Die Bauern. Kaum ein Berufsstand, der im Parlament so gut vertreten ist, seine Interessen so effektiv durchsetzt und eine so grosse Solidarität der Bevölkerung geniesst. Zwar macht er einen relativ geringen Anteil der Bevölkerung aus, aber seine empfundene Relevanz als Produzenten unserer Lebensmittel übersteigt bei Weitem den Stellenwert anderer ebenso systemrelevanter Berufsgruppen wie der Pflege oder der Handwerkerinnen und Handwerker.
Proteste von Bauern gegen Dumpingpreise, erhöhte Auflagen im Bereich Ökologie und Tierwohl und Billigimporte werden von der Bevölkerung nicht nur gebilligt, sondern gar unterstützt und gutgeheissen. Dass diese Bevölkerung sich dann am Tiefkühlregal an den brasilianischen Chicken Nuggets gütlich tut und die Flugmango dem heimischen Boskoop-Apfel vorzieht, steht auf einem anderen Blatt und soll hier nicht Thema sein. Nach einer ersten Welle der Bauernproteste mit Traktoren und Lichtern und einer Petition, die faire Produzentenpreise sowie eine bessere Wertschätzung der Landwirtschaft forderte, schien sich die Lage zu beruhigen und wenngleich sich faktisch nichts änderte, ebbten die Proteste ab.
Nun hat sich der Wind jedoch gedreht: In ganz Europa, insbesondere in Frankreich, Deutschland und Spanien, gehen die Bauern wieder auf die Strasse. Stein des Anstosses ist diesmal berechtigterweise das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, das auch in der Schweiz Thema ist und die Landwirtschaft in ganz Europa stark in Bedrängnis bringt. So versichert beispielsweise Andoni García, Vorstand der Landwirte- und Viehzuchtorganisationen (COAG) in Spanien in einem Artikel der EuroNews, dass das Abkommen mit dem Mercosur «sehr negative Auswirkungen haben wird, die mehr industrielle Landwirtschaftsmodelle fördern werden, die den Zielen des Grünen Deals und der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ völlig und absolut widersprechen». Auch Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, äussert deutliche Kritik und zeigt sich besorgt über die potenziellen Auswirkungen des Abkommens auf die lokale Agrarproduktion, die durch Importe mit veralteten Standards verdrängt werden könnte.
Die Kritik und Besorgnis der europäischen Bauern ist absolut berechtigt und wird von vielen Schweizer Bauern und dem Branchenverband Proviande geteilt. So ist in einem Statement von Proviande Folgendes zu lesen: Die hohen regulativen Standards in den Bereichen Lebensmittel und Tierschutz sind Teil der Qualitätsmerkmale der Schweizer Fleischwirtschaft. Zu ihrem Schutze steht Proviande einem Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten eher skeptisch gegenüber. Bei Importen kauft man immer auch die entsprechenden Produktionsbedingungen mit ein.
Die Diskussion über eine Ratifizierung des Abkommens in der Schweiz und dabei auch das Seilziehen um die Gunst des Bauernstandes dürfte also spannend werden. Wird sich der SBV auf seinen Kerninhalt, die Interessenvertretung der Bäuerinnen und Bauern, besinnen und sich gegen das Abkommen positionieren? Oder wird er sich nach dem Schulterschluss mit Wirtschaftsverbänden wie der Economiesuisse, die das Abkommen vorantreiben wollen, gänzlich den Interessen der Agrarindustrie beugen? Wie auch immer die Positionierung ausfällt, es bleibt zu hoffen, dass die Bäuerinnen und Bauern das Verhalten des SBV in dieser Sache genau beobachten und entsprechende Schlüsse und Konsequenzen ziehen.
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