Schindellegi – Verstopfte Häfen und aus den Fugen geratene Lieferketten tangieren die Weltwirtschaft seit Monaten. Und trotzdem ist dem Logistikriesen Kühne+Nagel im letzten Jahr ein Rekordergebnis gelungen.
Das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Denn Warenströme zu organisieren, ist in diesem Umfeld aufwändiger und damit für die Kunden teurer. Die Mitarbeiter von Kühne+Nagel müssen kurzfristig alternative Routen finden und die Waren öfter umladen. Das Unternehmen spricht von einem zum Teil «vier bis fünffachen Aufwand» pro einzelne Sendung.
Die Einnahmen von Kühne+Nagel steigen entsprechend. So gelang zum Beispiel in der Seefracht mit einem nur zwei Prozent höheren Containervolumen fast eine Umsatzverdoppelung. Finanzchef Markus Blanka-Graff kommentierte es an der Medienkonferenz folgendermassen: «Es wird gut honoriert, wenn es funktioniert.» Zu Wachstum trugen neben dem intensiveren Service allerdings auch massiv gestiegene Frachttarife der Reeder bei.
Auch in der Luftfracht verdoppelte sich der Umsatz. In diesem Segment sorgten ebenfalls «massgeschneiderte Dienstleistungen» infolge Knappheit für höhere Einnahmen. Hinzu kam eine Grossübernahme. Die gekaufte Firma Apex steuerte rund die Hälfte zum Volumenwachstum von rund 55 Prozent bei.
Ein gutes Geschäft machte Kühne+Nagel auch mit den Corona-Impfkampagnen. So seien 1,2 Milliarden Covid-19-Impfdosen in rund 90 Länder befördert worden, hiess es.
Sprung bei allen Zahlen
Alles in allem stieg der Nettoumsatz um satte 61 Prozent auf 32,80 Milliarden Franken. Damit wurde das Vor-Corona-Niveau weit übertroffen.
Dies galt auch für den Rohertrag. Mit dieser Zahl wird ausgedrückt, wie viel Geld bei Kühne+Nagel bleibt, nachdem die oft schwankenden Frachttarife der Reeder und Fluggesellschaften beglichen wurden. Dieser Rohertrag stieg um 32 Prozent auf 9,90 Milliarden.
In der Folge verbesserten sich auch die Gewinnzahlen massiv. Der operative Gewinn (EBIT) kam bei 2,95 Milliarden nach 1,07 Milliarden Franken zu liegen, der Reingewinn bei 2,16 Milliarden nach 0,79 Milliarden. Und die Konversionsrate, die das Verhältnis von EBIT zu Rohertrag der Gruppe beschreibt, lag mit 30 Prozent weit über dem langfristig gesetzten Durchschnittsziel von 16 Prozent.
Mit den Zahlen wurden die Analystenerwartungen auf allen Stufen klar übertroffen. An der Börse legten die Kühne+Nagel-Aktien in einem nachgebenden Markt denn auch zu.
Ukraine als Fragezeichen
Bis vor kurzem deutete nichts auf ein Ende der Erfolgsgeschichte hin. So zeichne sich insbesondere bei der Lieferkettenproblematik keine signifikante Veränderung zum Besseren ab, sagte Finanzchef Blanka-Graff.
Doch der Ukraine-Krieg hat die Situation verändert. Kühne+Nagel hat deswegen alle Lieferungen nach Russland per sofort gestoppt. Die Auswirkungen auf das Geschäfts seien allerdings primär indirekter Natur, weil die russische Landesorganisation weniger als 2 Prozent zum Umsatz beitrage, so der Finanzchef. Es würden dort rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, in der Ukraine seien es rund 400. Insgesamt beschäftigt der Konzern 78’000 Mitarbeiter.
Gewichtiger seien die Auswirkungen auf die internationalen Verkehrsströme. «Es ist ein Riesenunterschied, ob man über Russland fliegen kann oder nicht», so der Finanzchef. Alles, was bislang im europäisch-asiatischen Handel über den nördlichen Teil des Kontinents geflogen sei, müsse nun in den Süden ausweichen – und zum Teil brauche es deswegen auch Zwischenstopps. Für eine Einschätzung, was dies finanziell bedeute, sei es aber zu früh. (awp/mc/ps)