeitende mit Bedenken zu ermutigen, sich zu melden. Aber auch Universitäten und Lehrbetriebe sind gefordert, in der Ausbildung auf diese Resultate zu reagieren», so Faske.
Unethisches Verhalten zahlt sich niemals aus
Das Geschäftsgebaren der grossen internationalen Unternehmen wird intensiver überprüft denn je. Die Öffentlichkeit fordert immer stärker, dass Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. An der Spitze dieser Entwicklung stehen dabei die G20-Staaten, die OECD und die Weltbank. International vernetzte Regulierungsbehörden leisten das ihre dazu. Die Mehrheit aller Befragten scheint mit diesem Vorgehen zufrieden zu sein. So unterstützen 77 Prozent, dass Führungskräfte spezifisch für Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Studie zeigt auch, dass 28 Prozent der Befragten – acht Prozentpunkte mehr als 2015 – der Ansicht sind, dass Vorschriften positive Auswirkungen auf ethische Standards in ihrem Unternehmen haben. Dies gilt vor allem für die aufstrebenden Märkte.
«Weltweit kehren viele Länder zum Protektionismus zurück, das Wachstum in einst hoffnungsvollen Schwellenländern bleibt unter den Erwartungen, militärische Konflikte bremsen viele Unternehmen, und die Unsicherheit nimmt generell zu. Manche Manager sind dadurch offenbar versucht, zu unlauteren Mitteln zu greifen. Aber das ist eine sehr gefährliche und keinesfalls nachhaltige Strategie. Verstösse können für Unternehmen existenzbedrohende finanzielle Folgen haben und die Reputation nachhaltig schädigen. Das Ziel eines modernen und langfristig erfolgreichen Unternehmens muss es im Gegenteil sein, Vertrauen aufzubauen und langfristig in loyale Mitarbeitende und stabile Kundenbeziehungen zu investieren», sagt Michael Faske zu den generellen Studienergebnissen.
Finanzindustrie sieht Regulation noch positiver
Weiter zeigen sich in der Umfrage Unterschiede nach Branchen: So sind die insgesamt 646 Befragten aus der Finanzindustrie stärker als die Befragten aus allen anderen Sektoren der Ansicht, dass die regulatorischen Aktivitäten einen positiven Einfluss auf korrektes Verhalten gehabt haben. 41 Prozent stimmten dieser Ansicht zu. Bei Banken und Versicherungen sind auch Whistleblowing-Hotlines viel bekannter als im Durchschnitt; ein Drittel gab an, dass ihre Firma ein solches Instrument anbiete, über alle Branchen war es nur ein Fünftel. Beschäftigte aus der Finanzindustrie würden sich bei einem begründeten Verdacht zudem viel eher bei der Regulationsbehörde als bei der Polizei melden. Generell ist das Verhältnis umgekehrt.
Mitarbeitende aus der Finanzindustrie zeigen sich zudem unkritischer gegenüber Überwachung. Zum einen zeigen sie mehr Verständnis für die Notwendigkeit der Überwachung von Mitarbeitenden und den Einsatz von Recherchetools, zum anderen fühlen sie sich auch weniger in ihrer Privatsphäre verletzt, wenn das Unternehmen ihre eigene Kommunikation überwacht. Während 19 Prozent aller Befragten angeben, dass die Firmen E-Mails ihrer Mitarbeitenden überwachen sollen, um das Risiko von Korruption, Bestechung und Betrug einzudämmen, waren es in der Finanzindustrie 28 Prozent. Auf der anderen Seite bezeichnen 58 Prozent der in der Finanzindustrie beschäftigten Personen dieses Vorgehen als Verletzung der Privatsphäre, insgesamt sehen dies aber 65 Prozent so.
«Die intensiven regulatorischen Aktivitäten nach der globalen Finanzkrise sowie die Bemühungen der Finanzinstitute nach einem Kulturwandel zeigen offenbar Wirkung. Obwohl Banken und Versicherungen mehr neue Regeln beachten müssen als andere Branchen, wird diesen eine positivere Wirkung auf ethisch korrektes Verhalten zuerkannt. Auch der Überwachung von Mitarbeitenden wird mehr Verständnis entgegengebracht: Die Banker haben in den letzten zehn Jahren eindeutig dazugelernt», sagt Michael Faske. (EY/mc/ps)
Über die Studie:
Zwischen November 2016 und Januar 2017 wurden insgesamt 4‘100 Interviews mit Mitarbeitenden in 41 Ländern in Westeuropa (1‘500, davon 100 in der Schweiz), Osteuropa (1‘700), dem Nahen Osten (500), Indien (100) und Afrika (300) durchgeführt. Eine Auswahl der grössten Unternehmen in jedem Land wurde dabei berücksichtigt. Zu den befragten Mitarbeitenden gehörten oberste Führungskräfte, das mittlere Kader sowie weitere Mitarbeitende. Die Interviews wurden anonym in der lokalen Sprache durchgeführt.
Über die globale EY-Organisation
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