Meret Schneider: Endlich Ent-täuschung

Er hat die globale Öffentlichkeit erschüttert, der sogenannte Liberation-Day, der vom Economist sogleich in “Ruination-Day” umbenannt wurde und Wirtschaftsexperten und Politikerinnen in einem Zustand der Rat- und empfundenen Planlosigkeit zurückgelassen hat. Noch am Abend davor kündigte Reto Lipp, Wirtschaftexperte im SRF, an, die Schweiz würde wohl nicht so hart getroffen und Magdalena Martullo Blocher meinte in einem Interview mit dem Tagesanzeiger, die Zeichen stünden gut und Trump liebe die Schweiz.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) versandte einen Brief an die Trump-Administration, in dem es die USA-Freundlichkeit und die Abgrenzung zu Europa betonte. So hat die Schweiz ihre Industriezölle abgeschafft, hat anders als Brüssel weder eine «schädliche» Regulierung für Künstliche Intelligenz noch Vorschriften für Online-Plattformen eingeführt und plant keinen CO2-Grenzausgleich. Auch verwies das Seco auf die vielen von Schweizer Firmen in den USA geschaffenen, gut bezahlten Jobs. Ob dieser Brief in der Trump-Administration von jemandem gelesen wurde, darf bezweifelt werden und wenn doch, so scheinen die Appeasement-Bemühungen der Schweiz wenig Eindruck hinterlassen zu haben. Der Zollhammer folgte postwendend und die Schweiz wurde mit 31 oder 32 Prozent belegt – nur schon die Tatsache, dass diese Zahl zum Zeitpunkt meines Schreibens nicht klar ist, zeigt die Absurdität dieser Operation auf.
Die Berechnungen der Zölle sind denn auch an Simplizität nicht zu überbieten; selbst meine Dreisatzaufgaben an der Gymiprüfung waren komplexer. Berechnet werden die Zölle durch die Rechnung: Handelsdefizit geteilt durch importierte Güter, wobei Dienstleistungen nicht einfliessen, und das Resultat durch zwei. Warum diese Formel? Vermutlich, weil sie einfach anwendbar ist – Sinn ergibt sie nicht, auch in den Augen aller zitierten Ökonomen nicht. Interessant ist eigentlich auch weniger das Verhalten von Trump und seine absolut erratische Wirtschaftspolitik, sondern vielmehr die Reaktionen der betroffenen Länder und der Schweiz.
So zeigt sich Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter an der Medienkonferenz “enttäuscht” und tut dies auch auf Elon Musks Plattform X mit diesen Worten kund. Vielleicht unabsichtlich trifft sie damit den Nagel exakt auf den Kopf: Die Schweiz ist ent-täuscht und ich bin froh darum. Noch wenige Tage zuvor wurde Trump teilweise als “Chance” für die Wirtschaft und die Schweiz eingeordnet, seine disruptive Politik der Deregulierung und sein autokratisches Durchgreifen in Bereichen wie der Wissenschaft, der Bildung und im Bereich des staatlichen Personals wurden mit einer seltsamen Mischung aus Bewunderung und Gänsehaut beobachtet und kommentiert. Noch vor Kurzem hielten ihn gewisse politische Lager für einen gewieften Strategen, oben erwähnte Frau Martullo-Blocher bezeichnete ihn als Down-to-earth-Unternehmer; einer wie sie selbst.
Die Ent-täuschung hätte umfassender nicht sein können. Scheinbar niemand hat dies erwartet, man ging davon aus, der vorauseilende Gehorsam bei der zögerlichen KI- und Plattformregulierung, die kommunikative Abgrenzung von Europa und die Folgeleistung sämtlicher Forderungen, wie die Streichung von Inhalten bezüglich Diversität in Unternehmen aber auch in der ETH müsse doch Früchte tragen. Weit gefehlt. Zwar wurde direkt nach der Ankündigung noch versucht, Trumps Vorgehen zu rationalisieren, Thomas Matter, Nationalrat der SVP, ging sogar davon aus, es müsse sich um einen Rechnungsfehler handeln, doch es bleibt so klar wie ernüchternd: Trump macht, was er seit Beginn seiner Amtszeit macht. Er wirft Drohungen in den Raum, setzt Staaten unter Druck und versucht, aus seiner Machtposition heraus andere an den sogenannten Verhandlungstisch zu zwingen, an dem diese nicht als gleichberechtigte Verhandler, sondern als Juniorpartner sitzen, die alle Forderungen erfüllen, um das Schlimmste abzuwenden.
Und einmal mehr stellt sich die Frage: Warum spielen so viele mit? Zölle sind immer für beide Seiten desaströs, Trump ruiniert mit diesem Vorgehen die Wirtschaft in den USA genauso, wie es andere Staaten für ihre Märkte fürchten und die einzigen Preise, die in den USA tatsächlich fallen werden, sind die Aktienpreise. Das werden ihm seine Wählenden wie auch Republikaner*innen im Senat, die auf die Midterms blicken, so nicht durchgehen lassen, davon bin ich überzeugt. Allerdings nur, wenn die betroffenen Staaten hart bleiben, Sanktionen ergreifen und der Trump-Administration nicht entgegenkommen, um die Zollpolitik abzuwenden. Bereits jetzt kündigt Trump nämlich an, unter bestimmten Bedingungen die Zölle wieder zurückzunehmen – und genau diese Bedingungen dürfen nun nicht erfüllt werden.
Was heisst das nun für die Schweiz? Von offizieller Seite wurde angekündigt, man müsse nur «erklären», wie wichtig die Schweiz für die US-Wirtschaft sei, die guten Beziehungen betonen und die Vorteile des Handelns mit der Schweiz für die USA akzentuieren. Wenn dies nun der Plan sein soll, so frage ich mich, was davor denn diplomatisch getan wurde. Was wurde dann im Vorfeld besprochen und kommuniziert, wenn nicht genau das, was nun wie einem Fünfjährigen erneut zu erklären versucht werden soll?
Meines Erachtens ist es nun an der Zeit, der Ent-täuschung Konsequenzen folgen zu lassen: Es handelt sich bei Trump mitnichten um einen rationalen oder gar verlässlichen Strategen, dem man die Weltlage nur zu erklären braucht, um ihn zu einer vernunftgeleiteten Entscheidung zu bewegen, im Gegenteil. Es gilt nun, sich mit unseren tatsächlich verlässlichen Partnern in Europa zu koordinieren, Gegenmassnahmen zu ergreifen und auch die USA – insbesondere die milliardenschweren Techkonzerne – mit empfindlichen Sanktionen zu treffen. Möglich wäre eine Besteuerung der Werbeeinnahmen oder strenge Regulierung der Techfirmen in der Schweiz, was zumindest die Musks und Zuckerbergs dieser Welt auf unangenehme Weise treffen würde, ohne durch Gegenzölle die Schweizer Wirtschaft zu schädigen. Es geht hier nicht nur um Zölle, sondern um die ganze Zukunft politischer Verhältnisse und die Frage, ob wir uns dem Recht des scheinbar Stärkeren nun einfach unterordnen wollen. Denn wenn wir das tun, wird es nicht das letzte Mal gewesen sein.
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