“Man kann eben nicht alles haben.” “Es gibt halt nicht den Fünfer und das Weggli.”
Sätze, so schweizerisch und intuitiv stimmig, dass man eigentlich nur zustimmend nicken kann. Klar, es gibt nicht beides, das leuchtete mir bereits als Kind ein und der Satz “es gibt nicht den Fünfer und das Weggli” erschien mir wie eine alte Weisheit aus längst vergangener Zeit, als man für einen Fünfer ein Weggli bekam, denn selbst in meiner Kindheit war das eine Illusion, aber das machte den Satz umso stimmiger und wahrer. Man muss sich entscheiden im Leben, für den Fünfer oder das Weggli, das war mir schon früh klar.
In einem der letzten Beiträge schrieb ich über die Internalisierung der Umweltkosten von Produkten und wie komplex dieses Unterfangen sei. Es blies mir ein erstaunlich starker Gegenwind entgegen, der sich im Laufe der Diskussion in eine steife Brise verwandelte, die jegliche Lust an der Debatte erfrieren liess. Das sei absolut nicht komplex, wurde auf der einen Seite moniert. Die Umweltkosten eines Produkts liessen sich unkompliziert über den Wasser- und Flächenverbrauch, sowie den CO2-Ausstoss internalisieren, das sei problemlos machbar.
Ohne dieses Fass wieder aufmachen zu wollen, merke ich hier nur an, dass der CO2-Verbrauch bzw. die CO2-Äquivalente eines Produktes nicht ganz so einfach zu berechnen sind und der Berechnung, soll sie denn valide Daten liefern, durchaus eine gewisse Komplexität zu Grunde liegt. Berücksichtigt werden muss hier schliesslich auch die Herkunft von Futtermitteln, die Art und Weise der Produktion (eine Avocado aus Petrarca ist viel umweltschädlicher als eine aus Spanien, trotz identischem Wasserverbrauch, da der Anbau in Petrarca ganze Landstriche trocken legt und Hungersnöte verursacht). Ein langsam wachsendes Zweinutzungshuhn ist auf den ersten Blick umweltschädlicher, als ein Hochleistungs-Masthybridhuhn, da letzteres einen enorm guten “Materialdurchsatz” hat und in seiner kurzen Lebensdauer von 30-40 Tagen weniger frisst, als das Zweinutzungshuhn. An den reinen Zahlen gemessen, wäre die Hochleistungszucht im Hühnerbereich also weniger ressourcenintensiv und umweltschädlich als der Paradigmenwechsel hin zu alten, langsamer wachsenden Rassen, wie ich sie propagiere – vorausgesetzt man geht von einer konstanten Produktionsmenge aus.
Und hier sind wir bei der zweiten Böe des Gegenwindes, der mir nach meinem Artikel aus einer anderen Richtung entgegen blies: jene der “Fünfer oder das Weggli”- Fraktion. Im Gegensatz zu ersteren, die eine Internalisierung der externen Kosten für absolut problemlos machbar hielten, schallte mir von dieser Seite eben der viel zitierte Satz entgegen: Wenn du Umweltleistungen willst, geht das auf Kosten des Tierwohls, das sei ein Zielkonflikt und beides könne man nicht haben, den Fünfer und das Weggli, das gehe nicht. Hochleistungszucht wurde dabei zwar als tierunfreundlich bezeichnet, aber als umweltfreundlich gepriesen. Bei tierfreundlicher Auslaufhaltung hingegen, die auf alte, weniger hochgezüchtete Rassen setzt, wurden die höheren Emissionen und der höhere Futtermitteleinsatz aufgrund der Lebensdauer ins Feld geführt. Ein Zielkonflikt, der sich nicht lösen liesse und es sämtlichen Akteuren ermöglicht, sich nicht zu bewegen, sondern sich in dieser Patt-Situation auszuruhen. Mehr Tierwohl? Wollen wir nicht, das führt zu mehr Emissionen. Umweltschäden reduzieren? Wollen wir nicht, das würde zu mehr Tierleid führen, da wir Tiere einsperren müssten, um Ammoniakemissionen zu reduzieren. Eine sehr bequeme, leider aber auch wenig zukunftsfähige Perspektive, dachte ich mir, aber vor allem: trifft sie zu? Wie viel Zielkonflikt ist tatsächlich vorhanden und wie viel wird einfach bewirtschaftet, um sich nicht bewegen zu müssen?
