Die Eigenwahrnehmung der grossen Medienhäusern als vierte Macht, die den Machthabern auf die Finger schaut und im Sinne der Machtlosen Missstände offenlegt und korrigierend wirken kann, verkommt immer mehr zum blassen Trugbild. Die Realität ist, dass die Politik die willfährigen Medien dank bevorzugtem Zugang zur Macht, gezielten Informationshäppchen und grosszügigen Unterstützungszahlungen schon lange an die Kette gelegt und handzahm gemacht hat.
Von Helmuth Fuchs
Zwar wiederholen die Verleger bei jeder Gelegenheit und Verbandstagungen das Mantra des «unabhängigen Qualitäts-Journalismus», um im nächsten Satz dann gleich mehr staatliche Unterstützung einzufordern, die Realität ist jedoch, wie der aktuelle Fall um Berset und Blick zeigt, eine andere. Sogar wer als Journalist mit dieser eigentlich unhaltbaren Schere im Kopf den beruflichen Alltag noch hinbekommt, muss sich spätestens bei der erniedrigenden Behandlung der Medien durch die politischen Machthaber und der teilweise kumpelhaften Nähe von Medienmanagern zu führenden Politikerinnen und Politikern vom unabhängigen Qualitätsjournalismus verabschieden.
Embedded Politik-Journalismus
Analog zum «embedded journalism» der Kriegsberichterstattung hat sich in der Schweiz ein in die politischen Machtstrukturen gemütlich eingebetteter Journalismus entwickelt. Auf dem Kissen von staatlichen Unterstützungszahlungen, die vor allem in der Pandemie nochmals massiv aufgestockt wurden (30 Mio. Fr. als à-fonds-perdu-Beiträge an Radio- und Fernsehveranstalter, 10 Mio. Fr. an die Keystone SDA-Abogebühren der Online-Medien und 20,4 Mio. Fr. über die indirekte Presseförderungen an die Printpresse) und unter der Decke aus exklusivem Zugang zu den Machthabern und bevorzugten Informationen haben sich Macht und Medien wohlig arrangiert.
Francesco Benini und Patrik Müller von der Aargauer Zeitung haben dieses System anhand des Beispieles von Alain Bersets Department und dem Durchstechen von Informationen zum Blick aufgezeigt. («Wie immer vertraulich»: So fütterte Bersets Departement den «Blick» – die geheimen Corona-Mails, 14.01.2023).
Unterstützende Berichterstattung gegen exklusive Vorab-Informationen?
Den Leserinnen und Lesern fiel schon während der Pandemie auf, dass fast sämtliche Entscheide und Schritte von Alain Berset kurz vor der öffentlichen Bekanntgabe im Blick publiziert wurden. Das hatte nichts mit den Recherche-Fähigkeiten der Blick-Journalisten zu tun, sondern damit, dass zum einen der Blick CEO Marc Walder einen sehr guten Draht zu Alain Berset hatte und zum anderen seine Publikationen in der Pandemie auf die Linie des Bundesrates einschwor («Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.«). Dafür informierte Alain Bersets Kommunikationschef und rechte Hand, Peter Lauener, Marc Walder offenbar jeweils direkt und vorab von bevorstehenden Entscheidungen. Peter Lauener, der heute bei der Kommunikationsagentur «Les Tailleurs» arbeitet, kam im Verlauf der so genannten Crypto-Affäre ins Visier des Sonderstaatsanwaltes Peter Marti.
Auf der einen Seite wurde also wohlwollende Berichterstattung mit Vorabinformationen belohnt, auf der anderen Seite wurden kleinen oder kritischen Medien zu der Zugang für Interviews oder auch zu den offiziellen Medienkonferenzen, verwehrt. So wollte gemäss NZZ nach der Wahl Bersets zum neuen Bundespräsidenten ihm eine Westschweizer Zeitung kritische Fragen zur Ringier-Affäre stellen. Bersets Kommunikationschef für die französischsprachige Schweiz schritt ein. Werde eine solche Frage gestellt, gebe es auch kein Interview.
Der Schreibende selbst wollte bei einer wichtigen anstehenden Medienkonferenz des BAG im September 2021 telefonisch teilnehmen und vorab auch eine Frage eingeben. Der Zugang wurde verwehrt mit dem Argument, dass man keine weiteren Medien zulassen könne, die nicht schon akkreditiert seien, da es sonst zu viele Fragen gäbe (es gab zu dieser Zeit jeweils praktisch keine Fragen der wenigen anwesenden Journalisten und kaum Fragen der telefonisch Teilnehmenden. Immerhin bot man an, das Gesuch gerne nach der Pandemie zu prüfen.
