Leu für Balzaretti – Personeller Neustart beim EU-Rahmenabkommen
Bern – Im Streit um ein Rahmenabkommen mit der EU kommt es auf Schweizer Seite zu einem Sesselrücken: Der bisherige EU-Chefunterhändler Roberto Balzaretti wird neuer Botschafter in Paris. Das Europa-Dossier übernimmt die heutige Frankreich-Botschafterin Livia Leu.
Leu leitet ab sofort die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) und wird damit Chefunterhändlerin für die Verhandlungen mit der EU. Sie erhält dazu den Titel einer Staatssekretärin.
Die personelle Neubesetzung kann als Zeichen gegenüber Brüssel verstanden werden, dass Schwung in die vertrackte Lage gebracht werden soll. Zwar schliesst die EU Neuverhandlungen über die Kernpunkte des Rahmenabkommens kategorisch aus. Aus Diplomatenkreisen ist aber zu vernehmen, dass mit Nachverhandlungen einige Punkte geklärt werden könnten.
Gemacht, was gemacht werden musste
«In dieser letzten Phase der Verhandlungen brauchen wir eine erfahrene Diplomatin», sagte Aussenminister Ignazio Cassis am Mittwoch vor den Bundeshausmedien. Die Situation rund um das Rahmenabkommen sei verfahren. Deshalb setze der Bundesrat auf einen neuen Kopf.
Die 59-jährige Bündnerin Leu ersetzt nun also den 55-jährigen Tessiner Balzaretti, der 2018 das Rahmenabkommen mit der EU ausgehandelt hatte. «Er hat kompetente Arbeit geleistet und gemacht, was man von ihm verlangt hat», sagte Cassis und dankte Balzaretti im Namen des Bundesrats.
Seit Ende 2018 liegt ein Entwurf des Rahmenabkommens auf dem Tisch. Das Dossier ist innenpolitisch umstritten und in der vorliegenden Form nicht mehrheitsfähig. Offenbar trauten viele Balzaretti den Turnaround in den Gesprächen mit Brüssel nicht mehr zu. Er verliert seine Stellung als ranghöchster und wichtigster Schweizer Diplomat und seinen Titel als Staatssekretär.
Keine schnellen Lösungen in Sicht
Mit Leu übernimmt eine «erfahrene, solide Diplomatin» das Ruder, wie Cassis es ausdrückte. Sie habe sich gegen sechs Mitbewerbende durchgesetzt. «Leu ist eine Person, die im Leben etwas gesehen hat.» Bei ihrer Arbeit habe sie verschiedentlich von ihrer Kreativität Gebrauch gemacht – eine Eigenschaft, die auch im EU-Dossier behilflich sein könne.
Der Bundesrat werde in den nächsten Wochen die Position der Schweiz festlegen und mit der EU die Diskussion über die Lösung der noch offenen Punkte aufnehmen, sagte Cassis und erwähnte dabei nichts Neues. «Die Schlüsselpunkte sind bekannt. Wenn wir keine zufriedenstellende Lösungen finden, können wir nicht unterschreiben.»
Innenpolitisch umstritten in der Schweiz sind insbesondere die Unionsbürgerrichtlinie, der Lohnschutz und die staatlichen Beihilfen. Unterschiedliche Ansichten bestehen auch über die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei Streitfragen. «Ich erwarte, dass Brüssel offen ist für unsere Vorschläge», so Cassis.
«Verhandlungskreativität» gefragt
Cassis betonte erneut die Wichtigkeit einer baldigen Lösung. «Es ist eines der wichtigsten Dossier dieser Legislatur.» Doch machte er auch deutlich, dass die Verhandlungen auch negativ enden könnten. «Verhandlungen beinhalten immer auch die Möglichkeit des Scheiterns.»
So weit will es Leu nicht kommen lassen. «Ich bin überzeugt, dass mit gutem Willen und Verhandlungskreativität ausgewogene Lösungen gefunden werden können», sagte sie. Sie freue sich auf die «grosse Herausforderung», habe aber auch Respekt davor. «Es gibt viel zu tun.»
Leu ist seit Anfang 2016 bereits die fünfte Spitzendiplomatin, die das EU-Dossier verantworten wird. Vor ihr und Balzaretti haben sich schon Yves Rossier, Jacques de Watteville und Pascale Baeriswyl erfolglos die Zähne am Rahmenabkommen ausgebissen.
Neue Struktur im EDA
Das EU-Dossier wird nicht die einzige Aufgabe von Leu sein. Sie führt zusätzlich ab 1. Januar 2021 das Staatssekretariat EDA an, laut Cassis «das Herz des Aussendepartements». Auf diesen Zeitpunkt hin werden die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) und die Politische Direktion darin integriert, wie der Bundesrat weiter beschloss.
Im neu strukturierten Staatssekretariat sollen im Gegensatz zu heute alle europäischen Länder und Institutionen unter einem Dach zusammengefasst werden. Zudem sollen alle sechs geografischen Abteilungen vereint werden. Geschaffen wird eine neue thematische Abteilung «Digitalisierung». (awp/mc/pg)