Künstliche Intelligenz und soziale Plattformen nehmen in einer Geschwindigkeit an Bedeutung und Einfluss auf unser Leben und die öffentliche Meinung zu, die einem den Atem stocken lässt. Bei Texten und Recherchen unterstützen uns KI-Assistenten, Algorithmen entscheiden, was uns im Internet vorgeschlagen wird und welche Werbungen uns basierend auf sensiblen persönlichen Daten ausgespielt werden, soziale Plattformen fungieren zunehmend als Informationsmedium und die Betreiber jener Plattformen damit als Gatekeeper, die entscheiden, welche Inhalte besonders oft bzw. kaum angezeigt werden.
Die Macht über unseren Zugang zu Information und unsere Sicht auf die Welt konzentriert sich auf beunruhigende Art und Weise bei wenigen, sehr marktmächtigen Akteuren, namentlich den Betreibern grosser sozialer Plattformen wie Instagram, X oder TikTok, aber auch bei Techfirmen wie Google, auf deren Weltkarten der Golf von Mexiko beispielsweise bereits Golf von Mexiko *und* Golf von Amerika heisst, in den USA sogar nur Golf von Amerika, seit Donald Trump dies verlangte. Algorithmen bestimmen in den USA aufgrund teilweise stark rassistischer Kriterien, wer kreditwürdig ist oder im Zuge der grossen Kündigungswelle im öffentlichen Sektor (DOGE), wessen Job gekündigt wird. Diese Einflusssphären nehmen mit der fortschreitenden Digitalisierung rasant an Bedeutung zu und damit die Macht jener, die Plattformen betreiben und Algorithmen programmieren.
Selbstverständlich sind mit KI und den sozialen Plattformen mit ihrer leichten Zugänglichkeit und der Möglichkeit aller Nutzenden, miteinander ins Gespräch zu kommen, Inhalte zu publizieren und auch Regierungen zu kritisieren grosse demokratiepolitische Chancen verbunden. Doch müssen Gesetze auch im digitalen Raum durchgesetzt werden können und die Beteiligten gleichberechtigt zu Wort kommen, also weder besonders bevorzugt, noch unterdrückt werden. Wichtige Entscheide wie beispielsweise die Kreditwürdigkeit dürfen zudem nicht automatisiert getroffen werden, zumindest nicht, solange Algorithmen mit rassistisch geprägten Trainingsdaten trainiert werden (z.B. leben dunkelhäutige Menschen in bestimmten Regionen öfter in prekären Verhältnissen und sind dadurch weniger kreditwürdig, woraus der Algorithmus den Fehlschluss: “Dunklere Haut -> weniger kreditwürdig” zieht). Ein Algorithmus ist nur so gut wie die Daten, auf die er zurückgreift und mit denen er trainiert wurde . All diesen Problematiken, und die datenschutzrechtlichen Probleme wurden noch nicht einmal erwähnt, gilt es entschieden mit Regulierungen und Transparenzforderungen zu begegnen, die keinesfalls eine Zensur oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern schlicht die Sicherstellung der Rechte von Nutzerinnen und Nutzern im digitalen Raum zur Folge hätten.
Der Bund plant seit längerem die Regulierung sozialer Plattformen. Die Vernehmlassung dazu wird seit März letzten Jahres immer wieder verschoben und soll nun Mitte April 2025 stattfinden. Gründe für die Verzögerung werden keine Angegeben, doch die Vermutung liegt nahe, dass man in Anbetracht der Deregulierungswelle sozialer Plattformen, die derzeit wie ein Tsunami über die USA hereinbricht, nur ungern stärkere Regulierungsmassnahmen ergreifen möchte. Dies, obwohl die EU mit dem Digital Services Act vorangeht und sogar konservative Parteien wie die CDU in Deutschland die Regulierung der Plattformen begrüsst und die demokratiepolitische Gefahr der Wahlbeeinflussung durch Akteure wie Elon Musk erkennt. Die Schweiz allerdings ziert sich, sich dem europäischen Kurs anzuschliessen und von den Plattformbetreibern Transparenz bezüglich der Algorithmen, Ansprechpersonen in der Schweiz und die Möglichkeit zur Strafverfolgung justiziabler Inhalte zu fordern. Und wenn man die unrühmliche Geschichte der KI-Regulierung verfolgt hat, überrascht das kaum.