Dafür, dass die guten Beziehungen von Blick zu Alain Bersets Departement auch in Zukunft gewährleistet sind, dürfte die Nachfolgerin von Peter Lauener sorgen. Gianna Blum, zuvor Bundeshausredaktorin bei Blick, übernimmt als Co-Leiterin die Kommunikation des EDI.
Haltung und Agenda statt Informationen und Wissenschaft
Statt als glaubwürdige vierte Gewalt zu analysieren und objektiv zu informieren, sehen sich Journalisten und Journalistinnen immer mehr als Verfechter einer eigenen Haltung und unterstützen ihnen passende Narrative und Agenden. Das ist kein Problem, solange es nicht als Objektivität und Unabhängigkeit verschleiert und durch öffentliche Gelder finanziert wird.
Offensichtlich wird dies zum Beispiel bei der Klimadebatte und der CO2-Diskussion. Kaum eine Gelegenheit wird ausgelassen, um die politische Agenda des Bundesrates, die statt von Technologie von Ideologie geprägt wird, zu befeuern.
So titelt der Tagesanzeiger am 13.01.2023: «Diese Länder reduzieren trotz Wachstum ihren CO₂-Ausstoss – im Gegensatz zur Schweiz» und liefert als Beweis, dass die Schweiz praktisch als einziges entwickeltes Land es nicht geschafft hat, bei wachsendem BIP gleichzeitig den CO2-Ausstoss zu senken (also eine Entkoppelung von BIP und CO2-Ausstoss), eine Grafik, die aufzeigt, dass die Schweiz in den Jahren 2000 bis 2019 als einziges Land einen massiven CO2-Anstieg verzeichnet, während alle anderen die CO2-Emissionen signifikant gesenkt haben.
Prof. Reto Knutti von der ETH Zürich, eine der medial lautesten Stimmen der Klima-Experten, hat dies in seinem Twitter-Feed aufgenommen und kommentiert mit «Immer mehr Industrienationen schaffen die Entkopplung von Bruttoinlandprodukt und Emissionen. Die Schweiz hält nicht Schritt.»
So weit , so schlecht.
Wenn man sich die Daten, auf welche sich das Team der Tagesanzeiger-Datenjournalisten stützt, bei Our World In Data genauer ansieht, präsentiert sich ein anderes Bild:
Our World in Data unterscheidet die produktionsbasierten und verbrauchsbasierten Emissionen. Während die verbrauchsbasierten Emissionen in diesem Zeitraum tatsächlich um 14% zugenommen haben, sind die produktionsbasierten um 30% gesunken, bei gleichzeitigem BIP-Wachstum von 20%.
Die Datenreihe endet aber nicht bei 2019, sondern läuft weiter bis 2020. Und wenn man den Zeitauschnitt auf eine politisch sinnvollere Periode von zehn Jahren (die durchschnittliche Verweildauer von Bundesrätinnen in ihrem Amt) legt, zeigt sich, dass die Schweiz in dieser Zeit die Entkoppelung genau so wie andere Länder, ebenfalls geschafft hat. Bei leicht gestiegenem BIP (4.4%) sind die verbrauchsorientierten Emissionen um mehr als 4%, die produktionsbasierten Emissionen um mehr als 30% gesunken.
Noch deutlicher wird dies, wenn man die Absenkung seit dem Höchstwert der verbrauchsorientierten Emissionen im Jahr 2016 anschaut (plus 56% gegenüber dem Jahr 2000). Dann wird klar, dass in den letzten vier Jahren bei gleichbleibendem BIP die verbrauchsorientierten Emissionen um 34% zurückgingen, die produktionsbasierten Emissionen um 15% sanken. Das ist mehr als EU als Gesamtheit reduziert hat, oder einzelne Länder wie Deutschland oder Frankreich.
Es lohnt sich also für Leserinnen und Leser immer, genau hinzuschauen, die Agenden, Verknüpfungen und Absichten der Medien und auch der Wissenschaft zu verstehen und dann selbst richtig einzuordnen.
Eigentlich wäre genau diese Offenlegung und Einordnung die Aufgabe der Medien, die sie aber immer weniger wahr nehmen und durch eigenen Haltungs-Journalismus und Umsetzung von politischen Agenden ersetzen.