Als Vertreterin einer Minderheit im Parlament bin ich Verlieren grundsätzlich gewohnt. Oft genug wird debattiert, diskutiert oder werden Kompromisse gesucht, nur damit im Ratssaal dann doch alles abgeschmettert wird. Umso schöner, wenn wie in der aktuellen Sondersession gleich zwei wichtige Vorstösse aus meiner Feder angenommen werden – insbesondere wenn man sich die Entstehungsgeschichte vor Augen führt.
Im November 2022 habe ich nach der Abstimmung zur Initiative gegen Massentierhaltung ein Online-Agrarforum durchgeführt. Mein Anliegen war es, Bäuerinnen und Bauern aus der ganzen Schweiz an einen Tisch zu bringen und ganz offen abzuholen, was sie beschäftigt, mit welchen Problemen sie im Alltag zu kämpfen haben und welche politischen Änderungen sie sich im Sinne einer tiergerechten und kostendeckenden Produktion wünschen würden. Gerade der Preisdruck durch billige Importe und teilweise unfaire Handelspraktiken von Seiten Detailhandel stellen Bauern immer wieder vor frustrierende und finanziell existenzgefährdende Situationen, die sie zur Intensivierung der Produktion oder der Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit zwingen. Neben der Problematik des Litterings in der Landwirtschaft und der praktischen Hürden bei der Direktvermarktung – auch diese beiden Anliegen habe ich in Vorstösse gegossen, die noch diskutiert werden – wurde auch das Problem der Kostenwahrheit und der Intransparenz der Preisgestaltung im Detailhandel von den verschiedensten Bäuerinnen und Bauern ins Feld geführt.
Letztere Anliegen habe ich in der Folge in zwei Postulate gegossen, die in dieser Session behandelt und – erfreulicherweise – angenommen wurden.
Im ersten Postulat wird der Bundesrat eingeladen aufzuzeigen, wie der in seinem Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» dargelegte Handlungsbedarf zum Thema «Transparenz und Kostenwahrheit erhöhen» möglichst rasch angegangen werden könnte und welche konkreten Massnahmen er dazu umsetzen will, um insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit von Produkten, die einem gesellschaftlich gewünschten Umwelt- und Tierwohl-Niveau entsprechen, zu verbessern. Dabei soll auch und insbesondere ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber importierten Produkten, die nicht dem Schweizer Standard entsprechen, erhöht werden.
Gerade letzterer Satz ist für die Schweizer Bauern und uns Konsumentinnen und Konsumenten von immenser Wichtigkeit: beim Online-Forum und zahlreichen persönlichen Gesprächen auf den unterschiedlichsten Bauernhöfen der Schweiz wurde immer wieder folgende Frustration geäussert:
Die Anforderungen an Bäuerinnen und Bauern steigen, man möchte diese auch umsetzen, doch vor dem Regal entscheidet letztlich das Portemonnaie und weniger die eigenen Ansprüche an eine tiergerechte Produktion. Aufgrund der Lohnkosten und der teureren Produktion, kombiniert mit den überhöhten Margen im Detailhandel sind importierte und zu geringen Umwelt- und Tierwohlstandards produzierte Lebensmittel oft preislich attraktiver positioniert, da externe Kosten nicht im Preis internalisiert sind. Dies ist ein klarer Fehlanreiz, der zu umwelt- und tierwohlgefährdendem Konsumverhalten führt – ein Fehlanreiz, den auch der Bund in seinem Bericht “Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik” zu korrigieren gedenkt.
Im zweiten Postulat wird der Bundesrat beauftragt zu prüfen, wie unlautere Handelspraktiken im Detailhandel bei Agrarprodukten unterbunden werden können und Preistransparenz für Konsumentinnen und Konsumenten in Bezug auf Produzenten- und Konsumentenpreise, sowie in Bezug auf die Margen hergestellt werden kann.
Denn wer im Detailhandel Agrarprodukte kauft, wird oft mit Konsumentenpreisen konfrontiert, die nur wenig mit den Produzentenpreisen zu tun haben. Labelfleisch wird mit überhöhten Margen hochpreisig gehalten, während der tatsächliche Mehrwert für die Bauern nur einen geringen Anteil an der Preisdifferenz ausmacht. Auch zweifelhafte Aktionen auf Agrarprodukte wie beispielsweise auf importierte Edelstücke torpedieren die Schweizer Landwirtschaft und führen Konsumierende in die Irre.
In Deutschland sind seit dem 20.12.2022 im Lebensmittelhandel im Hinblick auf dessen Vertragsvereinbarungen mit den Lieferanten strengere Vorgaben in Kraft getreten. Das Agrarmarktstrukturgesetz wurde um Regulierungen zu unlauteren Handelspraktiken erweitert und in «Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz» umbenannt. Demnach sind nun unter anderem kurzfristige Stornierungen von Bestellungen verderblicher Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse oder einseitige Änderungen der Lieferbedingungen verboten.
Andere Handelspraktiken sind nur dann noch erlaubt, wenn sie vorher ausdrücklich und eindeutig zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurden. In einer Auflistung werden diverse unlautere Handelspraktiken aufgeführt, die bei der neu eingeführten, unabhängigen Ombudsstelle gemeldet werden können. Diese geht solchen Meldungen zu unfairen Handelspraktiken nach und identifiziert neue unlautere Praktiken.
Im Einklang mit dieser Neuerung wäre es auch in der Schweiz zu begrüssen, den Detailhandel in Bezug auf Verträge und Fairness gegenüber Produzenten und bezüglich Transparenz gegenüber Konsumierenden stärker in die Pflicht zu nehmen. Dies entspricht sowohl dem Bedürfnis der Konsumierenden und der Bauern, als auch dem politischen Willen, einseitigen Marktmissbrauch von Marktmächtigen zu unterbinden.
Beide Postulate wurden angenommen und zeigen auf: Wir Umwelt- und Tierschutzbewegten und die Bäuerinnen und Bauern haben oft eine grosse Schnittmenge gemeinsamer Interessen oder, um es landwirtschaftlich auszudrücken: eine ganze Fuhre Heu auf derselben Bühne. Mit mulmigem Blick auf das Wahljahr kann ich daher nur einmal mehr betonen: Lasst uns Brücken bauen, statt Gräben ausheben, in die wir dann selbst hinein fallen. Nur Zusammenarbeit und konstruktives Erarbeiten von Lösungen bringt uns weiter, alles andere ist schlichte Polemik für die Plakatwand.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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