Zur Beantwortung dieser Frage ziehe ich eine aktuelle Studie der Ö+L GmbH zu Rate, die einen Überblick zu Schaden und Nutzen von Tierwohl-Massnahmen für die Umwelt bietet. Interessante Erkenntnis der Autoren dabei: die Gesamtbilanz fällt durchweg positiv aus. «Je mehr Tierwohl, desto positiver wirkt sich dies in der Regel auf die Umwelt aus», schlussfolgern die Autoren. Untersucht wurden u.a. die Folgen von Weide statt Stallfütterung für Wiederkäuer, BTS für Wiederkäuer, RAUS und BTS für Geflügel und Schweine sowie ein tiergerechtes Leistungsniveau.
Die Bauernzeitung schreibt dazu, dass bei den meisten in der Studie beleuchteten Nachhaltigkeitsaspekten die Weide anstelle von Stallfütterung besser abschneidet. So wirken sich beispielsweise weidende Kühe positiv auf die Biodiversität aus, weil sie mit offenen Trittwegen, liegenbleibenden Fladen oder leichter Verunkrautung Lebensräume schaffen. Bei guter Weideführung steigt ausserdem die Flächenproduktivität, da keine Ernteverluste anfallen. Ausserdem geht das System mit einem tieferen Kraftfuttereinsatz einher, was wiederum die Nahrungsmittelkonkurrenz senken und Pflanzenschutzmittel einsparen kann (weil der Anbau von Kraftfutter wegfällt).
Für die Landwirt*innen bedeutet mehr Weide weniger Aufwand (keine Futterbergung oder -Konservierung) und tiefere Tierarztkosten.
Anders sieht es jedoch bei den Monogastriern aus, auch hier zitiere ich die Bauernzeitung: Während bei Rindern die Nahrungsmittelkonkurrenz bei tieferem Leistungsniveau dank weniger Kraftfutter sinkt und die Nährstoffeffizienz steigt, ist bei Schweinen und Geflügel das Gegenteil der Fall: Die Verwertung der eingesetzten Futtermittel-Kalorien nimmt ab, genauso wie die ökonomische Leistung. Die Folgen für Arbeitsaufwand und Lebensqualität von Schweine- und Geflügelhaltern sind bei einem tieferen Leistungsniveau sehr unterschiedlich je nach Betrieb, halten die Autoren fest. Generell dürfte aber ein tiergerechtes Leistungsniveau resilienter sein und damit weniger aufwändig und stressverursachend. Welches Fazit lässt sich also für den Eingangs beschriebenen Zielkonflikt ziehen? In meinen Augen ist der Fall klar: es gibt gewisse Trade-Offs, die sich jedoch gut bewältigen lassen, indem man beispielsweise einen höheren Arbeitsaufwand mit mehr finanzieller Unterstützung entschädigt. Eindeutig wird hier ein Zielkonflikt herbeizitiert und bewirtschaftet, der lösbar wäre, wenn ein Interesse daran bestünde – wohl, weil dies politisch bequemer ist. Und ein letzter, aber wichtiger Punkt: in allen Annahmen und Studien wird das Konsumverhalten jeweils als nicht veränderbare Variable angenommen. Ältere und Zweinutzungsrassen sind nur unter der Prämisse weniger effizient, dass wir konstante Mengen produzieren. Gerade im Bereich der Monogastrier wird dies jedoch zukünftig nicht der Fall sein – hier müssen wir rein aus Ressourcengründen zurückschrauben und können uns dadurch zur umweltschonenden Produktion auch mehr Tierwohl leisten – oder zum Fünfer in der Tasche auch das Weggli.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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