Meret Schneider: Alarmierender Antibiotikaverbrauch – ein Lösungsvorschlag
Antibiotika – Wir kennen sie als unverzichtbare Medikamente gegen Infektionskrankheiten, also Krankheiten, die durch Bakterien verursacht werden. Gäbe es Antibiotika nicht, würden viele Krankheiten wie beispielsweise eine Sepsis, also eine Blutvergiftung, beim Menschen tödlich verlaufen; ein guter Grund, dankbar für die Entwicklung dieser Medikamente zu sein und sie sparsam einzusetzen.
Werden Antibiotika nämlich öfter und längerfristig eingenommen, können die entsprechenden Bakterien Resistenzen entwickeln und die Medikamente erweisen sich in der Folge als wirkungslos – ein gefährlicher Zustand bei einer Infektion, weshalb sie von Hausärztinnen und Hausärzten nur kurzfristig und möglichst gering dosiert verschrieben werden.
Eine weitere Ursache der Resistenzen, die wir als Privatpersonen jedoch kaum beeinflussen können, ist die Nutztierhaltung. Die teilweise hohen Antibiotikagaben in den Tierställen führen zu antibiotika-resistenten MRSA- und ESBL-Keimen, die dann wiederum durch den Verzehr von Lebensmitteln wie Fleisch oder Milch in den menschlichen Organismus gelangen können. Der Bund und auch die Bäuerinnen und Bauern sind sich dessen wohl bewusst, weswegen in der Landwirtschaft bereits stark auf eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes hingearbeitet wird und der Bund mit der StAR (Strategie Antibiotikaresistenzen Schweiz) entsprechende Massnahmen ergriffen und konkretisiert hat. In vielen Bereichen zeigen diese Massnahmen auch Wirkung: Zentral sind dabei die Information über den sachgemässen Einsatz von Antibiotika, aber auch die Etablierung von Rahmenbedingungen, die es den Landwirten und Veterinärmedizinerinnen ermöglichen, den Antibiotikaeinsatz so gering wie möglich zu halten. Erkrankt ein Tier an einer Infektion, ist aus Sicht des Tierwohl der Einsatz von Antibiotika nämlich unumgänglich, alles andere würde zu viel Tierleid und letztlich zum Tod des Tieres führen. Der Schlüssel zu einer geringeren Antibiotikagabe ist also eine möglichst gute und stabile Gesundheit der Tiere.
Eine ebenfalls zentrale Säule der Strategie ist die Datenerfassung und Berichterstattung, um die Entwicklung monitoren, evaluieren und gegebenenfalls Massnahmen ergreifen zu können. Und eben diese Datenerfassung und Berichterstattung, erschienen im Oktober 2024 und wenig von Öffentlichkeit und Politik zur Kenntnis genommen, bereitet Anlass zur Sorge. Er fördert nämlich zu Tage, dass trotz aller Bemühungen, Aufklärung und dem Einsatz der Bäuerinnen und Bauern, bei Rindern noch immer die grösste absolute Wirkstoffmenge sowie die grösste Wirkstoffmenge kritischer Antibiotika verzeichnet wurde. Auch die insgesamt grösste Anzahl Tierbehandlungen pro 1000 Tiere erfolgte bei Milchkühen, gefolgt von Rinderaufzucht und – mast; diese Zahl ist in den meisten Rinderkategorien im Vergleich zum Vorjahr leicht angestiegen, bei Milchkühen sogar deutlich. Die höchsten Zahlen von Tierbehandlungen mit kritischen Antibiotika pro 1000 Tiere waren bei der Rinderaufzucht und -mast sowie bei den Milchkühen zu verzeichnen. Insgesamt zeigt sich bei den Rinderkategorien kein abnehmender Trend im Antibiotikaverbrauch, während in den anderen Tierkategorien ein Rückgang zu beobachten ist, der positiv stimmt.
Der deutliche Anstieg der Antibiotikabehandlungen bei Milchkühen bietet also Anlass zur Besorgnis und müsste eigentlich Grund genug sein für den Bund, hier griffige Massnahmen zu ergreifen, die im Sinne des Tierwohls umgesetzt werden können. Wie der Bund in seiner eigenen Strategie schreibt, ist die wirksamste Gegenmassnahme gegen erhöhten Antibiotikaeinsatz die Prävention, also die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine möglichst optimale Tiergesundheit, die eine Antibiotikagabe unnötig macht.
Ein Ansatz, der einen signifikanten und mehrfach erwiesenen Effekt auf die Gesundheit der Kälber (dort ist die Abgabe von Antibiotika besonders hoch) hat und im gleichen Zuge das Tierwohl wesentlich verbessert, stellt die muttergebundene Kälberaufzucht dar. Dies nur schon deshalb, weil alle Kälber während 3-10 Monaten bei der Mutter und dadurch auf dem Geburtsbetrieb verbleiben und nicht im jungen, sensiblen Alter vom Muttertier getrennt und auf einen Mastbetrieb transportiert werden (beides bedeutet Stress für die Kälber, der das Immunsystem schwächt, welches sich in den ersten 12 Lebenswochen noch im Aufbau befindet). Ein solcher Ansatz für eine bessere Kälbergesundheit und ein besseres Tierwohl ist für den einzelnen Milchviehbetrieb jedoch mit Zusatzaufwand und Umsatzeinbussen verbunden: er kann weniger Milch verkaufen (im Schnitt rund 30%), da alle Kälber Milch beim Muttertier trinken und es ist mehr Platz, Einstreu und Reinigungsarbeit für die Kälber nötig, da sie nicht auf einen Mastbetrieb ausgelagert werden. Daher kann sich ein solch neuer Ansatz nicht ohne Förderung und ohne einen besseren Milchpreis etablieren.
In Gegensatz zu diesen Fakten argumentiert der Bund auf eine Anfrage zur Etablierung der muttergebundenen Kälberaufzucht: Der Bundesrat plant weder eine Definition eines Produktionssystems «muttergebundene Kälberaufzucht» noch dessen finanzielle Unterstützung. Er ist der Ansicht, dass Milchprodukte aus dieser Produktionsform ohne zusätzliche staatliche Unterstützung ihre Abnehmer finden können.
Dem widerspricht die Tatsache, dass zur Zeit diverse Bäuerinnen und Bauern gern auf muttergebundene Kälberaufzucht umstellen würden, sie es sich aber finanziell nicht leisten können, da sie einerseits ca. 30% Mengeneinbussen zu verzeichnen haben und andererseits nicht wie bei Weidehaltung o.ä. durch Tierwohlprogramme wie RAUS oder BTS unterstützt werden. In Anbetracht dessen, dass es aber im ureigenen Interesse des Bundes sein muss, Antibiotikaresistenzen zu vermeiden, stellt sich die Frage, warum hier die Bereitschaft fehlt, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, muttergebundene Kälberaufzucht zu etablieren und dabei kostendeckend zu wirtschaften. Da eine Förderung dieser Tierhaltungsform aber auch im Interesse der Bäuerinnen und Bauern sein müsste, werde ich mich im Vorfeld der Frühlingssession mit den entsprechenden Branchenverbänden austauschen und hoffe sehr, hier etwas mehrheitsfähiges aufgleisen zu können, denn wie sich aus der Strategie des Bundes selber erkennen lässt: Die muttergebundene Kälberaufzucht kommt nicht nur dem Tier, sondern vor allem auch der Gesundheit von uns Menschen zu Gute.
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