Meret Schneider: Chapeau Frau Challandes!
Es ist der 8. März und die Debatte um die Agrarpolitik 22+ läuft heiss, während ich diese Zeilen schreibe. Ich bin im Bundeshaus und höre mit einem Ohr den Rednerinnen und Rednern zu, die ihre Anträge verteidigen, provokative Fragen stellen und die Medien mit den eingängigen Schlagworten beliefern: Selbstversorgungsgrad, Absatzförderung, Tierwohlbeiträge, es wird debattiert und gestritten was das Zeug hält. Und einmal mehr verkommt eine eigentlich wichtige Diskussion zu einer reinen Inszenierung, choreografiert und aufgeführt für die Medien und das eigene Klientel. Emotionales wird emotionalisiert und mit Bedeutung aufgeladen, die bei genauerer Betrachtung absolut nicht angemessen ist, doch wenn die Welle der Empörung heranrollt, muss man sie reiten – insbesondere in einem Wahljahr.
So beispielsweise bei der Absatzförderung: handelt es sich zwar um einen geringen Betrag, der gesamtheitlich kaum ins Gewicht fällt, so wird die Diskussion doch beidseitig hitzig geführt und gleich mehrere Anträge dazu diskutiert. Absatzförderung für Schweizer Landwirtschaftsprodukte streichen? Absatzförderung nur noch für pflanzliche Produkte? Oder nur noch für klimafreundliche Erzeugnisse?
Ja, auch wenn es die ein oder andere Veganerin verärgern wird: ich bin nicht gegen Absatzförderung – auch nicht gegen jene für Schweizer Tierprodukte. Mit der Absatzförderung soll viel mehr der Mehrwert von Schweizer Landwirtschafserzeugnissen gegenüber billiger Importware kommuniziert werden, unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen. Sowohl pflanzliche als auch tierische Produkte sollen davon profitieren und damit eine regionale und klimafreundlichere Ernährung populär machen.
Selbstverständlich kann die Frage aufgeworfen werden, ob es Aufgabe des Staates ist, die hiesige Landwirtschaft mittels Absatzförderung zu unterstützen, aber in Anbetracht dessen, dass eine regionale Produktion der Strategie des Bundes selber entspricht, ist es sinnvoll, wenn der Bund im Sinne der Umsetzung seiner Strategie auch den Mehrwert derselben kommuniziert und fördert. Ansonsten hat die standortangepasste Landwirtschaft neben den schrillen Aktionen für Dumpingfleisch und Spargeln aus Peru im Detailhandel einen schweren Stand.
Doch wie umständlich, dies zu kommunizieren. Wie viel einfacher ist es doch, als Tierschützerin laut nach Abschaffung von Fleischwerbung zu schreien und wie viel eingängiger die Kommunikation einer Streichung sämtlicher Beiträge für die Tierproduktion aus veganer Sicht doch wäre. Dass damit höhere Importe und eine Externalisierung des Tierleides und der Umweltauswirkungen verbunden sind, soll doch einer knackigen Headline nicht im Wege stehen. Und während ich den Rundumschlag-Voten im Rat lausche, stosse ich auf einen Artikel, verfasst von der Präsidentin des Bäuerinnen- und Landfrauenverbandes, Anne Challandes.
Der Artikel beginnt mit der Feststellung, dass der Fussabdruck unserer Ernährung kleiner werden muss. Eng mit dem ökologischen Fussabdruck verbunden sind die tierischen Lebensmittel. Und dann die für eine Präsidentin des Bäuerinnenverbandes überraschende Feststellung: es ist im Prinzip ineffizient, Essen zuerst durch Tiere veredeln zu lassen. Ich bin beeindruckt, wird dieser Faktor sonst von Verbandsseite kommunikativ stets ignoriert, wenn nicht gar negiert. Natürlich folgt darauf die Relativierung, dass wir in der Schweiz grosse Flächen vor allem im Berggebiet und an anderen Hanglagen haben, auf denen nur Gras wächst. Wir können dort keinen Acker- oder Gemüsebau für die direkte menschliche Ernährung betreiben. Dieses Land müssen Raufutterverzehrer wie Kühe, Ziegen oder Schafe als Grasfresser nutzen, die für uns daraus Milch oder Fleisch machen. Soweit so gut, soweit so einverstanden.
Im Weiteren wird dafür plädiert, die Ernährungswende Schritt für Schritt und nicht mittels Hau-Ruck-Übungen zu vollziehen, aber in einer erfrischend differenzierten Art und ohne die Tatsache, dass wir uns in Richtung weniger Tierprodukte bewegen müssen, zu negieren. Eine Anpassung des Essverhaltens und der Kaufentscheidungen, Verantwortung für das Sortiment und dessen Präsentation in den Läden, Information und Bildung im Bereich Ernährung sowie eine gerechte Verteilung der Margen in der Wertschöpfungskette sind in ihren Augen der Weg zum Erfolg.
Würden Frau Challandes und ich die Agrarpolitik der Zukunft gestalten, wir würden uns finden, denn auch bei ihr spürt man deutlich: sie ist an Lösungen wesentlich mehr interessiert als an polemischem Schlagabtausch. Und noch während die Alpha-Männchen im Rat ihre Reden schwingen, schicke ich von Herzen ein grosses “Chapeau” und “Danke” für die Differenziertheit an Frau Challandes – welcher Tag würde sich dafür besser eignen als der 8. März, der Weltfrauentag.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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