Leuthard: Atomenergie nicht für alle Ewigkeit vom Tisch

Leuthard: Atomenergie nicht für alle Ewigkeit vom Tisch

Bundesrätin Doris Leuthard.

Zürich – Energieministerin Doris Leuthard hat am Wochenende den bundesrätlichen Entscheid zum Atomausstieg relativiert: Falls die Kernfusion gelingen sollte, werde die Kernenergie wieder ein Thema, sagte sie. Inzwischen sind bereits 80% der Bevölkerung für den Ausstieg, wie eine Umfrage zeigt.

«Sollte etwa in 30 Jahren die Kernfusion gelingen, und sollten die Vorteile der Atomenergie wieder überwiegen, könnte man das Gesetz erneut anpassen», sagte Leuthard im Interview mit der «NZZ am Sonntag». Heute entscheide man aufgrund heutiger Fakten – und diese sprächen gegen neue Investitionen in die Kerntechnologie. «Aber wer kann heute schon sagen, wie sich die Technologie entwickelt?» Was die Unabhängigkeit von der Atomkraft betrifft, dürfe man sich «keinen Illusionen hingeben», sagte Leuthard. Die Schweiz könne weiterhin Strom importieren, und im Import werde immer ein Anteil Atomstrom dabei sein.

Breite Unterstützung für Bundesrats-Strategie

Aller Unsicherheiten zum Trotz: Inzwischen unterstützen 80% der Schweizer die Strategie, die AKW am Ende ihrer Laufzeit nicht zu ersetzen. Das zeigt eine Umfrage, die das Institut Isopublic im Auftrag der «SonntagsZeitung» bei 503 Stimmberechtigten durchgeführt hat. Auch Anhänger der Mitteparteien CVP, BDP und FDP sind demnach klar für einen Ausstieg. Sympathisanten von SP und Grünen sprechen sich fast zu 100% dafür aus. Bei SVP-Anhängern findet ein Ausstieg laut «SonntagsZeitung» ebenfalls eine Mehrheit. 64% der Befragten nehmen für den Ausstieg auch eine Strompreiserhöhung von 15% in Kauf. 85% sind der Ansicht, um alternative Energien zu fördern, solle weniger Rücksicht auf Denkmal- und Heimatschutz genommen werden.

Strom aus Gletscherseen?
In welche Richtung die alternativen Energien gefördert werden könnten, zeigt unter anderem eine Studie des Glaziologen Wilfried Haeberli von der Uni Zürich. Das Team um Haeberli rechnet damit, dass im Alpenraum wegen der Gletscherschmelze eine ganze Reihe neuer grosser Seen entsteht. Diese seien interessant für Kraftwerke, die neue Konzessionen brauchen – die Stromerzeuger müssten die Seen in ihre Strategien einbeziehen. Die Ziele der Studie sind auf der Website des Nationalen Forschungsprogramms 61 aufgeschaltet; die «SonntagsZeitung» hat die Studie publik gemacht.

«Träge» Stromindustrie

Wie die Stromindustrie auf solche Strategien reagiert, wird sich zeigen. In den Augen von Energieministerin Doris Leuthard ist die Branche offenbar nicht über alle Zweifel erhaben – dies geht aus einem Interview hervor, das am Samstag in der «Aargauer Zeitung» und in der «Südostschweiz» abgedruckt wurde. «Die Stromindustrie ist stark reguliert, mehrheitlich ist sie staatlich organisiert. Das macht sie träge», sagte Leuthard. Anders sehe es etwa in der IT-Branche aus, wo Wettbewerb herrsche. Die Trägheit rühre nicht zuletzt daher, dass die Branche vor allem möglichst viel Strom verkaufen wolle: «Wir möchten darum prüfen, mit welchen Anreizen das Erreichen von Effizienzzielen erreicht werden kann – die blosse Umsatzsteigerung in Kilowattstunden darf sich nicht mehr rechnen.»

«Augenmass und Realitätssinn»
Die Stromkonzerne spielten den Ball am Sonntag zurück. Im Interview mit «Sonntag» und «NZZ am Sonntag» sagte Alpiq-CEO Giovanni Leonardi, eine Reduktion des Stromverbrauchs um rund ein Viertel sei «völlig unrealistisch». Mit dem Ausstieg setze man die Versorgungssicherheit aufs Spiel. Ins gleiche Horn stiess economiesuisse-Präsident Gerold Bührer in der «Samstagsrundschau» von Schweizer Radio DRS. Er könne deshalb nicht nachvollziehen, weshalb Leuthard den Entscheid «übers Knie gebrochen» habe. Versöhnlichere Töne schlug Urs Gasche, VR-Präsident der Mühleberg-Betreiberin BKW, an. In der «SonntagsZeitung» attestierte er dem Bundesrat, «mit Augenmass und Realitätssinn» entschieden zu haben. Gasche schlägt einen gesamtschweizerischen «Masterplan Energie 2034», bei dessen Ausarbeitung alle Interessengruppen einbezogen werden sollten. (awp/mc/ps)

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