Bolsonaro ist weg – ein Aufatmen ging durch die Gesellschaft, und auch wenn Lula da Silva nun sicher kein Anlass zum Feiern ist, so scheint doch das Schlimmste abgewendet zu sein. Die Wahl führt also vermutlich nicht vom Regen in die Traufe, sondern eher von der Traufe in den Regen – aber nass ist es halt immer noch. Und, um im Bild zu bleiben, wenn man die Debatte in der EU verfolgt, so scheinen auch für die Schweizer Landwirtschaft bereits die nächsten dunklen Wolken aufzuziehen, doch dazu später.
Nach dem Regierungswechsel in Brasilien rückt nämlich das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur, das 2019 zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert wurde, wieder in den Fokus. Die EU Kommission drängt auf eine Wiederbelebung des Handelsabkommens und argumentiert unter anderem damit, dass sich die EU angesichts des Krieges in der Ukraine dringend neue Handlungsmöglichkeiten erschliessen muss. Was soweit verständlich klingt, unterminiert jedoch sämtliche Nachhaltigkeitsziele und landwirtschaftliche Strategien wie “Vom Hof auf den Tisch” und lässt die Bauern im bereits erwähnten Regen stehen.
Die Präsidentin der europäischen Landwirte, Christiane Lambert, ist denn auch entsprechend besorgt und kritisiert das Abkommen scharf. Das Mercosur-Abkommen ist nämlich trotz des gewährten Zugangs für Erzeugnisse aus der EU wie Wein, Milch, Olivenöl, einige Obstsorten, Gemüse und Produkte mit geografischer Angabe in seinem Landwirtschaftskapitel unausgewogen, insbesondere im Hinblick auf die anfälligen Agrarsektoren wie Rind- und Geflügelfleisch. Am Beispiel des Rindfleischsektors lässt sich leicht nachvollziehen, wie dieses Abkommen die Verhandlungsmacht aus den Händen der europäischen Bäuer*innen in die der grossen Marktakteure in den Mercosur-Staaten verlagern wird.
Zudem fördert dieses Abkommen eine Doppelmoral der EU zu Tage, wie wir sie auch in der Schweiz kennen, wenn es um den Import von Produkten geht, die in der Schweiz nicht produziert werden dürften, wie beispielsweise Stopfleber. Bereits im Jahr 2019 hat dieses Abkommen den Landwirten in der EU das Leben schwer gemacht, so die Landwirtschaftszeitung Schweizer Bauer, da es mit zweierlei Mass misst: dem, was in der EU verboten ist, und dem, was bei den Einfuhren toleriert wird.
Der Zuckerrübensektor ist dafür ein Paradebeispiel. Mit dem Abkommen wird Europa Zucker und Ethanol importieren, die in keinster Weise den hiesigen Produktionsstandards entsprechen. Allein in Brasilien werden 27 Herbizide und Insektizide verwendet, die in Europa verboten sind, gleiches gilt für Tierprodukte und Tierwohlstandards.
Was hat dies alles aber nun mit der Schweiz zu tun? In diversen Gesprächen mit Bauern, die ich in letzter Zeit im Zuge meines Projekts, die Zusammenarbeit mit Bauern und der Politik zu fördern, geführt habe, kam eines ganz deutlich zur Sprache: der Grenzschutz ist für die Schweizer Landwirtschaft essentiell und Billigimporte aufgrund des Preisdruckes eine der grössten Bedrohungen für eine standortgerechte, tiergerechte Produktion. Die Tatsache, dass auch die Schweiz mit Freihandelsabkommen mit Mercosur liebäugelt, und wir mit der Aufhebung der Industriezölle wichtige Verhandlungsmasse in Bezug auf die Agrarzölle vergeben haben, sorgt daher für Beunruhigung und Besorgnis.
Mir als Person, der die Schweizer Landwirtschaft enorm am Herzen liegt, bereitet dies insbesondere Bauchschmerzen, weil sich der Schweizer Bauernverband kürzlich zu einem Schulterschluss mit Wirtschaftsverbänden wie der economiesuisse entschieden hat. Unter dem Motto “Neue Perspektiven” soll diese Zusammenarbeit aufgegleist werden und ich hoffe sehr, dass damit nicht nur Perspektiven für die Schweizer Maschinenindustrie gemeint sind. Denn einer der ersten Artikel auf der Website der economiesuisse zum Thema Freihandel fordert eine rasche Umsetzung der Aufhebung der Industriezölle, sowie den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen.
Nach Grenzschutz, Agrarzöllen und Schutz der Schweizer Produktion sucht man auf der ganzen Website vergebens – die Schweizer Bauern scheinen in der Perspektive der economiesuisse nicht mitgedacht zu sein. Bleibt nur zu hoffen, dass sich hier – perspektivisch – noch etwas zum Guten verändert, irgendeinen Mehrwert muss dieser Schulterschluss für die Schweizer Bauern schliesslich haben, ich verfolge es gespannt.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
Weitere Kolumnen von Meret Schneider