Die Nachricht machte, wie nicht anders zu erwarten, Schlagzeilen. “Vegi-Initiative in den Startlöchern”, titelte die Bauernzeitung und auch der Tagesanzeiger zog mit einem entsprechenden Wording nach. Die Rede ist von der neuesten Initiative von Franziska Herren, der Initiantin der Trinkwasserinitiative und Aktivistin für geringere Tierbestände in der Schweiz. Hatte ich mich in vergangener Zeit stark um eine Zusammenarbeit mit Bäuerinnen und Bauern bemüht, einen Roundtable organisiert und mich mit vollem Einsatz für ein Klima des gegenseitigen Wohlwollens und Zuhörens trotz unterschiedlicher Positionen stark gemacht, holte mich diese Nachricht sehr unsanft auf den harten Boden der anstehenden Debatte zurück.
Unter dem Titel “Selbstversorgungsinitiative” soll ein Selbstversorgungsgrad von 70 Prozent in der Bundesverfassung festgelegt werden. Um dies zu erreichen, sollen auf den Ackerflächen mehr Lebensmittel für Menschen und weniger Futtermittel für Nutztiere angebaut werden. Die Initiative will ihr Ziel mit Anreizen erreichen: über Direktzahlungen, Forschung und Ausbildung. «Heute fliessen 82 Prozent der Agrarsubventionen in die Produktion von tierischen Lebensmitteln und nur 18 Prozent in den Pflanzenbau», sagt Franziska Herren in der Sonntagszeitung. «Mit den Subventionen muss die nachhaltige, klimabewusste und ressourceneffiziente Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln, statt die übermässige Produktion und der übermässige Konsum von tierischen Lebensmitteln gefördert werden.»
Soweit, so gut. Über den Selbstversorgungsgrad zu sprechen, ist sicherlich lohnenswert in einer Zeit, in der die Schweiz beispielsweise sämtliche Elterntiere unserer Lege- und Masthühner aus dem Ausland importiert und die inländische Produktion zu einem hohen Grad von Futtermittelimporten abhängt. Diese Diskussion müssen wir führen und entsprechende Weichenstellungen vornehmen – doch genau hier liegt der berühmte Hase im Pfeffer. Wie kann es sein, dass Politiker*innen, die sich seit Jahren um eine tierfreundlichere und nachhaltigere Ausrichtung der Agrarpolitik bemühen, im Vorfeld nie informiert oder idealerweise um Rat und Unterstützung gefragt wurden? Dann wäre eine Abstimmung bezüglich der kritischen Punkte und der strategischen Aufgleisung möglich gewesen und man hätte die Chance gehabt, wichtige Stakeholder wie die Bäuerinnen und Bauern, aber auch Produzierende aus der Branche einzubeziehen und im besten Falle zusammenzuarbeiten.
Leider liess man diese Chance verstreichen und auch wenn der genaue Text noch nicht vorliegt, so stimmt mich die Tatsache, dass der Import einmal mehr mit keiner Silbe erwähnt wird, nicht gerade optimistisch. Wenn die inländische Produktion von Tierprodukten zurückgefahren wird, steigt der Import ebensolcher aus dem Ausland – ein Totschlagargument, mit dem man prinzipiell überhaupt keine Verbesserungen der Tierhaltung im Inland anstreben müsste – das liegt mir fern. Eine Senkung der tierischen Produktion, gerade was Schweine anbetrifft, begrüsse ich absolut, aber nur unter der Bedingung, dass Importe auch Schweizer Standards genügen müssen. Ist dem nicht der Fall, so werden wir im Inland weniger produzieren und stattdessen vermehrt Billigfleisch und -Eier importieren, da sich der Detailhandel und die Gastronomie ihre Produkte zu beschaffen wissen und – wie ein Blick auf die Marktberichte zeigt – der Fleischkonsum in der Tendenz nicht sinkt, sondern steigt.
Mit höheren Importen von Dumpingfleisch exportieren wir Tierleid und Umweltbelastung, während wir uns in der Schweiz unsere heile Welt zurecht politisieren – notabene ohne, dass sich die Konsumierenden bewegen müssen. Mit dem gleichen Argument habe ich bereits die Trinkwasserinitiative kritisiert und es scheint, als würde hier der gleiche Fehler erneut begangen. Mit einem Austausch im Vorfeld mit Akteuren von bäuerlicher Seite und der Branche könnte man solch gravierende Stolpersteine vermeiden.
Doch nicht nur der konkrete Initiativtext bereitet mir richtig Bauchweh. Wenn erneut ein Wording aufgefahren wird, mit dem John Deere-gleich über das bestellte Feld einer respektvollen Debattenkultur hinweggeblocht wird, zerschlagen wir hier wieder sämtliches Geschirr, das ich und andere engagierte Bäuer*innen und Politiker*innen nach den letzten Agrarabstimmungen mühsam zusammengeklaubt und -gesetzt haben.
Was wir in dieser Zeit brauchen, ist ein konstruktiver Diskurs, auch wenn sich die Veränderung in kleinen Schritten vollzieht. Das sei zu langsam, heisst es von Aktivist*innen-Seite, und sie haben recht. Aber es sind Schritte in die richtige Richtung, die alle mittragen und umsetzen, statt einer Agrarschlacht 2.0, die nur verbrannte Erde und ein schlechtes Resultat an der Urne hinterlässt. Ich hoffe und hoffe wirklich, dass man bei dieser Kampagne, auch wenn der Initiativtext nicht optimal formuliert sein sollte, eine Diskussionskultur des Respekts wahrt und – auf beiden Seiten – nicht erneut die schweren und unfairen Geschütze auffährt. In diesem Sinne ein Aufruf an alle Aktivist*innen und Bäuer*innen: Lassen wir uns nicht instrumentalisieren! Besinnen wir uns auf das gemeinsame Heu auf der gleichen Bühne und arbeiten weiter – in kleinen Schritten, mit lokalen Gemeinschaften und lassen wir uns nicht gegeneinander aufhetzen – nicht erneut.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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