Recht zu haben mit politischen Vorstössen ist zumeist befriedigend. Wenn sich herausstellt, das der eingereichte Vorstoss tatsächlich ein wichtiges Problem lösen würde oder wird und man den berühmten Nagel auf den Kopf getroffen hat, weiss man: ich bin auf dem richtigen Weg, meine politische Arbeit ist von Relevanz. Wenn ich auch nur ein kleines Rädchen am Apparat bin, dann zumindest eines, das einen kleinen Unterschied bewirkt – selbstverständlich zum Positiven. Bei Tierschutz-Vorstössen, welche die Unterbindung von Tiermisshandlungen zum Ziel haben, verhält es sich etwas anders.
Da wünscht man sich oft, wenn man ein marginalisiertes Problem aufgreift und die Gegnerschaft des Vorstosses bemängelt, dies sei nun wirklich eine Praxis von allzu geringer Verbreitung und werde ohnehin in nächster Zukunft vom Erdboden verschwinden, sie mögen Recht behalten. Man wünscht sich, die Art der Tierquälerei, die angeprangert wird, wäre tatsächlich ein Auslaufmodell und würde von selber verschwinden – oft fragte ich mich nach solchen Gesprächen, ob ich vielleicht nicht den Nagel auf den Kopf, sondern eher den Spatz getroffen hatte, und zwar mit der sprichwörtlichen Kanone. So geschehen bei meinem Vorstoss für eine transparente Deklaration von Kokosprodukten aus affenquälerischer Produktion.
Abseits der grossen Schauplätze in Bezug auf Tierschutzthemen herrscht nämlich eine grosse Problematik im Zusammenhang mit der Ernte von Kokosnüssen in Thailand, die sich im Zuge der zunehmenden Beliebtheit von Kokosprodukten noch verschärft. Junge Affen werden in Thailand angekettet, gewaltsam trainiert und gezwungen, Kokosnüsse zu pflücken. Aus diesen werden Kokosmilch, Kokosöl und andere Kokosprodukte hergestellt. Viele Affen werden ihren Familien ganz jung und überdies illegal entrissen. Man legt ihnen Metallhalsbänder an, die den Hals verletzen, und bindet oder kettet sie so lange an, wie sie für die Kokosindustrie von Nutzen sind.
Dies ist jedoch nicht auf allen Kokosnussfarmen der Fall. In anderen Kokosnussanbaugebieten – wie Brasilien, Kolumbien und Hawaii – nutzt man tierleidfreie Methoden zur Ernte. Die Kokosnüsse werden dort beispielsweise mit hydraulischen Aufzügen auf Traktoren, Seil- und Plattformsystemen oder Leitern geerntet; in manchen Anbaugebieten setzen die Menschen alternativ auf Zwergformen der Kokospalme. Einige Detailhändler in Deutschland haben bereits reagiert und entsprechende Produkte wie Aroy-D und Chaokoh, die erwiesenermassen auf die tierquälerische Praxis setzen, aus dem Sortiment gestrichen.
In der Schweiz werden diese noch immer angeboten, ohne dass Konsumierende über die tierquälerische Produktion Bescheid wissen.
Wenig überraschend hat der Bundesrat meine Motion abgelehnt und argumentiert, es gäbe keine international anerkannte Definition, wann Methoden beim Einsatz von Tieren für die Ernte als tierquälerisch gelten. Dem ist zwar so, doch kann bereits die Ankettung und Unterbringung der Affen aus schweizer Sicht ohne weiteres als tierquälerisch bezeichnet werden, was eine Deklarationspflicht rechtfertigen würde. Auch Käfigeier müssen deklariert werden, obwohl die Käfighaltung keine international als tierquälerisch geltende Haltung darstellt. Auch stört sich der Bundesrat am Kontrollaufwand und der kaum zu bewerkstelligenden Rückverfolgbarkeit. Dieses Problem löst sich jedoch praktisch von selbst, da in Bangkok Kokosprodukte künftig mit einem Code versehen werden, der die Rückverfolgbarkeit gewährleistet und deklariert, ob die Nüsse aus einer affenfreien Farm stammen oder nicht. Die Deklaration würde also keinen nennenswerten Zusatzaufwand mit sich bringen, für Konsumierende aber einen grossen Nutzen in Bezug auf Transparenz bieten.
Diverse Grosshändler in Deutschland haben auf die Problematik bereits reagiert und die Kokosprodukte, die von Affen geerntet wurden, komplett aus dem Sortiment gestrichen. Wenn dies in Deutschland möglich ist, so sollte es in der Schweiz wenigstens möglich sein, entsprechende Produkte zu kennzeichnen und damit Transparenz für Konsumierende sicherzustellen und den Druck auf die tierquälerischen Betriebe zu erhöhen. Im Rat war meine Motion tatsächlich mehrheitsfähig, was mich sehr gefreut hat. Dennoch wurde ich für diese Thematik eher belächelt: das sei ein marginales Problem und diese Praktiken wären ohnehin praktisch vom Erdboden verschwunden.
Umso besser, dachte ich mir, lieber ein Schuss mit Kanonen auf Spatzen und dafür eine Entwicklung in eine positive Richtung – doch eine neue Recherche fördert nun aktuelle, erschreckende Missstände zu Tage. Acht Monate lang – von Dezember 2021 bis Juli 2022 – recherchierte PETA Asien zum dritten Mal in der thailändischen Kokosindustrie.
Trotz anderslautender Zusicherungen durch die thailändische Regierung und die Kokosindustrie werden nach wie vor Affen illegal erworben, angekettet und gezwungen, Kokosnüsse zu pflücken. Diese Kokosnüsse werden anschliessend in einigen der führenden Kokosmilch-Marken verarbeitet. Brisant für die Schweiz: Auch der Lieferriese Hello Fresh verwendet Kokosmilch, die durch Affenarbeit in Thailand entstanden ist. Die zwischen Dezember 2021 und Juli 2022 betriebene Recherche betrifft Kokosnusspflücker, Zwischenhändler, Farmen und Trainingsbetriebe für Affen in insgesamt neun Provinzen, einschliesslich einiger, welche die Kokosnussproduktion dominieren.
Die verdeckten Ermittler recherchierten in 57 Betrieben und konnten nachweisen, dass die Tiere in jedem der Betriebe misshandelt und ausgebeutet werden. Video- und Fotomaterial dokumentieren die Missstände eindrücklich und machen deutlich: die Thematik ist mitnichten vom Tisch – im Gegenteil. Die Situation verschärft sich zunehmend im Zuge der steigenden Nachfrage nach Kokosprodukten und zeigt eindrücklich auf, dass zumindest die Transparenz, die durch meine Motion gefordert wird, dringend notwendig wäre. Wer hätte schliesslich gedacht, dass auch ein Nachhaltigkeit und Tierwohl suggerierendes Unternehmen wie Hello Fresh Produkte der affenquälenden Farmen im Sortiment führt?
Mit dieser Argumentationsgrundlage werde ich mich nun mit Nachdruck für eine Mehrheitsfähigkeit auch im Ständerat einsetzen – Wissen und Information auf Seiten der Konsumierenden wäre wichtiger denn je, auch wenn ich mir für einmal wünschte, ich hätte hier nicht Recht behalten.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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