Zürich – Die Schweizer Industrie ist eng mit den grenznahen Regionen vernetzt. Knapp ein Fünftel aller Exporte der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM) werden dorthin geliefert. Der Branchenverband Swissmem fordert daher eine rasche Lösung beim EU-Rahmenabkommen.
Baden-Württemberg, Bayern, Vorarlberg, Nord- und Südtirol, die Lombardei, das Piemont sowie die grenznahen französischen Departemente sind wichtige Absatzmärkte für die MEM-Industrie, wie der Verband am Donnerstag im Vorfeld seines «Industrietages» mitteilte. «Wir sind ein industrielles Powerhouse im Herzen Europas», sagte Swissmem-Präsident Hans Hess vor Journalisten.
Mehr als nur ein Absatzmarkt
Laut einer im Auftrag von Swissmem vom Wirtschaftsforschungsinstitut BAK Economics erstellten Studie exportierte die MEM-Branche 2018 Güter im Wert von 13,4 Milliarden Franken in die grenznahen Regionen. Das ist knapp ein Fünftel der MEM-Exporte und fast so viel, wie von der Branche in die beiden weltweit grössten Volkswirtschaften USA und China zusammen geliefert wird.
Die «überragende Bedeutung» der Nachbarregionen für die MEM-Industrie dürfte sich so bald auch nicht ändern. Und das, obwohl die Exporte in die USA und nach China in den letzten Jahren stark gestiegen sind und laut Hess auch weiter steigen dürften. «Das Wachstum in Übersee hat auch Grenzen», sagte er. Für ein KMU sei es sowohl aufgrund der kurzen Distanzen als auch anderen Faktoren wie der Sprache deutlich einfacher, in die Nachbarländer zu exportieren als nach Asien oder Amerika.
Grenzgänger gegen den Fachkräftemangel
Die Nachbarregionen seien für den Erfolg der Schweizer MEM-Industrie nicht nur als Absatzmarkt entscheidend, sondern auch als integraler Bestandteil des Fertigungsprozesses, als zentraler Beschaffungsmarkt für Vorleistungen und Investitionsgüter, als Reservoir für qualifizierte Arbeitskräfte sowie als Teil des Forschungs- und Entwicklungsmotors.
So bezieht die Branche gut einen Viertel der gesamthaft importierten Waren im Wert von 8,7 Milliarden Franken aus diesen Regionen, wie die Studie aufzeigte. Jedes dritte befragte Unternehmen tauscht bei der Fertigung Zwischenprodukte aus.
Darüber hinaus spielen die grenznahen Gebiete eine wichtige Rolle für den hiesigen Arbeitsmarkt: Einerseits seien rund 45’000 Mitarbeitende direkt mit dem Handel, den die MEM-Firmen im nahen Ausland unterhalten, verbunden. Andererseits sei jeder zehnte Beschäftigte der Branche ein Grenzgänger. Ohne sie wäre der Fachkräftemangel noch ausgeprägter, als er ohnehin schon sei, hielt Swissmem fest.
Aber auch für die Innovationskraft der Schweiz leisteten die EU-Nachbarregionen einen wichtigen Beitrag, hiess es weiter in der Studie. Ein Beispiel dafür: An 22 Prozent aller Schweizer MEM-Patente sei ein Forscher beteiligt, der in den Nachbarregionen lebe.
Für die Studie stützten sich die BAK-Ökonomen auf verschiedene volkswirtschaftliche Statistiken. Zudem führten sie eine Unternehmensbefragung bei den Swissmem-Mitgliedern durch, an der 309 Unternehmen teilnahmen. Die MEM-Industrie trägt 7 Prozent zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei.
Bilaterale Verträge als Schlüssel
Der Schlüssel zum Funktionieren des grenznahen Netzwerks sieht Swissmem in den Bilateralen Verträgen mit der EU. Diese gelte es zu erhalten und weiterzuentwickeln. Daran hätten sowohl die Schweiz als auch ihre Nachbarregionen ein «vitales» Interesse. In der Umfrage hätten 88 Prozent der befragten MEM-Firmen die Bilateralen Verträge als «wichtig bis unverzichtbar» eingestuft.
Um auf dem bilateralen Weg mit der EU voranzugehen, brauche es zwingend ein institutionelles Rahmenabkommen, zeigte sich der Swissmem-Präsident überzeugt. Dieses bringe den Schweizer Firmen Rechtssicherheit. Die nun zum Abkommen noch vorgesehenen Klärungen müssten rasch erfolgen, forderte Hess. Schon heute würden Schweizer Unternehmen wegen der Unsicherheit vermehrt Niederlassungen im Ausland aufbauen. «Das ist nicht zum Wohle des Werkplatzes Schweiz.»
Am Freitag hatte der Bundesrat entschieden, das institutionelle Abkommen mit der EU vorläufig nicht zu unterzeichnen. Er verlangte «Klärungen» und «Präzisierungen» in den Bereichen Lohnschutz, Unionsbürgerrichtline und staatliche Beihilfen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich am Dienstag offen für Präzisierungen, verlangt allerdings, dass diese «in den kommenden Tagen» erfolgen.
«Wir sind sehr glücklich darüber, dass der Bundesrat dem Rahmenabkommen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt ist», sagte Hess. Falls das Rahmenabkommen nicht zustande kommen würde, sieht er einen Weg darin, auf der technischen Ebene enger mit den Nachbarregionen zusammenzuarbeiten. (awp/mc/ps)