Auch der Bericht zur Regulierung von künstlicher Intelligenz wurde nämlich immer wieder grundlos verschoben, allerdings insgesamt nur von Mitte 2024 bis am 12. Februar 2025. Zudem soll die Gesetzesvorlage erst 2026 bereit sein und frühestens 2028 in Kraft treten – in Anbetracht der Beschleunigung der KI-Entwicklung schlicht ein schlechter Scherz. Geprägt ist die Regulierung zudem von einem maximal wirtschaftsfreundlichen und stark an die USA angelehnten Paradigma, genannt “Innovation first”. Dies, wie im Bereich der Plattformregulierung, ganz im Gegensatz zur EU. Im Sommer hat die EU nämlich den sogenannten AI Act verabschiedet. Dieses Gesetz nimmt sowohl Unternehmen als auch staatliche Institutionen in die Pflicht und definiert Rechte für die Bürger und Bürgerinnen Europas, zum Beispiel ein Beschwerderecht. Der AI Act differenziert die Regulierung nach Anwendungsfall und Risikograd. Ein Beispiel für Hochrisiko-KI wäre etwa eine robotergestützte Chirurgieanwendung. Diese muss gemäss dem neuen Gesetz vor dem Markteintritt umfassend geprüft werden. Anwender von KI müssen je nach Risikoschwere – etwa in der Medizin, Justiz oder Bildung – Dokumentationspflichten erfüllen und ihre Anwendungen absegnen lassen, wie in einem Artikel der Republik von Adrienne Fichter zu lesen ist. Sowohl der Bundesrat, als auch Wirtschaftsverbände wie economiesuisse sehen jedoch keine Notwendigkeit, sich bezüglich der KI-Regulierung dem AI-Act anzunähern.
Interessant ist dies nicht nur, weil eine Regulierung aus Expertensicht und auch aus ethischer Perspektive zwingend angebracht wäre, sondern auch, weil sich der Sonderweg der Schweiz wirtschaftlich rächen wird. Ignoriert der Bundesrat die Vorgaben des AI Acts nämlich komplett, und danach sieht es aktuell leider aus, droht früher oder später der Marktausschluss für einen grossen Teil der exportierenden Schweizer Wirtschaft, wie Adrienne Fiechter in ihrem Artikel konstatiert. Die Schweiz hat mit der EU ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen namens MRA CH-EU. Das Bakom schreibt dazu: Über die Hälfte – 12 von 20 – der im MRA CH-EU genannten Produktsektoren sind von den Vorschriften des AI Acts betroffen, sofern die betreffenden Produkte KI-Bestandteile enthalten. Als Beispiel nennt das Bundesamt Güter wie Maschinen, Druckgeräte, Gasgeräte, Medizinprodukte, land- und forstwirtschaftliche Zugmaschinen. Das Abkommen über Konformitätsbewertung ist dabei essenziell für die meisten Schweizer Unternehmen, die in die EU exportieren. Erhält es kein KI-Update gemäss AI Act, drohen einschneidende technische Handelshemmnisse. Als Fazit lässt sich daher ziehen, dass eine klare Regulierungspolitik nicht nur ethisch geboten, sondern auch aus ganz nüchternen, handelspolitischen Gründen notwendig wäre. Leider bleibt der Bundesrat in seiner unklaren Haltung sowohl den USA als auch Europa gegenüber treu und verfolgt in einer Politik des seltsamen vorauseilenden Gehorsams einen maximal USA-freundlichen Kurs. Bleibt zu hoffen, dass sich dieser nicht auch durch die Plattformregulierung zieht.
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