Meret Schneider: Die Transformation als Ziel und Zankapfel

Meret Schneider: Die Transformation als Ziel und Zankapfel
Meret Schneider, Nationalrätin, Grüne Schweiz. (Bild: parlament.ch)

Erinnern Sie sich noch an die Zeit, in der mit einem Leuchten des Anfangszaubers in den Augen von der ökologischen Transformation der Gesellschaft gesprochen wurde? Als 2019 sogar die Jungfreisinnigen mit den Klimastreikenden mitmarschierten und die Klimabewegung sich tatsächlich bewegte, statt klebte; als man unter Technologieoffenheit auch Photovoltaik und Geoengineering und nicht einfach den Bau weiterer weder finanzier- noch versicherbarer AKW’s verstand und sogar mit den Grosseltern ein Gespräch über Zero Waste möglich wurde?

So kurz diese Episode zurückliegt, so sehr scheint sie mir Äonen entfernt. Es folgten Pandemie, Putin, Iran, Hamas und eine Erstarkung der rechtsnationalen Kräfte in ganz Europa – von den USA ganz zu schweigen. Und das Wort Transformation verlor seinen vielversprechenden Glanz einer neuen, schönen Welt, in der Qualität statt Quantität zählt und wir dem ewigen Hamsterrad-Wachstumsparadigma etwas Lebensbejahenderes entgegensetzen.

Stattdessen wurde die Transformation der Gesellschaft zu einem Topos der Bedrohung; in Anbetracht der multiplen Krisen und des ständigen Wechselspiels aus Beunruhigung ob der Weltlage und ganz konkreten Existenzängsten wurde die Bewahrung und Verwaltung des Status quo plötzlich zum höchsten aller Güter, ungeachtet dessen, dass ein Status quo, wie wir ihn uns gewohnt sind, nur bewahrt werden kann, wenn wir eine ökologische Transformation unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems vollziehen.

Veränderung wurde zum Synonym für Bedrohung, Beunruhigung und mit Sicherheit einer Verschlechterung der aktuellen Situation, eine Wende hin zum Guten wurde für viele unvorstellbar. Tatsächlich aber wird sich die Situation nur schon aufgrund der Klimakrise in sehr absehbarer Zeit ohnehin verändern – auch in der Schweiz – und mit Sicherheit nicht zum Guten, wie es aktuell insbesondere die Schweizer Bauern zu spüren bekommen. Selbst wenn wir also eine möglichst umfassende Konservierung der aktuellen Situation anstreben – und das ist mitnichten mein Ansinnen – gilt es, von einem quantitativen zu einem qualitativen Wachstum zu gelangen. Ansonsten machen die klimatischen Bedingungen immer mehr Erdteile für immer mehr Menschen unbewohnbar. Die Frage, die sich stellt, ist aber: Wie konnte das passieren? Wie kamen wir von einem gefühlten gesellschaftlichen und politischen Konsens der Bekämpfung des Klimawandels und einer nachhaltigen Energiestrategie zu diesem Backlash, in dem nicht nur mit AKW’s geliebäugelt wird, sondern auch der Widerstand gegen Windanlagen und Solarpanels in absurder Weise wieder angefacht wird?

Meine Analyse ist die folgende und sie stützt sich auf die These des Soziologen Armin Nassehi. In Deutschland gibt es zudem interessante Umfragen, die zeigen, dass viele Menschen mit ihrem eigenen Leben zufrieden sind, sich jedoch vom Gesamtsystem überfordert fühlen. Gemäss Nassehi herrscht ein starker Veränderungsdruck, in dem sich die Gesellschaft zwangsläufig transformieren muss. Oder anders gesagt: Sie tut es ohnehin. Die spannende Frage dabei ist, ob man in Zeiten von Transformation und Krisen noch ein gewisses Mass an Kontrolle behält. Die Frage ist, wie Veränderungen in einer Gesellschaft herbeigeführt werden können, sodass sie allen zu Gute kommen und breit akzeptiert werden – auch und insbesondere langfristig.

Es gibt dazu zwei Ansätze: Einer setzt auf schnelle, radikale Veränderungen und Disruption, was oft auf Widerstand stösst, weil Menschen an Gewohnheiten festhalten. Das zweite Modell ist der evolutionäre Wandel, bei dem Anpassungen über Zeit stattfinden. Die Forschung zeigt, dass Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie Zeit haben, sich anzupassen. Die Herausforderung wird es gemäss Nassehi sein, grosse Gesten in eine evolutionäre Form des Wandels zu verwandeln, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen.

Und genau hier liegt meines Erachtens der Knackpunkt: Wir haben kommunikativ das Fuder überladen. Plötzlich war mit einer Transformation der Gesellschaft nicht nur eine ökologische Transformation, eine nachhaltige Versorgung mit erneuerbaren Energien und eine Abkehr vom quantitativen Wachstumsparadigma gemeint, sondern es schwang direkt auch eine Abschaffung des Kapitalismus, die Aufhebung der Geschlechterrollen und das in Frage Stellen sämtlicher bürgerlicher Traditionen mit. Dies löste im Zuge der Kriege und Krisen, mit denen sich die Bevölkerung konfrontiert sah, plötzlich ein umgreifendes Gefühl des Kontrollverlustes aus, kombiniert mit der Angst, nicht mehr Herr*in des eigenen Schicksals und der eigenen Zukunft zu sein.

Im Zuge der Euphorie über die breite Zustimmung zu progressiven Themen wie einer ökologischen Transformation und die Gleichstellung aller Geschlechter, wurden weitergehende Forderungen laut, die von der Gegenseite gezielt für symbolische Scheindebatten instrumentalisiert wurden. Plötzlich wurden Gendersterne und Strassenschilder zu den brennendsten Themen unserer Gesellschaft hochstilisiert und die breite Bevölkerung, die soeben noch im Transformationszug in eine lebenswerte Zukunft Platz genommen hatte, sprang ab.

Dass sich die Gesellschaft aber transformiert, ist eine Tatsache; keine Frage des «ob», sondern eine Frage des «wie». Und hier sehe ich die Verantwortung von uns, der ökologischen Bewegung, die gern viel schneller und grundlegender voranschreiten würde: Es wird eine Veränderung in kleinen Schritten. Man mag nun anmerken, für kleine Schritte fehle uns die Zeit, aber wofür uns die Zeit primär fehlt, sind Rückschritte und Kehrtwenden. Wenn wir die Bevölkerung mitnehmen und erreichen möchten, sollten wir jedem*r Einzelnen nur zumuten, was er oder sie bereit ist, beizutragen. Es wird nicht disruptiv, nicht revolutionär und nicht umwälzend, aber hoffentlich ein Weg zu einer nachhaltigen und lebenswerten Weltgesellschaft – für möglichst alle Lebewesen.


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